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Das Ausland. 1,2.1828

Volk stets in jenem gemischten Zustand von Thätigkeit und Hungersnoth zu erhalten, in welchem dem Arbeiter, halb unter dem Namen Lohn, halb unter dem Namen Armengeld, immer nur so viel gereicht wird, als unumgänglich nöthig ist, ihn am Leben zu erhalten, damit er noch länger der Sklave seines Dienstherrn bleibe.

Die Quelle dieses Martersystems ist nirgends anders als in der ungeheuren Last der Abgaben zu suchen. Der Dienstherr wird durch den Steuereinnehmer auf jede Weise gedrückt. Er kann diese Last nicht von sich abwälzen; sie muß bezahlt werden. Seine Hausgeräthe, seine Früchte auf seinem Gute, seine Waaren in seinem Lager, seiner Fabrik – alles kann ihm der Steuereinnehmer im Moment mit Beschlag belegen. Da läßt sich nichts abziehen und nichts herunterhandeln. Der Arbeiter ist der Einzige, dem er etwas abzwacken, und dessen Loos er jeden Augenblick noch schlechter machen kann, als es bereits ist. Wenn wir bedenken,daß es Millionen sind, die in diesem Zustande unmittelbarer Abhängigkeit leben, ja daß es wenigstens neun Zehntheile der Nation sind, so müssen wir einsehen, daß der Gesammtbetrag des Lohnes derer, die alle Arbeit thun, ungeheuer seyn muß. Diese Summe nun bestreben sich die Dienstherren immer mehr und mehr zu verringern. Ueber das Elend, das sie dadurch über ihre armen Arbeiter bringen, beruhigen sie sich in ihrem Gewissen durch die hohen Abgaben, die sie zu dieser Art von Selbstvertheidigung gleichsam zwingen. Von dem auf solche Weise verkümmerten Lohne muß aber auch der Arbeiter seinerseits wieder noch einen Theil der Abgabenlast tragen. Er braucht Lebensmittel; aber diese Lebensmittel sind indirect besteuert, und so muß, wer sie verzehren will, auch die Steuern mitbezahlen, die darauf lasten.

So ist es gekommen, daß die immer zunehmende Vergrößerung der Abgaben stets gleichen Schritt hielt mit der Vergrößerung der Armuth und der Noth – ein Satz, der jetzt so wenig mehr eines Beweises bedarf, als daß die Vögel fliegen und das Feuer brennt.

Nachdem wir nun in den ungeheuern Steuern die Quelle des Elends gefunden haben, so lassen Sie uns, mein Herr Herzog, auch die Quelle der Steuern aufsuchen.

Diese Quelle liegt in der Staatsschuld, in der todten Last[1], der stehenden Armee, der Marine, den Pensionärs, dem ganzen Sinecure-Volk, Männern, Weibern und Kindern, endlich in jenem zahllosen Heere von Beamten sowohl zu Hause als in den Kolonien. Die Staatsschuld und die todte Last verschlingen von den Abgaben jährlich vierzig Millionen Pfund Sterling. Was sie übrig lassen, das frißt die Armee und die Flotte, ungeachtet die Gesetze Englands, zu deren Heilighaltung man doch stets das Volk ermahnt, erklären, daß in einem freien Lande weder stehende Truppen noch Casernen existiren sollen. Blackstone sagt: „Die englische Constitution weiß nichts von einem regelmäßig stehenden Heere.“ Noch weniger wissen Englands Gesetze davon etwas, daß man tausend und aber tausend Offiziere in Dienst und Sold erhält, nachdem ihre Dienste längst entbehrlich geworden sind. Wozu ferner dreißigtausend Seeleute? Eine Seemacht ist unserem Lande unumgänglich nothwendig; aber sonst reichte der sechste Theil dessen hin, was man jetzt braucht. Als neulich das Finanz-Committee niedergesetzt wurde, drückte Hr. Maberly den Wunsch aus, das Committee möchte die Befugniß erhalten, die Sachen bis auf den Grund zu untersuchen. Zu untersuchen! Welche Untersuchung ist nöthig, wenn die Thatsachen leuchten wie der Schweif eines Cometen, wie die Flamme einer in Gluth auflodernden Stadt? Indessen kann man nicht behaupten, daß wir für unser Geld nichts haben, was wir zeigen könnten; denn ein kostspieligeres, ein prächtiger und alberner aufgeputztes Heer von menschlichen Geschöpfen findet sich wohl auf der ganzen Welt nicht wieder.

Wenn nun aber Sie und Ihre Collegen nicht geneigt sind, die Last der Nation zu erleichtern, was soll dann das Volk von dem Finanz-Committee erwarten, das Sie ernennen, von dem Parlament, das Ihnen gehorcht? Hr. Maberly wünscht, das Finanz-Committee möchte mit der ganzen Vollmacht des im Jahr 1817 errichteten Finanz-Committees bekleidet werden. Das muß ein gewaltiges Committee gewesen seyn! Ohne Zweifel hat es der Verschwendung furchtbare Schranken gesetzt, und die Ausgaben der Nation um ein sehr Bedeutendes vermindert. Lieber Himmel! von all dem war keine Rede. Es hockte zum Sterben lange bei einander, der Druck des Berichtes mit seinem Appendix kostete der Nation eine enorme Summe Geldes, allein von jenem Tage bis auf die heutige Stunde hat die Nationalschuld stets zugenommen, die Masse der Ausgaben sich stets vergrößert; nicht ein Batzen wurde auf der einen Seite erspart, für den nicht auf der andern fünf Kreuzer[2] wieder ausgegeben wurden. Und nun, nach dieser zehnjährigen glänzenden Erfahrung, hat sich ein neues Committee niedergesetzt, oder ist eben im Begriff niederzusitzen, um unsere Sehnsucht nach Erleichterung aufs neue zum Narren zu halten.

Lassen Sie uns nun, mein Herr Herzog, auf dem stetigen Wege der bisherigen Untersuchung, auch die Quellen der Staatsschuld, der todten Last, des stehenden Heeres, der übergroßen Seemacht, der Pensionen, Sinecuren, Schenkungen etc. etc. etc. näher in’s Auge fassen, welche in einem Zeitraum von 35 Jahren die Auflagen von sechszehn Millionen bis auf sechszig Millionen anschwellten. Da jedes Sechspencestück von dem Parlamente bewilligt werden muß, so ist es also das Parlament, dem dieser Meisterstreich gelungen ist, in der kurzen Zeit, seitdem wir zwei, Sie und ich, auf die Bühne getreten sind, uns mit sechszig Millionen statt der früheren sechszehn zu beschenken.

Es gibt viele Leute, welche über diesen Gegenstand gewaltig viel schreiben und schwatzen, welche nicht müde werden, die verborgensten Gründe zur Erklärung dieser Parlamentsbeschlüsse aufzusuchen, oder vielmehr zu deren Rechtfertigung, welche gewöhnlich darauf hinausläuft, daß jene

  1. the dead-weight.
  2. Ein Penny gegen fünf Farthings, deren vier auf einen Penny gehen.
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 391. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_409.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)