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Und Gott befiehlt mir, daß ich baue:

Denn König bin ich von der Zeit.

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 Dir aber bin ich nur der graue

Mitwisser deiner Einsamkeit.
Und bin das Auge mit der Braue ...

Das über meine Schulter schaue
von Ewigkeit zu Ewigkeit.


Es tauchten tausend Theologen
in deines Namens alte Nacht.
Jungfrauen sind zu dir erwacht,
und Jünglinge in Silber zogen

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und schimmerten in dir, du Schlacht.


In deinen langen Bogengängen
begegneten die Dichter sich
und waren Könige von Klängen
und mild und tief und meisterlich.

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Du bist die sanfte Abendstunde,

die alle Dichter ähnlich macht;
du drängst dich dunkel in die Munde,
und im Gefühl von einem Funde
umgibt ein jeder dich mit Pracht.

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Dich heben hunderttausend Harfen

wie Schwingen aus der Schweigsamkeit.
Und deine alten Winde warfen
zu allen Dingen und Bedarfen
den Hauch von deiner Herrlichkeit.

Empfohlene Zitierweise:
Rainer Maria Rilke: Das Stundenbuch. Leipzig: Insel-Verlag. 1918, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Stundenbuch_(Rilke)_039.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)