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Das Ausland. 1,2.1828

Calembourgs[1] – sind wahre Fesseln für den Schriftsteller, der immer fürchten muß, etwas zu sagen, was er nicht sagen wollte; sie sind die Schmarotzerpflanzen, die das Mark der Sprache aussaugen, und ihr Wachsthum hindern. Dieser Uebelstand verliert sich jedoch in der ganz leichten Gattung der Poesie, die für die französische Sprache wie gemacht ist. Sie wirft dann jeden Zwang von sich und zeigt sich in allen ihren Reizen.

In der deutschen Sprache muß man genau die Bedeutung jedes einfachen oder Wurzelworts kennen, um das zusammengesetzte oder abgeleitete Wort richtig zu verstehen. Damit hängt der Vorwurf zusammen, welchen man der deutschen Sprache macht, daß sie etwas Schwankendes habe, daß ihr Schärfe und Bestimmtheit fehlen. Aber dieß kommt daher, daß ein deutsches Wort zu reich ist, um bestimmt zu seyn, daß es nicht nur die Vorstellung von dem Gegenstande erweckt, den es eben bezeichnet, sondern auch an das Wurzelwort mit seiner Grundbedeutung erinnert und zugleich noch die in den zusammengesetzten oder abgeleiteten Wörtern erscheinenden Modificationen der Grundbedeutung ahnen läßt. In einem deutschen Worte, gleichsam dem Bilde, welches einen Gedanken in allen seinen Situationen darstellt, kann man eine ganze Bahn geistiger Entwicklungen durchlaufen, und deswegen ist diese Sprache auch so wunderbar geeignet, das Leben der Seele zu malen, deren poetische Anschauungen unter den groben Pinselstrichen einer mehr materiellen Sprache die zarte Elasticität verlieren.

In der französischen Sprache hat jedes Wort seine beschränkte, seit langer Zeit festgestellte Bedeutung, welche das Vorzustellende in einer bestimmten Form des Seyns auffaßt, während die Grundvorstellung davon oft durch ein ganz anderes Wort ausgedrückt wird. Das Wort erhält seine Bedeutung gleichsam von seinem Buchstaben, über den es nicht hinausreicht; es ist ein Sclave, der immer zu einer und derselben Arbeit verdammt ist, ein Eunuche, der sich nicht begatten, der nicht zeugen kann. So erleidet auch die französische Wortverbindung weit mehr Beengung als die deutsche, welche nicht nur das Zeitwort häufig bis an das Ende einer nicht eben kleinen Periode aufspart, sondern auch manche Versetzungen erlaubt, so daß die oft sehr langen und verschlungenen Sätze große Aufmerksamkeit und Gedankenübung erfordern. Das Charakteristische der französischen Sprache ist ihre Positivität, vermöge welcher sie einen hohen Grad von Trockenheit und Unfruchtbarkeit besitzt, und zumal in der Poesie, wie Dubellay sagt, fremder Federn zum Fluge bedarf. Auf der andern Seite freilich täuschen die Wörter nicht durch Familienähnlichkeit; ein Schriftsteller, der die Sprache gut kennt, kann, abgesehen von jener calembourgschen Alliteration, was er sagen will, stets ohne Dunkelheit und Zweideutigkeit ausdrücken. Dieß ist ein großer Gewinn für die Wissenschaften, und man kann wohl zugestehen, daß in Werken dieser Gattung die französischen Schriftsteller denen anderer Völker zum Theil überlegen sind.

Die deutsche Sprache ist, wenn auch einzelne Mundarten von dieser Regel eine Ausnahme zu machen scheinen, im Ganzen eine wohlklingende Sprache mit starkem Accent. Um die französische Sprache gut zu sprechen, darf man gar keinen Accent haben, denn jeder Accent schmeckt nach der Fremde oder nach der Provinz: so daß die gute Aussprache eintönig und ausdruckslos ist. Uebrigens wenn die Franzosen ihr Vaterland außer Paris studirten, so würden sie finden, daß sich die französische Sprache in der Gegend von Blois (wie sie von den Bauern gesprochen wird), durch Tonfall, Accent und Wohlklang auszeichnet, Eigenschaften, die sie im Munde des Parisers nicht hat. Ein Mann verstand die französische Sprache zu bereichern, indem er, um alte Wörter und Redensarten zu verjüngen, in Blois, wo er geboren war, aus dem Volke, dem lebendigen Quell der Sprache, schöpfte. Dieser Mann ist der unglückliche Paul Louis Courrier, der als Opfer eines geheimnißvollen Meuchelmords, dessen Urheber noch nicht entdeckt sind, durch drei Kugeln fiel.

Mit den politischen Revolutionen gehen Ideen- und Sprach-Revolutionen Hand in Hand.

Als große Absonderungsprozesse sind sie um so gewaltsamer, jemehr fremdartiger Stoff, der ausgestoßen oder vernichtet werden muß, unter einem Volke sich angehäuft hat.

(Schluß folgt.)

Die Armenier.


(Schluß.)

Die Armenier von Constantinopel zeichnen sich aus durch patriarchalische Einfachheit ihrer Sitten. Ihre Liebe zu ihrer Familie erlischt selbst nicht mit ihrem Leben, sagt Dr. Walsh. Lange noch nach ihrem Tode stehen sie mit ihren Eltern oder ihren Kindern durch Erscheinungen und Gesichte in Verbindung. Dieser fromme Aberglauben ist die Quelle eines der sonderbarsten Gebräuche dieses Volks. In der Nachbarschaft Constantinopels hat jede Nation ihren eigenen Gottesacker. Der Gottesacker der Armenier liegt auf einem Hügel von bedeutender Ausdehnung, welcher den Bosphorus beherrscht. Die Türken pflanze beim Tode eines Verwandten oder Bruders eine Cypresse auf sein Grab. Ungeachtet sie diese Sitte von den Griechen

  1. Von tausenden hier ein paar Beispiele dieser Schön-Geisterei, wodurch mehr als ein Petit-Maitre sein Glück macht und seinen Ruf begründet. Als Karl X als König in Paris einzog, war schlecht Wetter; als er nach seiner Krönung einzog, war gut Wetter: da sagte man: „Quand il a fait sa première entrée, il a plu, quand il a fait la seconde, il n’a pas plu. Bei der Geburt des Königs von Rom fragte Jemand: Warum ist der Taback so theuer? „Parceque l’empereur a un nouveau né (nez) et que nous fumons“ fumer heißt auch unzufrieden seyn.) Welcher Deutsche erinnert sich nicht von 1813–15 her der Witzeleien: le vilain ton (Wellington), le plus chèr (Blücher), les plus chiens (Prussiens), les autres chiens (Autrichiens)? Indessen ist die oft unzüchtige Wortspielsucht ziemlich vergangen, und man findet sie nur noch in dem Munde einiger Greise als Nachklang des Jahrhunderts Ludwigs XV und XVI.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 383. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_401.jpg&oldid=- (Version vom 8.10.2021)