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Das Ausland. 1,2.1828

beständig einen Dolch im Gürtel tragen, und niemals ausgehen, ohne mit einer Sagaje oder Flinte bewaffnet zu seyn. Die schlechtesten Subjecte müssen, im Falle wiederholter Vergehen, das Land verlassen. Während eines Aufenthaltes von acht Jahren habe ich nur von einem einzigen Verbrecher gehört, der zum Tode verurtheilt, und erschossen wurde.

Die Neger sind (mit Ausnahme der Marabuts) im allgemeinen von heftiger, gewaltthätiger Gemüthsart, dem Trunk ergeben, plump und zudringlich; auf der andern Seite aber auch heiter, gutmüthig und von einnehmendem Aeußern. Der Marabut (eine Art Priester, oder, wenn man so sagen darf, Gelehrter) ist ernster, sittlicher und überhaupt interessanter; er hängt am Boden, an den Erinnerungen der Familie und der Kindheit, ungern verläßt er die väterliche Hütte, das Feld, das seine Väter bauten. Umgeben von seinen Frauen, seinen Kindern, im ungestörten, friedlichen Besitz eines Pferdes und einer kleinen Heerde, zeigt das Haupt der Familie einen festen, unabhängigen Charakter, der nicht ohne Würde ist. Obgleich wenig mit unserer Art von Civilisation vertraut, ist er dennoch entfernter vom Stande des Wilden, als man glauben sollte; gerne räsonnirt er und unterrichtet sich, und eine einzige Thatsache wird hinreichen, um zu beweisen, daß durch die Bemühungen der Marabuts die Bildung im Fortschreiten ist; man trifft Dörfer, in denen mehr Neger arabisch lesen und schreiben können (obgleich das Arabische für sie eine blos todte und gelehrte Sprache ist) als in manchen Dörfern Frankreichs die Bauern französisch lesen und schreiben können.

Der Brak und die Häuptlinge nehmen an dieser günstigen Entwicklung keinen Theil. Sie überlassen sich dem Trunk, der den Marabuts ein Gräuel ist, und rechnen es sich zur Ehre, daß sie nicht schreiben können, wie ein Theil des europäischen Adels, zu der Zeit, als die Städtefreiheit sich Bahn brach, mit seiner Unwissenheit und der Barbarei seiner Sitten prahlte.

Wenn sie sich begegnen oder von einander Abschied nehmen, so fragen sie sich dreimal gegenseitig, ob man zufrieden, ob man wohl sey, wobei die Eigenheit auffällt, daß sie sich zuerst nach dem sittlichen Wohlseyn, und dann erst nach dem physischen erkundigen. Sie haben auch unser: guten Morgen, guten Tag, guten Abend, gute Nacht.

Die Walos sind von Natur fröhlich und geschwätzig. Sie gefallen sich in langen Unterhaltungen, wiederholen gerne die Traditionen ihres Landes, unterhalten sich von Reisen und Schlachten, und erzählen sich Mährchen, die mir sehr bemerkenswerth schienen, und von denen ich eine Sammlung bekannt machen werde. Auch haben sie eine Art Räthselspiele. Die vorzüglichste Tugend ist die Gastfreundschaft. Gewöhnlich ißt man vor der Thüre; ist nun die Mahlzeit aufgetragen, so kann jeder kommen und Theil nehmen. Der Fremde, der Reisende greift zu, ohne daß er ein Wort zu sagen braucht, und ohne daß ihn jemand fragt, wer er sey. Der natürliche gastfreundliche Sinn der Walos ward noch bestärkt durch die mahometanische Religion, die sie größtentheils angenommen haben. Sie legen große Wichtigkeit auf die Aeußerlichkeiten der Religion; übrigens sind die Gebete, die sie in arabischer Sprache verrichten, für einen großen Theil von ihnen unverständlich, und sie haben weder einen Begriff von den Dogmen noch von der Geschichte des Islamismus. Viel halten sie auf Amulette, Gris-gris genannt — kleine Stücke Papier mit arabischen Charakteren, welche heilige Stellen aus dem Koran enthalten sollen; sie sagen das bringe Glück— ein Wort das man auch bei uns kennt. Was aber zu verwundern ist, selbst die Marabuts, die jene Amulette verkaufen, scheinen von ihrer Wunderkraft überzeugt. Auch Feuer- und Wasserproben finden statt. Große Verehrung hegen sie, gleich den alten Galliern, für eine Art Misteln, die sie Tob nennen. Sie glauben an gute und schlimme Tage, an Zeichen und Vorbedeutungen, an böse Geister, Gespenster und Hexen. Die Hexen verfolgt man, wie sie einst bei uns verfolgt wurden; nur sind die Afrikaner zu menschlich, um sie zu verbrennen: man verkauft sie blos als Sklaven, was einst für den Sklavenhandel und den Schatz des Fürsten eine sehr reichliche Quelle abgab. Damals gab es Hexen im Ueberfluß; seit der Sklavenhandel aber von den Mächten verboten wurde, sind sie viel seltener geworden. Sie haben auch einen Teufel, aber dieser ist weiß. Welcher ist nun der rechte, unser schwarzer, oder jener weiße? Das gäbe eine interessante Streitfrage für unsre Gelehrte; haben sie sich doch schon über viel geringere Dinge gezankt! Vorurteil und Aberglauben — welcher Stoff zu langen Capiteln, und wahrlich nicht blos bei den Negern!

Oft war ich erstaunt über die zahlreichen Züge von Aehnlichkeit, die ich zwischen diesen Afrikanern und den Bauern von mehr als Einer Provinz Frankreichs fand. Der Geist des Gewinns macht die einen wie die andern neugierig, habsüchtig, listig, vergeßlich gegen Wohlthaten und sehr geneigt, sich auf Kosten dessen, den sie als reich betrachten, etwas anzueignen. Sie streiten sich häufig, aber blos aus natürlicher Lebhaftigkeit, ohne Groll. Schimpfen sie auch zuweilen aufeinander, so empfangen sie doch jeden, der ihnen entgegen kommt, höflich und gefällig. Von Natur heiter, lieben sie Musik, Tanz und Gespräch. Die Tafel tröstet sie über jede Mühe, jeden Verdruß. Liebenswürdig, dienstfertig gegen Frauen, und vortreffliche Väter. Gedankenlos gehorchen sie der Obrigkeit, mehr aus Gewohnheit als aus Furcht. Weniger religiös als abergläubisch, deren sie in einer Sprache, die sie nicht verstehen, halten sich blos an die Aeußerlichkeiten, trauen auf Amulette, und vererben den Glauben an die abgeschmacktesten Hoffnungen und Schrecken von Geschlecht auf Geschlecht, ohne von der Wiege bis zum Grabe etwas von ihren Vorurtheilen sich nehmen zu lassen. — So sind die Schwarzen, so die Weißen!

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 420. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_438.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2023)