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Das Ausland. 1,2.1828

grüner Sammt; ein scheitelrecht abgerissenes Stück davon, wie man es häufig an dem Rande von Treibmassen findet, gleicht, so lange es beisammen bleibt, dem schönsten Atlaszeug, und wenn es in Stücke zerfällt, dem Asbest. In dieser frühen Jahreszeit bot diese Art Eis einen guten festen Weg; bei vorrückendem Sommer aber wurden die Nadeln etwas loser und beweglicher, und erschwerten es sehr, darüber hinzuschreiten; überdies schnitten sie in die Stiefel und die Füße ein, weßhalb die Leute sie „Federmesser“ nannten. Es schien uns wahrscheinlich, daß sich diese seltsame Erscheinung eher von starken Regentropfen, die in das Eis eindrangen, und dieses in der vorbenannten Nadelform trennten, herschrieb, als von einer regelmäßigen Kristallisation im Akt des Gefrierens; für unsre Annahme sprach noch der Umstand, daß die Nadeln immer in vertikaler Richtung standen, und nur auf der Oberfläche nach unten zu sehen waren.“

Am 27 trafen unsere Reisenden auf das einzige ziemlich feste Eisfeld, das sie bisher gesehen; allein auch dieses war in lauter kleiner Stücke gesprungen.

Am 28 erreichten sie ein Floe[1] (Eisfloß-Treibstück) mit hohen und schroffen Hummocks (Eisklötzen) bedeckt, worüber sie nur mit größter Mühe wegstiegen, da sie die Bote beinah in senkrechten Richtungen auf und nieder ziehen mußten. So ging es Tag für Tag; bald steuerte man an losem Treibeise hin, oder suchte die Bote über die schroffen, berghohen Eisflöße hinzuschleppen. Um die Bote und Vorräthe fortzuschaffen, mußten die Leute oft denselben Weg drei, vier, fünf, oft sogar sieben Mal zurücklegen. Es liegt etwas Großes in dem Grad von Resignation und Muth, womit Capitän Parry und seine Gefährten über so furchtbare Hindernisse hin ihren Zug verfolgten.

„Sobald wir an einem Floestück landeten, gingen Lieutenant Roß und ich voraus, um, während man auslud, und die Bote auf das Eis schaffte, den besten Weg für sie aufzufinden. Die Schlitten folgten unsrer Spur. Die Herren Beverly und Bird begleiteten sie; von ihnen wurde der Schnee in so weit niedergetreten, daß die Bote Bahn bekamen. Am andern Ende des Floe oder an einer schwierigen Stelle angekommen, erstiegen wir einen der höchsten Eishügel in der Nähe (manche von ihnen waren 15–25 Fuß über der See), um uns von da besser umsehen zu können; nichts konnte furchtbarer seyn, als die Aussicht, welche sich unserm Blick darbot. Das Auge mühte sich vergeblich, einen andern Gegenstand als das Eis und den Himmel, der über ihm lag, zu finden; und auch letzterer war unsern Blicken oft durch dichte, düstre Nebel verborgen, die hier eine ganz gewöhnliche Erscheinung sind. Aus Mangel an Abwechslung schenkten wir den unbedeutendsten Gegenständen eine mehr als gewöhnliche Aufmerksamkeit; eine vorbeifliegende Möve, eine Eismasse von ungewöhnlicher Form wurde in unserer Lage ein Gegenstand von komischer Wichtigkeit; wir haben uns seitdem oft selbst darüber belächelt. Man kann sich denken, wie erfreulich es war, den Blick von dieser Scene der leblosen Verödung ab nach unsern zwei kleinen Boten in der Ferne zu wenden, wie die Gestalten unsrer Leute sich unter den Eisblöcken hinwanden, und durch die öde Stille der Eiswildniß die Stimme von Menschen zu vernehmen. Nur einmal hörten wir einen Vogel schreien; ein andermal fanden wir im Schnee zwei kleine Fliegen.“

„Da das Quantum des jedem Einzelnen zugemessenen Mundvorraths nur für Leute berechnet war, welche blos gewöhnliche Anstrengungen zu bestehen haben, so reichte er nicht zu; wenn nun irgend ein lebendiges Geschöpf, dessen Ermordung kein Gesetz verbot, das Unglück hatte, auf unserem öden Pfade uns in den Wurf zu kommen, so war es das Signal zu einem Freudenfest. Einmal kam ein fetter Bär über das Wasser daher, um uns einen Besuch zu machen, ward aber in einer Entfernung von zwanzig Yards von Lieutenant Roß erschossen. Die Scene war selbst für uns, die Theil daran nahmen, äußerst komisch. Das Thier war nicht so bald niedergestürzt, als auch gleich einer von der Mannschaft sich mit einem Messer über dasselbe hermachte, und auf die Frage, was er wolle, erwiederte, „Das Herz und die Leber ausschneiden, und in dem Kessel, der eben sprudelt, fertig machen.“ Kurz das Thier war noch keine Stunde todt, als zu unserm großen Ergötzen schon aller Hände beschäftigt waren, nicht nur den Verdiensten des Herzens und der Leber, sondern auch einem weitern Pfunde Bärenfleisch per Mann volle Ehre widerfahren zu lassen; den ganzen Tag röstete der eine oder der andere seine Schnitte Fleisch über einem großen Feuer, das man von dem Fette des Thieres gemacht hatte.“

„Einige Mal schlugen wir, Lieutenant Roß und ich, bei unsern Recognoscirungen verschiedene Richtungen ein und mußten uns durch den tiefsten Schnee, von kleinen Wasserstellen unterbrochen, durcharbeiten. Wenn die Schlitten so weit gekommen waren, als wir untersucht hatten, kehrten wir alle zu den Boten zurück; die Mannschaft je eines Botes zog ihr Bot, wenn der Weg erträglich war, und die Offiziere arbeiteten gleich angestrengt mit den Untergebenen. Unter zehen Meilen hatten wir neun auf die beschwerlichste Weise zurückzulegen; denn selten trafen wir auf eine hinlänglich ebene und feste Eismasse, daß wir mit einem Mal all unsere Ladung mit uns führen konnten; in den ersten vierzehn Tagen brauchten wir zu jeder Tagreise die fünffache Zeit, indem wir, um nach und nach Bote und Gepäck fortzuschaffen, den Weg dreimal hin und zweimal zurück machen mußten.“

Trotz all diesen ernstlichen Hindernissen zogen sie unausgesetzt neuen entgegen. Am dritten Juli erreichten sie ein meilenlanges Eisstück, auf welchem im Durchschnitt fünf Zoll tiefer Schnee lag; unter dem Schnee war 4–5 Zoll tief Wasser; „sobald wir aber,“ bemerkt Capitän Parry, „einem Eisblock (Hummock) nahten, geriethen wir in eine Tiefe von 3 Fuß und darüber, so daß es oft schwer hielt,

  1. Ein Floe bedeutet ein Eisfeld, dessen Enden man von dem Mastkorb aus unterscheiden kann; die Hummocks sind Eismassen, die sich auf der Oberfläche des Eisfloßes zu einer beträchtlichen Höhe erheben, und durch das Anprallen der Floes an einander entstanden sind.
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 371. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_389.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)