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Das Ausland. 1,2.1828

Pirouetten aus, eine Forcetour, die nur den Auserwählten möglich ist. Neben ihnen sind unsere gewandtesten Springer nur unvollkommene irdische Nachahmer dieser Kinder der Gnade. Die Melodie der Flöten wurde stufenweise ätherischer und unverständlicher. Wir, die wir, den Philosophen zufolge, taub sind für die Musik der Sphären, konnten natürlich kein Ohr haben für die Harmonie des dritten Himmels. Das Ballet nahte seinem Ende und seinem Triumphe. Ein feierliches Lächeln befriedigten Stolzes strahlte über die bleichen Gesichter; es bildeten sich Grübchen, die aber bald wieder um den schweigenden Mund verschwanden. Der ganze innere Mensch schien hingerissen, als nahte das Paradies mit den verschlossenen Gärten des Propheten. Sanft erhob sich das Haupt, als ob es antworten wollte dem Rufe der schwarzäugigen Huris; in Entzücken wurden die Arme empor geworfen, das Drehen wurde heftiger, und die mystischen Verzückungen schienen den höchsten Grad erreichen zu wollen, als plötzlich der Derwisch-Baschi dazwischen trat und sich zwischen die Sterblichen und den Himmel stellte. Die Unterbrechung war jedoch nur kurz. Nach wenigen Augenblicken setzte sich der ganze Convent noch einmal in Bewegung. Die Fülle der himmlischen Seligkeit ergoß sich über die Heiligen; immer schärfer, immer greller tönten die Flöten; ein göttlicher Thau glänzte von den Stirnen der frommen Tänzer; trunken von Entzücken begannen sie nach und nach zu wanken, und allmälig verschwand einer nach dem andern in den Armen ihrer Vicarien, die mit triumphirendem Lächeln jeden in seine Zelle brachten, wo sie bis zum Abend schliefen, rauchten und Gott und dem Derwisch-Baschi dankten, daß sie ihnen Kraft zu diesem geistigen Kampfe verliehen hatten.

Die Ceremonie war kaum geendigt, als ich einen Blick auf die Gallerie warf, um zu sehen, welchen Eindruck dieses Schauspiel auf die Frauen hervorgebracht habe. Aber ach! in der Türkei haben die Frauen keine Seele zu retten oder zu verlieren, und die Männer müssen ohne sie das Paradies gewinnen. –


Zustand der Indianer in Mexico,

von einem Mexicaner.

