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in einer Stunde, die mich straffte,
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in einer Hoffart meiner Hand.
Ich zeichnete viel ziere Risse,
behorchte alle Hindernisse, –
dann wurden mir die Pläne krank:
es wirrten sich wie Dorngerank
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die Linien und die Ovale,bis tief in mir mit einem Male
aus einem Griff ins Ungewisse
die frommste aller Formen sprang.
Ich kann mein Werk nicht überschaun
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und fühle doch: es steht vollendet.Aber, die Augen abgewendet,
will ich es immer wieder baun.
So ist mein Tagwerk, über dem
mein Schatten liegt wie eine Schale.
Und bin ich auch wie Laub und Lehm,
sooft ich bete oder male,
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ist Sonntag, und ich bin im Taleein jubelndes Jerusalem.
Ich bin die stolze Stadt des Herrn
und sage ihn mit hundert Zungen;
in mir ist Davids Dank verklungen:
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ich lag in Harfendämmerungenund atmete den Abendstern.
Nach Aufgang gehen meine Gassen.
Und bin ich lang vom Volk verlassen,
so ist’s: damit ich größer bin.
Empfohlene Zitierweise:
Rainer Maria Rilke: Das Stundenbuch. Leipzig: Insel-Verlag. 1918, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Stundenbuch_(Rilke)_034.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)
Rainer Maria Rilke: Das Stundenbuch. Leipzig: Insel-Verlag. 1918, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Stundenbuch_(Rilke)_034.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)