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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 149. 28 May 1828.

Die Moldau und Wallachei.


Die Russen sind in diese Fürstenthümer gerückt, die somit die erste Scene des Kampfes bilden, der entscheiden wird, ob der freieste Staat Europa’s die Barbarei noch länger aufrecht erhalten, oder ob der am despotischsten regierte die Ketten derselben mit dem Schwerte lösen wird. Dem Zwecke dieses Blattes gemäß, den Ereignissen der Zeit erläuternd zur Seite zu gehen, entlehnen wir aus englischer Quelle [1] eine statistisch-historische Uebersicht über jene beiden Länder.

Bekannt ist, daß die Hospodare der Moldau und Wallachei bisher unter den Griechen des Phanars gewählt wurden, eines Quartiers in Constantinopel, das fast ausschließlich von solchen Hellenen bewohnt wird, welche bei der Pforte die Stelle von Dragomans oder andere politischen Functionen versehen.

Seit dem Sturze des oströmischen Reiches schmachteten die Griechen von Constantinopel in der niedrigsten Sklaverei, bis es Alexander Maurocordato gelang, einen Namen zu Ehren zu bringen, der in unsern Tagen eine noch berühmtere Stelle in der Geschichte der Unabhängigkeit seines Vaterlandes einnehmen sollte. Alexander Maurocordato war anfangs nur ein unbedeutender Kaufmann von Scio. Auf einer seiner Reisen nach Constantinopel kam er in Berührung mit einem Mitgliede des Divans. Dadurch, so wie durch seine große Gewandtheit und ausgebreitete Kenntniß der europäischen Sprachen, wußte er die Aufmerksamkeit des Sultans auf sich zu ziehen, der ihn, nachdem er sein Talent in untergeordneten Stellen erprobt hatte, zu seinem Gesandten beim Congresse von Carlowitz ernannte. Auf diesem wichtigen Posten rechtfertigte er seinen Ruf, und kam bei der Pforte zu solchem Ansehen, daß es ihm gelang, seinem Sohn Nikolas das Gouvernement der Moldau und Wallachei zu verschaffen.

Die Lage dieser beiden Provinzen, die als Grenznachbarn der beiden Staaten, welche die Pforte am meisten fürchtet, Oestreichs und Rußlands, im Falle eines Krieges nothwendig den ersten Stoß aushalten müssen, begünstigte Maurocordato’s politische Absichten, dessen ganzer Ehrgeiz in dem Wunsche bestand, Griechenland zu regeneriren. Die durch jene Lage herbeigeführte Nothwendigkeit, diese Posten des Reiches Männern von europäischer Bildung und Gewandtheit anzuvertrauen, zwang den Divan, die Hospodare unter den Griechen zu wählen, und durch Maurocordatos Einfluß ward entschieden, daß in Zukunft jene Functionen nur den Dragomans der Pforte übergeben werden sollten.

Diese Entscheidung erzeugte bald eine moralische Revolution unter den Hellenen der Hauptstadt. Die ersten Classen derselben suchten sich in den europäischen Sprachen, so wie in den Staats- und politischen Wissenschaften zu unterrichten. Die Diplomatie ward nun ehrenvolle Beschäftigung selbst für die, die ihre Studien blos auf sie beschränkten. Sie gründeten eine Art Adel, der von ihren Landsleuten anerkannt und geachtet wurde, so daß man Botschaften und ähnliche Beamtungen bald als ihr ausschließliches Eigenthumsrecht betrachtete. Der unwissende und eitle Grieche bewunderte in den Phanarioten den Wiederschein des Geistes seiner Väter, und sie waren es, unter denen die ersten Keime der National-Unabhängigkeit sich entwickelten.

Indessen hörte die Verwaltung der Phanarioten nie auf, den Fürstenthümern verderblich zu seyn. Die dem Ehrgeiz der Griechen überantworteten Hospodarstellen waren zu Constantinopel ein Gegenstand steter Cabalen. Würden, Gunstbezeugungen, Recht und Gesetz, alles ward in dieser Hauptstadt an den Meistbietenden versteigert, und so wie eine Stelle offen wurde, suchte der ganze Phanar sich gegenseitig zu überbieten. Die Türken ließen es gerne geschehen, daß solche Vacanzen so oft als möglich vorfielen, weil sie sich dabei jedesmal mit dem Raube des alten Hospodars und mit den Bestechungen des neuen Candidaten bereicherten. Die Moldau hatte von 1710 bis 1800 neunundvierzig Hospodare, wobei noch zu bemerken ist, daß sie während dieser Zeit dreizehn Jahre lang von Oesterreich und Rußland besetzt war. Sie ward aber auch alle zwei Jahre durch neue Erpressungen ausgesaugt.

