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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 94. 3 April 1828.

Deutsche und französische Sprache.

[1]

Von einem Franzosen.

Während man die Geschichte der Kunst, der Literatur, der Sprache bei verschiedenen Völkern schrieb, hat man diese Geschichte durchaus nicht hinlänglich mit der des Volkslebens und des Bodens verknüpft, den das Volk baut und bewohnt. Wozu diese Trennung? Bezeichnen doch jene Ergebnisse der Einsicht und Bildung ein Volk viel besser als alle Ereignisse, die es mit andern Völkern in äußere Berührung bringen.

Die Art und Weise, wie sich ein oder mehrere Volksstämme zum Rang eines Volks erheben, die Momente, die fördernd auf die Sittigung eingewirkt, die Erschütterungen, die sie gestört und zu einer unförmlichen oder übereilten Cristallisation gemacht haben, der ganze Charakter des Volks – all dieß übt auf die Sprache einen eben so starken Einfluß als die Witterung, die Luft und die physische Natur überhaupt über den Körper und den Geist des Menschen üben. Ja jede große Revolution in der Wissenschaft oder im Staate bringt auch eine Revolution in der Sprache mit sich.

Wir können darum keine Betrachtung über deutsche und französische Sprache anstellen, ohne von den beiden Völkern und ihren bezeichnendsten Verschiedenheiten zu sprechen.

Das deutsche Volk, Entfaltung Eines Stammes, wenig gemischt, hat seinen Geschlechtern stets den Keim und Kern seiner Grundeigenschaften ungeschwächt vererbt. Es ist auch wirklich nicht schwer, bei den verschiedenen deutschen Stämmen die physischen und moralischen Grundzüge gemeinsamer Volksthümlichkeit zu finden und nachzuweisen. Der Boden, in welchen die deutschen Stämme ihre Wurzeln eingesenkt hatten, war noch jungfräulich, noch nicht von fremden Händen geformt und gemodelt. Die Römermacht während der Periode ihres höchsten Aufschwungs hatte kaum die Grenzen Germaniens zertreten, und als dieser Koloß zusammenstürzte, rollten seine Trümmer nicht auf den deutschen Boden, vielmehr kam die Reihe des Eroberns jetzt an die Deutschen. Als aber Kaiser Karls des Großen unnatürliches Reich, ein Verband der verschiedenartigsten Völker, aufgelöst und zertrümmert war durch die Inkraft der Volksthümlichkeiten, die sich auf eine freiere Weise zu regen anfiengen, hatten die Deutschen das Glück, wenn auch nicht Einen Staat, doch wenigstens gleichartige Staaten zu bilden. Die harmonische Entwicklung ihres Volkslebens, die von da an beginnt, zeigt sich in Religion, Gesetzen, Sitten, Sprache, Wissenschaft und Kunst.

Der Fall war in Gallien nicht derselbe. Lange vor der römischen Invasion war griechische Bildung in’s Rhonetal eingedrungen, und als Cajus Julius von Gallien schrieb, gab es daselbst verschiedene Völkerschaften[2] und

  1. Frankreich ist, nachdem die äußere Revolution geschlossen, in einer fruchtbaren geistigen Evolution begriffen, die sich durch einen sonst ungewohnten Ernst und ein inniges Eindringen in die Tiefe der Wahrheit ankündigt. So in der Wissenschaft und Poesie. Dort hört mathematische Einseitigkeit, hier Formenvergötterung auf. In dieser Werdezeit ringt auch die Sprache, die neuen Aufschlüsse und Ergüsse, Ahnungen und Anschauungen (meist von den Deutschen empfangen) wiederzugeben. Das Bedürfniß heischt neue Weisen und Wendungen, und zwingt die Sprache aus ihren akademischen Schranken herauszutreten. Einzelne Franzosen kennen, viele achten und lieben Deutschland. Unsern Herder, Schiller und Göthe lesen sie in der Ursprache oder in guten Uebersetzungen. Die Ersten des französischen Volks haben es nicht unter ihrer Würde gehalten, ihre Landsleute mit den Werken geistreicher Deutschen bekannt zu machen. Der sprechendste Beweis, wie sehr die alten Vorurtheile verschwunden sind, ist die französische Uebersetzung eines Werks, dessen Verfasser als der Repräsentant einer, wenn auch jetzt vornehm verachteten, doch gewiß schönen und in ihrer Art einzigen Periode betrachtet werden kann. Der Mann, der mehr als irgend einer zur Erweckung der schlummernden Nationalkraft beitrug, obwohl diese damals zunächst nur gegen Frankreich gerichtet war, findet in Frankreich selbst die schönste Anerkennung seiner Volksverdienste. Das deutsche Volksthum ist ins Französische übersetzt worden. Voilá, drückt sich der Verfasser unsers Artikels brieflich aus, voilà des faits, pour prouver les progrès de la Deutschheit en France. Voilà les véritables et saintes conquètes! Sollen wir in Deutschland gegen Deutsche weniger gerecht seyn als die draußen? Desselben Mannes aus dem Vaterland verbannte Kunst fand bald bei den Anwohnern der Seine, der Themse und des Hudson gastliche Aufnahme, und wäre ihr nicht zuletzt an den Ufern der Isar ein vorurtheilsfreier Schutz geworden, so hätten wir sie vielleicht nach einem Jahrzehend als eine Modewaare aus Paris oder London erhalten. Wir fügen bei, was das London Weekly Review vom 15 März schreibt: Professor Jahn, the renowned patriot, has, after many years of seclusion, reappeared as the author of an admirable work unter the title of Runenblätter, which may be regarded as a continuation of the masterly work „Deutsches Volksthum.“ Professor Jahn’s work is full of striking thoughts, expressed in a most original and manly style.“
  2. Hi omnes lingua, institutis, legibus, inter se differunt.
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 373. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_391.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)