Ich gestehe, daß ich außer Stande bin, irgend einen Unterschied zwischen dem Zustande der Negersklaven und der Masse der Indianer in unseren Haciendas und Landgütern zu entdecken. Wenn die Sklaverei der ersteren aus dem barbarischen Rechte der Gewalt entsprang, so rührt die der letztern aus einem schändlichen Mißbrauch ihrer Einfalt und ihrer Unfähigkeit zu überlegen her. Der Eigenthümer oder Aufseher eines Gutes geht in ein indianisches Dorf, versammelt die Einwohner, und erklärt ihnen, mit heuchlerischem Wohlwollen, daß er nur ihr Bestes wolle, indem er sie für gute Bezahlung und auf kurze Zeit anzustellen wünsche; dann bietet er eine Summe von Realen als Lockspeise an, was schnell unter den armen Geschöpfen umherkommt. Bei dem Anblick einiger Dollare, der ihren Augen etwas Neues ist, werden sie bald überredet, das Anerbieten anzunehmen und folgen nach der Hacienda. Hier in einem elenden Stalle eingeschlossen, müssen sie um 3 Uhr Morgens aufstehen, um wo möglich vor Sonnenaufgang bei der Arbeit zu seyn. Wer noch bleibt, setzt sich den gröbsten Gewaltthätigkeiten aus. Ueber ihre Arbeit hat ein Aufseher den Befehl, der mit schändlicher Barbarei die Peitsche über jeden schwingt, der, vielleicht zu schwach oder erschöpft, nicht mit den andern Schritt halten kann. Kaum ein Augenblick ist für das Frühstück erlaubt, und Prügel rufen den vom Mahl, der zu lange dabei bleibt, zur Arbeit, die bis Sonnenuntergang unausgesetzt dauert. Nach Sonnenuntergang dürfen sie rasten und nach Hause gehen, wo sie selten vor 10 Uhr ankommen, um ihre kurze Ruhe auf dem harten und kalten Boden zu finden. An Festtagen müssen sie Extraarbeit (faena) bis 3 Uhr Nachmittags verrichten. Keine Entschuldigung schützt sie gegen Arbeit; und selbst wenn sie erschöpft von Krankheit hinsinken, so kennt man keine Arznei als die Geißel. Sie haben kein Mittel, Schutz zu erhalten, denn sie sind zu unwissend, um einen vernünftigen Bericht ihrer Leiden zu geben, und werden von jeder Forderung um Gerechtigkeit durch Gewalt zurückgebracht, oder durch die Feilheit des Richters, den der wohlhabenden Herr besticht. Ein Vorfall solcher Art fand vor einigen Jahren statt. Ein Aufseher tödtete einen Indianer mit der Peitsche, und die That war so bekannt, daß die Aufmerksamkeit der ganzen Nachbarschaft darauf gerichtet war; die Klagen der Hinterbliebenen waren laut, und jeder hielt es für ganz gewiß, daß Gerechtigkeit nicht versagt werden würde, als der Missethäter unbestraft und im Triumph nach Hause kehrte.

American Review No. IV. December 1827,


Mehr oder Weniger.

Der französische Marineminister, Hyde de Neuville, machte der Deputirtenkammer den Vorschlag, der Schwester des Fähndrichs Bisson, welcher sein Schiff in die Luft sprengte, um es griechischen Piraten nicht in die Hände fallen zu lassen, eine Pension von 1200 Fcs. zu bewilligen. Nach einer glänzenden poetischen Rede, in welcher er den Kampf von 15 Franzosen gegen 130 Griechen beschrieb, fügte er hinzu: Die Zahl allein entschied das Schicksal des Tages. Der brave Bisson hatte alles vorbereitet; er zog sich zurück aus dem Gefecht, sagte: Adieu, Pilot, es ist Zeit zu enden! hielt die Lunte an das Pulver; das Opfer ist vollbracht und Frankreich zählt einen Heros mehr!“ Die Literary-Gazette meint, daß der Tod des Heros nicht einen mehr, sondern einen weniger gemacht habe. – Ein schlechter Witz!



Geschichte von Nordamerika.

Unter allen den verschiedenen Werken, die bisher diesseits und jenseits des atlantischen Oceans über die ältere Geschichte des englischen Nordamerika erschienen sind, nimmt nach dem Urtheil der Amerikaner [1] das von John Marshall, welches zuerst vor drei und zwanzig Jahren als Einleitung zu seinem Leben Washington’s erschien, den ersten Rang ein. Vor Kurzem hat der Verf., gegenwärtig einer der Oberrichter (Chief Justices) der Vereinigten Staaten, eine besondere, völlig umgearbeitete Ausgabe desselben veranstaltet: A History of the Colonies planted by the English on the Continent of North-America from their settlement to the Commencement of that War which terminated in their Independence. (Philadephia, 1827. 8). Eine seltene Erscheinung, die aber allein hinreichend den Geist dieser neuen Bearbeitung characterisirt, ist, daß durch sie das ursprüngliche Werk nicht dickleibiger aufgeschwellt, sondern von 722 zu 457 Octavseiten zusammengedrängt worden ist, ohne daß es deshalb dem Verf. für seine scharfsinnigen und auf die tiefste Kenntniß der menschlichen Natur gegründeten Urtheile an Raum gefehlt hätte.

  1. S. North-American-Review, January p. 1.

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 548. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_572.jpg&oldid=- (Version vom 20.9.2023)