Beim Frieden von Jassy, 1792, nahm sich Rußland, sey’s aus Ehrgeiz, sey’s aus Menschlichkeit, jener unglücklichen Provinzen an, und verlangte kraft des, vom Vertrage von Kainardgi [2] abgeleiteten Interventionsrechts, daß die Hospodare sieben Jahre lang im Amte bleiben sollten.

  1. Hauptsächlich nach einem der früheren Hefte von Blackwoods Edinburgh Magazine.
  2. Da der Vertrag von Kainardgi (unterzeichnet den 10. Juli 1775) bei allen späteren Negociationen zur Grundlage diente, und sich auch in neuester Zeit das Cabinet von St. Petersburg häufig auf denselben berief, so heben wir hier die auf die Moldau und Wallachei sich beziehenden Artikel aus: „Der russische Hof gibt der hohen Pforte Bessarabien und dessen Festungen zurück, nämlich Ackjerman, Kilia, Bender, Ismaël, und die übrigen Städte und Dörfer dieser Provinz; eben so die beiden Fürstenthümer Moldau und Wallachei, mit den dazu gehörigen Festungen, Städten und Dörfern.“ „Die Besitznahme derselben wird unter folgenden Bedingungen erfolgen, welche die Pforte sich feierlich verpflichtet zu erfüllen und aufrecht zu halten: „1) Sie wird in den beiden Fürstenthümern die Gesetze, Gewohnheiten, Vorrechte, Würden, Kirchen und Eigenthumsrechte ohne Ausnahme schützen und erhalten. Sie wird eine allgemeine Amnestie daselbst erlassen; die Personen, die ihr etwa nicht treu geblieben seyn sollten, in keiner Weise beunruhigen, und sie wieder in das Eigenthum und den Rang einsetzen, die sie vor dem Kriege besaßen. 2) Sie wird der freien Ausübung der christlichen Religion kein Hinderniß entgegenstellen, noch die Wiedererbauung der Kirchen und andrer Gebäude in den beiden Fürstenthümern hindern. 3) Sie wird den in der Nachbarschaft von Ismaël, Chotim und Bender gelegenen Klöstern die abgenommenen Domänen zurückgeben. 4) Sie wird den Clerus der beiden Fürstenthümer mit der ihm gebührenden Achtung behandeln. 5) Sie wird den Familien und Individuen, die nach Rußland zurückzukehren oder sich anderswo niederzulassen wünschen, die Freiheit einräumen, mit ihrem beweglichen Eigenthum auszuwandern, und wird ihnen die Frist eines Jahres bewilligen, ihre Angelegenheiten vor ihrem Abzuge in Ordnung zu bringen. 6) Sie wird ihre ganze rückständige Schuld in den beiden Provinzen liquidiren und bezahlen, wenn auch die Einnahmen der mit jenen Schuldverpflichtungen correspondirenden Aemter nicht eingegangen sind. 7) Aus der Zeit der Occupation wird sie von den Einwohnern der besagten Fürstenthümer keinerlei Abgaben erheben, und wird sie vielmehr, in Betracht des erlittenen Kriegsunglücks, zwei Jahre lang, vom Tage des gegenwärtigen Vertrages an gerechnet, von jeder Contribution befreien. 8) Nach Verlauf dieser Frist wird sie sie mit Mäßigung und Menschlichkeit behandeln, und nicht zugeben, daß, wenn sie den gewöhnlichen Tribut entrichtet haben, sie auch noch durch die Pascha’s und andere Agenten der Gewalt belästigt und unterdrückt werden. Sie wird ihnen die volle Ausübung der Privilegien garantiren, deren sie unter der Regierung Mahommeds IV, Vater des gegenwärtigen Sultans, genossen. Sie wird den Hospodaren der Fürstenthümer gestattem, in Constantinopel einen oder mehrere Geschäftsträger, Griechen von Nation oder Religion, zu haben, welche sie nicht nur anerkennen und mit denen sie unterhandeln wird, sondern gegen die sie sich auch verpflichtet, in ihnen die Vorrechte und die Unabhängigkeit zu achten, die sie in jener Eigenschaft anzusprechen haben. Endlich erkennt die hohe Pforte den in Constantinopel residirenden russischen Botschaftern ein Interventionsrecht in der Leitung der Angelegenheiten der beiden Fürstenthümer zu, und wird ihre von dem Interesse jener Provinzen eingegebenen Vorstellungen beachten.“
Empfohlene Zitierweise:
Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 593. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_619.jpg&oldid=- (Version vom 2.10.2023)