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Walther Kabel: Das Lampenfieber (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 5)

Das Lampenfieber, dieser oft ins Lächerliche gezogene Erregungszustand mancher Künstler und der meisten anderen Sterblichen vor einem öffentlichen Auftreten, ist, wie der Turiner Professor Mosso durch langjährige Beobachtungen und verschiedene Versuche festgestellt hat, tatsächlich als eine besondere Krankheitsform anzusehen, die durch Störungen im Blutkreislauf entsteht und in ihren Einzelerscheinungen einem wirklichen Fieberanfall vollständig gleichkommt.

In einer Turiner Theaterschule fand der genannte Gelehrte die beste Gelegenheit, die Schüler bei den Aufführungen auf ihr jeweiliges körperliches Befinden zu untersuchen. Bei den meisten Anfängern stellte er schon vor der Vorstellung eine Vermehrung der Pulsschläge um etwa ein Drittel fest. Sofort nach der Vorstellung hatte der Puls der meisten eine Frequenz von über 130 Schlägen in der Minute, ebenso war auch die Körpertemperatur regelmäßig bis auf 38 Grad gestiegen. Im Verein mit der trockenen Haut und der unnatürlichen Rötung des Gesichts ergab dies das vollständige Bild leichter Fiebererkrankungen.

Erst nach häufigem Auftreten verloren sich diese Erscheinungen bei einem Teil der Schüler vollständig, während durchschnittlich zwei Drittel das Lampenfieber niemals überwanden. Bei einigen steigerte es sich sogar von Aufführung zu Aufführung derart, daß sich infolge der wachsenden Erregungszustände Gedankenflucht, Stottern und sogar gänzliches Versagen des Gedächtnisses einstellten.

Der Gelehrte ging noch weiter und beauftragte einige seiner Schüler, an seiner Stelle die Vorlesungen abzuhalten. Hierbei fand er, daß einer dieser jungen Leute schon vor dem Betreten des Hörsaals 116 Pulsschläge, nach Abhalten der Vorlesung sogar 139 hatte. Ein zweiter hatte eine Minute vor seinem ersten öffentlichen Vortrag Fieber mit 136 Pulsschlägen und 37,8 Grad Körperwärme, nach Beendigung 160 Schläge und 38,7 Grad.

Umgekehrt konnte Professor Mosso aber auch konstatieren, daß bei Leuten, die keine Neigung zu Lampenfieber zeigen, sogar eine Abnahme der Pulsschläge zu beobachten ist. Das

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Walther Kabel: Das Lampenfieber (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 5). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1914, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Lampenfieber.pdf/2&oldid=- (Version vom 31.7.2018)