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Das Ausland. 1,2.1828


Rußlands asiatische Politik.

[1]


Wenn Rußland seine Grenzen in Asien ausdehnt, soll man darüber klagen? Nie hat der Grundsatz der Stabilität, durch welchen die heilige Allianz den Frieden sicherte, außer Europa gegolten, und die Engländer, welche gegenwärtig so gerne mit Rußland wegen Verletzung dieses Grundsatzes rechten möchten, haben ihm selber in einem Theil der Erde, den sie mit ihren Flotten erreichen konnten, je beobachtet. Rußland, sofern es sehr mächtig ist und schwache Nachbarn hat, wird erobernd; es zieht zu sich heran, was in die Nähe seiner Sonnenbahn kommt. Dieselbe Erscheinung zeigt die Geschichte aller Völker. Europa mag sich Glück wünschen, daß der Osten Rußland einen so ungeheuern Spielraum darbietet, welchen verfolgend, es sich nothwendig immer weiter vom Westen entfernt, wo in erster Linie Oesterreich und Preußen, in zweiter Frankreich eine mächtige Schildwache bilden. Was soll das Gerede von der Großmuth in der Politik?

Parcere subjectis et debellare superbos,

Aber vergesse Rußland nicht, daß es die schöne Aufgabe hat, deren Erfüllung ebenso sehr seine Ehre als sein Interesse von ihm fordert, die eroberten Länder nicht wie die Krym in öde Wüsten zu verwandeln, sondern mit den Segnungen europäischer Kultur zu erfreuen. Gewiß werden dann in Europa die Besorgnisse schwinden, mit welchen man seit langer Zeit jede Vergrößerung der russischen Macht zu betrachten gewohnt ist. — —

Die Kirgisen und einige andere Nomadenstämme vom Geschlecht der Kalmücken bewohnen eine Landstrecke, die an Flächenraum wenigstens so groß als Frankreich mit Einschluß des Königreichs der Niederlande ist. Dieses große Gebiet‚ ein Theil der sogenannten freien Tatarei, ist in den letzten Jahren, fast ohne daß man in Europa etwas davon erfahren hat, mit dem russischen Reiche vereinigt worden. Es war nicht die Waffengewalt Rußlands, sondern die Gewinnsucht der Häuptlinge jener Völkerschaften, welche sie dem Hof von St. Petersburg unterwarf, indem sie einen Vergleich eingingen, die Caravanen, die jährlich von Orenburg und der sibirischen Grenze nach Bokhara ziehen, nicht mehr zu beunruhigen. Kaum waren die kirgisischen Fürsten in Unterhandlungen mit den Agenten des russischen Gouvernements getreten, als dieses auch bereits damit anfing, ihr Land gegen Westen durch eine Kette von Militärposten zu umschließen, in der Absicht, die Fortdauer ihrer guten Gesinnungen zu sichern. Diese Linie, die mit Cosacken und andern Truppen besetzt ist, geht von dem Fort Zverinogolovska auf dem linken Ufer der Abouya bis zum See Denghiz-koul, von da südwärts, darauf südöstlich über die Redouten Avlikouiskaja, Tschiyanli, Danabika, Gipsovoi, Naourvoumskaya, Kabanei, Kaikoupa, Saritourai, Moukourkoupa, Alebastrovoi und Yelaminskoi, die sänmtlich erst seit der Unterwerfung der Kirgisen gebaut wurden. Die letzte liegt auf dem rechten Ufer des Yalama-tourgai, der westwärts fließt und sich mit dem Tourgai vereinigt. Von da wendet sich die neue Grenze südöstlich bis zu den Gebirgen, denen sie eine bedeutende Strecke folgt. Weiter umgeht sie den obern Lauf des Yar-yakhschi und seiner Nebenflüsse, fährt fort ihre S. O. Richtung zu verfolgen bis zu dem Khaltaigebirge


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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 405. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_423.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2023)
  1. Nach der Histoire secrète du Cabinet de Buonaparte (Londres 1809) hatte der Tractat von Tilsit folgende geheime Artikel:
    • 1. Artikel. Rußland wird Besitz nehmen von der europäischen Türkei und seine Eroberungen so weit ausdehnen, als ihm geeignet scheint.
    • 2. Die Dynastie der Bourbons in Spanien und des Hauses Braganza in Portugal soll aufhören zu existiren; ein Prinz von dem Blute der Familie Napoleons soll mit der Krone dieser Königreiche bekleidet werden.
    • 3. Die zeitliche Macht des Pabstes wird aufhören und Rom mit seinen Dependenzien dem Königreich Italien einverleibt werden.
    • 4. Rußland macht sich verbindlich, mit seiner Marine Frankreich zur Eroberung von Gibraltar beizustehen.
    • 5. Die Städte in Afrika, wie Tunis, Algier u. s. w. sollen von Frankreich in Besitz genommen, und, bei dem allgemeinen Frieden, alle Eroberungen, welche die Franzosen während des Krieges in Afrika gemacht haben, den Königen von Sardinien und Sicilien als Entschädigungen gegeben werden.
    • 6. Malta soll von den Franzosen besetzt und nicht eher ein Friede mit England gemacht werden, bis diese Insel an Frankreich abgetreten ist.
    • 7. Aegypten soll gleichfalls von den Franzosen besetzt werden.
    • 8. Nur Schiffen, die den folgenden Mächten gehören, nämlich Frankreich, Rußland, Spanien und Italien, soll erlaubt werden, in dem mittelländischen Meere zu segeln; alle andern sollen ausgeschlossen seyn.
    • 9. Dänemark soll, wenn es einwilligt, seine Flotte Frankreich zu überliefern, im Norden von Deutschland und durch die Hansestädte entschädigt werden.
    • 10. Ihre Majestäten von Rußland und Frankreich werden versuchen, zu einem Arrangement zu kommen, daß in Zukunft keiner Macht erlaubt seyn soll, Schiffe in die See gehen zu lassen, außer wenn sie eine gewisse Anzahl von Kriegsschiffen unterhält.
    Wie wenig es indessen Napoleon mit jenen Concessionen Ernst war, ersieht man aus Histoire de Napoléon par Monsieur de Norvins. Tom. III, p. I. (Par. 1828.) In der Botschaft, durch die Napoleon am 29 Januar 1807 dem Senat von dem Bündnisse mit dem Hause Sachsen Nachricht gab, finden sich folgende Worte, die dem Gegenstande der Mittheilung ziemlich fremd zu seyn scheinen: „Wer könnte die Dauer der Kriege, die Zahl der Feldzüge berechnen, die es eines Tages kosten würde, um die unglücklichen Folgen wieder gut zu machen, die aus dem Untergange des Thrones von Constantinopel hervorgehen würden, wenn feige Friedensliebe und das Verlangen nach den Vergnügungen der Hauptstadt die Rathschläge einer weisen Vorsicht zurückdrängten? Wir würden unsern Enkeln eine unermeßlihe Erbschaft von Elend und Unglück hinterlassen. Wenn die griechische Tiara einmal siegreich vom baltischen Meere bis zum Mittelmeere erhoben ist, so werden wir bald unsere Provinzen durch Schaaren von Fanatikern und Barbaren angefallen sehen, und wenn in diesem zulange verschobenen Kampfe das civilisirte Europa erliegen sollte, so würde unsere strafbare Gleichgültigkeit mit Recht den Unwillen der Nachwelt erregen und für immer ein Schmachfleck in unserer Geschichte seyn."