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Das Ausland. 1,2.1828

Sokrates (VII 29), wegen seines Feuereifers selbst die Orthodoxen einen „Mordbrenner“ nannten, wie konnte solch ein Mann sich der Ketzerei nur verdächtig machen? Es geschah dadurch, daß er Maria nicht eine Gottesgebärerin (θεοτόκος) nennen wollte; „denn wenn Gott eine Mutter hätte, so müßte man die Heiden entschuldigen, daß sie Mütter der Götter eingeführt haben, so lügt Paulus, wenn er von Christus sagt, er sey ohne Vater, Mutter und Geschlechtsregister.“ „Das Geschöpf hat den Menschen als ein Werkzeug der Gottheit geboren,“ sagte er in einer seiner Predigten, „der heilige Geist hat nicht Gott, das Wort, erschaffen, sondern hat demselben aus der Jungfrau einen Tempel zur Wohnung auferbaut.“

Diese Lehre von der Natur Christi fand zu Constantinopel, vielleicht gerade ihrer Einfachheit wegen, den heftigsten Widerspruch. Christus, erklärte man, ist der Heiland, der zugleich Gott und zugleich Mensch ist, und dieß „ohne alle Verschmelzung und Vermischung.“ Die Patriarchen von Alexandrien, die lange schon das wachsende Ansehen des Patriarchats zu Constantinopel mit neidischen Augen angesehen hatten, gebrauchten mit großem Erfolg die Waffe der in diesen Zeiten so schrecklichen Beschuldigung ketzerischer Gesinnungen, um das Ansehen des Patriarchen und somit des patriarchalischen Sitzes selbst herabzuwürdigen. Der heilige Chrysostomos hatte in dieser Beziehung traurige Erfahrungen gemacht, noch schlimmer sollte es aber dem Ketzerfeind Nestorius ergehen. Mit Freuden ergriff Cyrillus die Gelegenheit, seinen Collegen in Constantinopel der Ketzerei anzuklagen; er machte die wüthenden Möche in Constantinopel durch geheime Hetzbriefe wo möglich noch wüthender, und ließ in alle Lande offene Sendschreiben an Nestorius ergehen, mit Anathemata reichlich ausgestattet. So wurden die Geister nach den Absichten des Cyrillus auf die dritte ökumenische Synode zu Ephesus (431) vortrefflich vorbereitet. Hier, ich gebrauche die Worte des ruhigen und gelehrten Schröckh (XVIII 239), wurden von Cyrillus selbst Erdichtungen angewendet, um seine Absicht, den Nestorius verdammen zu lassen, so geschwind als möglich zu erreichen; er versicherte, der Kaiser habe befohlen die Religionshändel ohne weitern Verzug durchzugehen; und er wußte es auch dahin zu bringen, daß die ganze Versammlung als ihr das Antwortschreiben des Nestorius auf die Anathemata des Cyrillus vorgelesen wurde, ausrief: „Wer den Nestorius nicht anathematisirt, der sey selbst Anathema! Ihn anathematisirt der rechte Glaube, ihn anathematisirt die heilige Synode!“ So weit selbst ging der Haß gegen den verurtheilten Patriarchen, daß sich die Synode nicht entblödete ihn in der Aufschrift des Schreibens, worin ihm seine Verdammung angezeigt ward, einen „neuen Judas und Verläugner des Herrn“ zu nennen.

Aus der sogenannten Ketzerei des Nestorius, (eine erschöpfende Definition derselben müssen wir den Eingeweiheten überlassen,) entwickelte sich nach Art und Weise der leeren Klopffechterei eigensinniger Schulmonarchen, gerade eine dem Nestorius ganz entgegengesetzte, und von ihren Anhängern ebenfalls mit dem größten Eigensinne verfochtene Irrlehre, – wir meinen nämlich den Einheitsglauben der christlichen Natur des Archimandriten Eutyches, Rabbi Simeon Jzchak, ein ausgezeichneter Lehrer der jüdischen Synagoge zu Metz, im eilften Jahrhundert unserer Zeitrechnung, verzweifelte einst, einen Grund aufzufinden, warum Rabbi Samai bei einem gegebenen Falle dem Rabbi Hilel im Talmud von Jerusalem widerspreche; er eröffnete sein Anliegen einem seiner vertrautesten Freunde. „Thor,“ antwortete dieser, „mußte nicht Samai dieses behaupten, da Hilel sich für jenes erklärt hatte?“ Mußte nicht, sagen auch wir, mußte nicht Eutyches, im schroffen Gegensatze zur zwiefachen Natur des verfluchten Nestorius, die Einheit der göttlichen und menschlichen Natur in Christo behaupten, und, um diese Einheit ganz vollkommen zu machen, selbst eine Vermischung und Vermengung der doppelten Natur, wie diese bei dem Menschen der Fall ist, annehmen? Zwar hat Eutyches nichts gesagt, was nicht Gregorius der Wunderthäter, der heilige Athanasius, der römische Bischof Julius und selbst der Grund- und Eckstein aller Orthodoxie Cyrillus schon längst ausgesprochen hätten,[1] zwar nennt Pabst Leo der Große unsern Archimandriten einen äußerst unwissenden Alten, und der Bischof Flavianus läßt ihn gar vom Teufel besessen seyn, doch alles dieses vermochte nicht zu verhindern, daß der „unwissende Alte“ sich nicht zu einem großen Ansehen bey seiner Partei emporgeschwungen und daß der vom „wilden Teufel Besessene“ die Kirche Gottes nicht in ihren Grundfesten erschüttert, und noch bis auf den heutigen Tag gespalten hätte.

{F. f.)


  1. Wen das Einzelne dieser haarspaltenden Untersuchungen interessirt, der kann es in dem Werke des Christian August Salig finden: De Eutychianismo ante Eutychen sive de Eutychianismi vere ac falso suspectis. Tractatus historicus et theologicus. Wolfenbutt. 1723. 4.

Cobett’s Sendschreiben an den Herzog von Wellington.


Zweiter Brief.
(Schluß.)

Es fragt sich nun, wie das Parlament dazu kam, jene dem Lande so verderbliche Beschlüsse zu fassen; und hier stoßen wir denn auf den Punkt, der, so lange ich etwas von Staatsgeschäften weiß, stets ein Stein des Anstoßes für das Volk, und ein Gegenstand des Widerstrebens von Seiten des Parlaments war. Nach einer aufmerksamen Prüfung von dreißig Jahren kann ich den Grund in nichts anderem finden, als darin, daß der größern Masse des Volkes keine Stimme bei der Wahl derer eingeräumt ist, welche die Macht haben, es mit solchen Beschlüssen zu belasten. Man hört bescheidene Leute, die, wie vor drei Jahren Lord Goderich, dem Lande gern allerlei Dinge vom Glück des Volks, vom blühenden Zustande der Einkünfte und von der Unnöthigkeit einer Parlamentsreform weis machen möchten; diese Leute hört man oft fragen, ob denn irgend ein anderes Parlament besser gehandelt haben könnte. Ohne der skrupulösen Bescheidenheit dieser vortrefflichen

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 398. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_416.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)