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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 95. 4 April 1828.

Die Armenier.

Nouvelles Annales des Voyages. Mars 1828.)

Von allen Christen der Levante verdienen die Armenier die meiste Beachtung. Mäßig, beharrlich, redlich, obgleich gewandt in Geschäften, allen Gewohnheiten der andern Völker sich anschmiegend, ohne ihren eigenen individuellen Charakter zu verlieren, sind sie überall gut aufgenommen. Sie haben sich in mehreren größern Städten Asiens und Europas niedergelassen, da sie aber kein Vaterland haben, so blieben sie, wie die Juden, in jedem Land Fremdlinge; auch werden diejenigen, welche in der Türkei leben, mehr als eine Secte, als wie eine Nation betrachtet.

Die folgenden Bemerkungen sind nur auf diejenigen unter ihnen anwendbar, welche Handel treiben; die andern, unter einer despotischen Regierung lebend, von Natur phlegmatischer als die Griechen, ohne Interesse an einem Land, selbst ohne den Wunsch nach Befreiung, sind Sklaven, und haben keinen andern Gegenstand des Strebens, als sich Vermögen zu erwerben. Ihre Schriftsprache, welche blos die Gelehrten verstehen, war nicht dazu geeignet, auch nur die ersten Grundzüge der Wissenschaften und der Künste unter ihnen zu verbreiten. Gleich den Griechen sind sie unter das doppelte Joch der Türken und ihrer Priester gebeugt, und vom abgeschmacktesten Aberglauben beherrscht.

Die Armenier haben manche Gewohnheiten und Gebräuche, welche den Fremden eben so sonderbar erscheinen, wie die der Türken. Wenn ihre Frauen ausgehen, so sind sie ebenfalls dicht eingehüllt und verschleiert, und unterscheiden sich von den türkischen Frauen nur durch die Farbe ihrer Firidjes oder Kaputzen. Ihre Hochzeitceremonien gleichen denen der meisten orientalischen Völker. Die Heirathen werden von den Eltern im voraus beschlossen, und zwar nicht blos vom zartesten Alter der Kinder an, sondern oft schon vor deren Geburt. Oft hat der Mann das Mädchen, das ihm angetraut wird, nie vorher gesehen. Dennoch sind die Ehen meist glücklich und der Ehebruch ist wo nicht unbekannt, doch äußerst selten. Man betrachtet die Ehe als das heiligste Band, und die Frauen leben blos für ihren Mann und ihre Kinder.

Die ersten Armenier Constantinopels sind, wie die Juden, Bankiers (Sarraffs). Sie kaufen die Münzsorten, welche niedrig im Preise stehen, und leihen den Türken Geld um 20 bis 30 Prozent. Dieß bildet die Hauptquelle ihres Reichthums. Mehrere ihrer Kornhändler, so wie ihre Goldschmiede, sind sehr besucht, da wenige Personen von andern Völkern dieses Geschäft treiben. Sie sind Mediziner, Chirurgen, Apotheker; auch die meisten Bäcker gehören dieser Nation an, so wie die besten Architekten, Tischler, Dreher, Brauer und Schlosser von Constantinopel. Die armenischen Lastträger sind die betriebsamsten und stärksten Leute der Welt. Die Armenier sind auch Wasserträger, Sorbethändler, Matrosen, Fischer, Seide-, Bänder- und Zelt-Fabricanten, und gelten für die besten Bereiter und Kutscher. Ihre Zitz und Mousselin-Druckereien übertreffen die europäischen. Kurz die Armenier sind die nützlichsten und industriösesten Leute des ganzen ottomanischen Reichs.

Nach dem Berichte des Dr. Walsch gibt es in Constantinopel und den umliegenden Dörfern 200,000 Armenier.[1] Ein Theil derselben erkennt die Suprematie des römischen Stuhls. Die eigentliche armenische Kirche aber erkennt keine andere Autorität in Sachen des Glaubens und des Unterrichts als die der vier Patriarchen von Etschmiazin, Sis, Cachahar und Achtamar, von denen der oberste, der den Titel des katholischen führt, in einem Kloster, einige Stunden von Erivan, residirt, die zwei andern in Klein-Asien wohnen, und der vierte in der jetzt russischen Provinz Schirwan. Diesen Patriarchen sind Erzbischöfe und Bischöfe untergeben. Einer dieser Erzbischöfe ist der Vorsteher der armenischen Gemeinde von Constantinopel, und führt ebenfalls den Titel Patriarch.[2]

  1. Einem öffentlichen Berichte der deutschen Missionsanstalt zufolge, zählt die armenische Kirche im Russischen Reiche 42,000 Seelen; in der Türkei 1,500,000; in Persien 70,000; zusammen 1,612,000. Die Zahl derer, die in Indien und andern Ländern leben, kann man auf 50,000 anschlagen, ohne die Armenier zu rechnen, welche die römisch katholische Religion bekennen.
  2. Im achtzehnten Jahrhunderte bildeten sich in Europa und Asien mehrere ähnliche Gemeinden, welche sich ohne einen öffentlichen Akt freiwillig mit der römischen Kirche vereinigten, indem sie den Pabst und die Hauptdogmen dieser Kirche anerkannten, jedoch einen Theil ihres alten Rituals beibehielten. Diese unirten Armenier sind sehr zahlreich in den türkischen Provinzen. Ihr Hauptort ist Angora, in Kleinasien. Die Pforte hat ihre Verbindung mit dem römischen Hofe nie offiziell anerkannt, und ihnen auch keine besondere Kirche verwilligt, sondern betrachtet sie, gleich allen übrigen Armeniern, als unter der Oberaufsicht des Patriarchen von Constantinopel stehend. Indessen genossen sie einer großen Freiheit, die nur 1781 und 1819 bedroht wurde, wo es einem, gegen sie feindlich gesinnten Patriarchen gelungen war, sie bei der Pforte in Mißcredit zu setzen. Als aber im vorigen Jahr die Provinz Erivan, in welcher der oberste Patriarch seinen Sitz hat, russisch wurde, erhielt die Pforte Nachricht, daß eine große Zahl Armenier aus den türkischen Provinzen auswandere und sich unter den Schutz ihres Patriarchen stelle. In dem Zustand von Mißtrauen, in welchem sich der Großherr befand, mußte ihn diese Nachricht sehr gegen die unirten Armenier aufbringen. Er fragte den Patriarchen von Constantinopel, ob er für die Treue der Armenier bürgen wolle. Der Patriarch lehnte rücksichtlich der mit Rom vereinten Armenier alle Verantwortlichkeit von sich ab. Nun befahl der Großherr, daß die letztern, ohne Rücksicht des Alters und des Geschlechts, welche seit einigen Jahren aus Angora gekommen waren, in Zeit von zwölf Tagen nach Asien zurückzukehren hätten. Zu gleicher Zeit berief sie der Patriarch zu einer Versammlung und forderte sie im Namen des Sultans auf, ihre Ketzerei abzuschwören; sie erhielten überdieß Befehl, ungesäumt Pera zu räumen, und mit ihren nicht unirten Glaubensgenossen zusammen zu wohnen. Die christlichen Minister erhielten auf ihre Verwendung zur Antwort, die Maßregel habe keinen Bezug auf Religion, sondern entspringe blos aus politischen Gründen.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 377. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_395.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)