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Das Ausland. 1,2.1828

welche Narrheit ist es alsdann, anzunehmen, daß neben ihnen noch ein Gefühl der Scham sich geltend machen werde! Gewiß würde selbst Ihre Herzogin, wenn es kein anderes Mittel gäbe, um sich aus den Flammen eines brennenden Hauses zu retten, nackt in die Arme eines Haufens von Männern herabspringen, und diese Männer würden, statt über Schamlosigkeit zu schreien, vielmehr ihre Entschlossenheit loben. Sollte nun wohl ein Gefühl der Scham einen Menschen abhalten, einen Diebstahl zu begehen, um sich vor dem Hungertode zu retten?

Aber die große Menge dieser Vergehen? Es heftet sich keine Infamie an Vergehen, wovon einer sieht, daß sie von allen seinen Nachbarn eben so gut als von ihm selbst begangen werden. Die Strafe wird in diesem Fall als ein bloßer Akt der Rache betrachtet, und verliert alle beabsichtigte Wirkung auf die Gemüther. Der Gestrafte wird ein Gegenstand des Mitleids, ja einer Art Bewunderung; man nimmt Theil an seinen Leiden, man bewundert seinen Muth, seine Kühnheit, während das Gefühl der Rache gegen diejenigen erwacht, die die Strafe verhängten. Wenn alle im Elend sind, wenn kein Fleiß, keine Geschicklichkeit, keine Sorgfalt, keine Mäßigkeit, keine Sparsamkeit hinreicht, um den Arbeiter und seinen Kindern auch nur die Hälfte dessen zu verschaffen, was er an Brod, Kleidung und Holz nöthig hat, werden wohl in einem solchen Fall die, welche den Muth nicht haben zu stehlen, ihren, gleich ihnen leidenden Bruder für ehrlos halten, weil er durch dieses Mittel sich von Hunger, Durst, Nacktheit und Kälte, von denen sie selbst so schwer gedrückt werden, zu befreien sucht?

Die arbeitende Klasse des Volkes versteht nichts von den Spitzfindigkeiten des Gesetzes; sie hat weder Puffendorf noch Grotius gelesen, noch die Gesetze durch welche ihre Väter regiert wurden. Warum es gerade so ist, können diese Leute nicht sagen. Aber, selbst wenn sie die Bibel nicht gelesen haben, so wissen, so fühlen sie doch, schon blos von ihrem natürlichen Verstande geleitet, daß Gott nicht darum ein Land geschaffen, und mit allem Ueberflusse gesegnet haben könne, um diesen Ueberfluß einigen Wenigen zu Theil werden zu lassen, Millionen aber der Hungersnoth preiszugeben, und zwar gerade diejenigen, deren Arbeit dem Ganzen alle Nahrung, alle Kleidung, und überhaupt alles, was zum Genusse des Lebens nöthig ist, verschafft. Schon ihre bloße gesunde Natur prägt ihnen diese Lehre in Herz und Kopf, und beim Lesen der Bibel finden sie überall Grundsätze und Vorschriften, welche sie in dieser natürlichen Ansicht der Dinge bestärken. Du sollst dem Ochsen, der da drischt, das Maul nicht verbinden. Du sollst den Armen nicht von deiner Thüre weisen. Der Mensch soll arbeiten im Schweiße seines Angesichts, aber er soll leben von der Frucht seiner Mühe. von allen Sünden, denen Gottes Strafe verkündigt ist, lastet auf denen der schwerste Fluch, die den Arbeiter seines Lohnes berauben.

Wenn ein junger kräftiger Arbeiter, rechtschaffen, fleißig, mäßig und sparsam, von niemand einen Lohn erhalten kann, um sich die nothwendigsten Bedürfnisse des Lebens zu verschaffen, kann man da wohl erwarten, daß er sein Leben in ruhiger Zufriedenheit hinbringen werde; daß er seine Hände entfernt halte von fremdem Gute, und gewissenhaft das Gesetz des Landes befolgte, das unzulänglich ist, ihn vor dem stets näher und näher schreitenden Verderben zu retten. Unter solchen Umständen muß die Ehrlosigkeit ihren Charakter verlieren; sie hört auf, in den Begriffen der Menschen zu existiren. Diejenigen, welche durch den Diebstahl ihr Eigenthum verlieren, mögen den Dieb ehrlos nennen; für die arbeitende Classe des Volkes aber, die keine Rechtschaffenheit von Hunger und Kummer rettet, wird der Name Ehrlosigkeit ein leerer Schall, und da sie im Gefängnisse ein besseres Loos erwartet, als sie außerhalb desselben sich zu verschaffen mögen, so greifen sie in ihrer Noth nach dem nächsten besten, gleichgültig ob sie dadurch der für sie bedeutungslos gewordenen Infamie der Strafe anheimfallen oder nicht.

Unzählig sind die Beispiele, wo Engländer ihre Freude an den Tag legten, daß sie zur Transportation verurtheilt wurden. Im Jahr 1819 überreichte Curwen eine besondere Bittschrift von Leuten, die in den dringendsten Ausdrücken um die Wohlthat baten, nach Botanybay verwiesen zu werden. Erst vor wenigen Tagen stellte sich ein Mann, der wegen Wilderns verfolgt werden sollte, selbst vor dem Gerichte, und bat, daß man ihn ins Gefängniß schicken möchte, wo er wenigstens zu essen bekommen würde; und ein anderer, der in Lancashire zu siebenjähriger Verbannung verurtheilt wurde, rief den Richtern in höchster Freude seinen Dank zu. Und diese Dinge geschehen in England, in diesem England, seit Jahrhunderten berühmt durch seine Gesetze, und noch berühmter durch die Ehrfurcht, die das Volk den Gesetzen zollte! –

Hunderte, ja tausende von Plänen wurden entworfen, um den Lohn der Arbeiter stets weiter und weiter herabzudrücken. Die Fabrikherren, die Pächter und alle welche Arbeiten zu vergeben haben, spannten ihren Geist auf die Folter, um immer neue Mittel zu entdecken, den Arbeitern genau nur so viel geben zu dürfen, um sie vor dem unmittelbaren Tode zu schützen, und ihnen dennoch die Arbeit in derselben Zeit und mit demselben Gewinne abzupressen.

(Fortsetzung folgt.)

Deutsche und französische Sprache.


(Fortsetzung.)

Der Charakter der deutschen Sprache ist ein edler Ernst, den sie selbst im Scherz nicht verleugnet. Alles, was man im Französischen ernsthaft sagen will, kann possirlich gedreht werden. Die Franzosen sind mit ihrer Sprache umgegangen, wie Wüstlinge, welche das Mädchen, das sie zur Frau nehmen, verführen und schamlos machen. Ein Amalgam des Fremdartigsten, bietet die französische Sprache eine Masse von Wörtern dar, die, bei gänzlicher Verschiedenheit der Bedeutung, fast gleichen Laut haben: diese Wörter – wir meinen hauptsächlich die

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 382. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_400.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)