Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Walther Kabel: Das Lampenfieber (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 5)

beste Beispiel hierfür bietet der italienische Abgeordnete Ferri, der vor, während und nach einer Parlamentsrede nur 36 bis 58 Pulsschlage gegen 68 bis 73 seiner normalen Anzahl hatte. Dabei macht der berühmte Redner auf der Tribüne stets den Eindruck, als ob jedes seiner Worte einem leidenschaftlich erregten Geiste entspränge. Erinnert sei hier daran, daß schon Professor Schweninger, der Leibarzt Bismarcks, ähnliches bei diesem feststellte. Bismarck hatte eine außergewöhnlich hohe Pulszahl, 83 bis 85, die sich jedoch bei großer geistiger Anspannung, so hauptsächlich während sehr lebhafter Parlamentsdebatten und längerer Reden, bis auf 73, die normale Durchschnittszahl jedes erwachsenen Mannes, verringerte.

Auch bei Napoleon I., der ohnehin nur die anormal niedrige Pulsfrequenz von 45 bis 48 Schlägen in der Minute hatte, wurde von seinem Leibarzt Hervieux ähnliches beobachtet. So schrieb Hervieux: „Wie seltsam die Herztätigkeit des Kaisers von starken Aufregungen beeinflußt wurde, zeigte sich mir am deutlichsten nach der verlorenen Schlacht bei Leipzig. Als Napoleon die Nachricht von dem Eindringen der Verbündeten in die Mauern der heiß umkämpften Stadt erhielt und er nun einsah, daß er das ungeheure, tagelange Ringen verloren hatte, überlief ein minutenlanges Zittern seine Gestalt. Wir standen damals auf einem Hügel, von wo aus deutlich die Flammen der brennenden Vorstädte sichtbar waren. Der Kaiser wies mit der Hand in jener Richtung hin und sagte dumpfen Tones: ‚Alles vergeblich!‘ Dann ließ er sich sein Pferd vorführen und stieg in den Sattel. Ich merkte, daß sein ganzer Körper wiederum von einer furchtbaren Erregung hin und her geschüttelt wurde. Ängstlich geworden bat ich ihn, ihm den Puls fühlen zu dürfen. Er streckte mir die Rechte hin, wobei ein Lächeln über sein Gesicht glitt. ‚Es wird nicht anders sein als sonst,‘ meinte er. Wirklich hatte er auch in diesem Augenblick, wo er seinen Thron zum ersten Male erschüttert sah, nur 39 Pulsschläge.“

W. K.
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Das Lampenfieber (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 5). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1914, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Lampenfieber.pdf/3&oldid=- (Version vom 31.7.2018)