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Das Ausland. 1,2.1828

Gegenstände zu entwenden, doch immer in so geringer Quantität, daß die Familie, bei der sie diente, ihren Verlust gar nicht bemerkte. Zu Ostern des vergangenen Jahres entdeckte sie diese Diebstähle ihrem Beichtvater, dem Pfarrer des Dorfes. Dieser, durch die Reize der Reuigen zu unreiner Begierde entflammt, verweigerte ihr die Absolution und gab ihr zur Buße auf, acht Tage lang jeden Abend zum Angelus die Kirche zu besuchen und ihren Rosenkranz aufzusagen; nach Verlauf dieser Zeit sollte sie wieder zu ihm kommen, und wenn er sie dann in einer geeigneten Stimmung fände, wolle er ihr die Lossprechung ertheilen. Zu der bestimmten Zeit erschien sie, nach dem Angelus, in der Sacristei, um den Pfarrer zu sprechen; es wurde ihr aber gesagt, er sey in seinem Zimmer, wohin sie ihm folgte. Der Pfarrer wollte, nachdem er ihr die Absolution ertheilt hatte, die Gelegenheit benutzen, küßte sie, und würde sich noch weiterer Freiheiten erlaubt haben, wenn sie sich nicht gesträubt und um Hülfe zu rufen gedroht hätte; worauf er von seinem schändlichen Vorhaben abstand und sagte: „Zittere, Elende! Wenn du dich unterstehst, ein Wort von dem zu sagen, was vorgefallen ist, so soll meine Rache schrecklich seyn!“ Hilaria kehrte in das Haus ihres Herrn zurück, und beobachtete das Stillschweigen, das ihr auferlegt worden war. Der Pfarrer aber, entweder aus Furcht, daß sie seine Nichtswürdigkeit entdecken könne, oder aus Rachsucht, ließ Don Jago, den Herren Hilaria’s, zu sich kommen, und verrieth diesem, was Hilaria ihm unter dem Siegel der Beichte bekannt hatte. Des nächsten Tages ging Don Jago, von einem Notar und von Hilaria begleitet, zu dem Hause ihres Vaters, und sagte zu diesem: „Hier bringe ich euch eure Tochter zurück, weil sie eine Diebin ist; aber ihr seyd noch viel schlechter, als sie, da ihr sie zu einem solchen Betragen ermuntert habt.“ Der Vater blieb still; aber die Tochter rief aus: „Mein unglücklicher Vater ist unschuldig; ich allein bin schuldig und verdiene, gestraft zu werden.“ Beide, Vater und Tochter, wurden indessen vor Gericht gezogen; der erste wurde zu zehn Jahr Zwangsarbeit, die letztere zu einer gleichen Anzahl Jahre Gefängniß verurtheilt. Kurze Zeit darauf entkam Hilaria aus dem Gefängniß und floh in das Haus ihres Herrn Jago. Sie warf sich ihm zu Füßen und flehte um seinen Schutz. Dieser, der den harten Schritt bereits bereute, zu dem er sich durch die Eingebungen des Pfarrers hatte verleiten lassen, gewährte ihr ihre Bitte, und hielt sie in seinem Hause verborgen. Aber Hilaria, überzeugt, daß der Pfarrer ihre Beichte verrathen, und dadurch sie selbst und ihren Vater in’s Verderben gestürzt hatte, sann auf Rache. Am 7 Juli ging sie in der Dunkelheit des Abends zu seinem Hause. Sie warf sich ihm zu Füßen und bat ihn, sie zu beschützen, wogegen sie ihm gern zu Willen seyn wolle. Er führte sie sogleich in sein Gemach; aber kaum war Hilaria mit ihm allein, als sie ein Messer aus dem Busen zog, und ihm ins Herz stieß. Als sie im Begriff war, das Haus zu verlassen, begegnete ihr der Vicarius und der Sacristan, die aus ihrer Blässe und ihren wilden Blicken Verdacht schöpften, und sie zwangen, mit ihnen in das Zimmer des Pfarrers zurück zu kehren, wo dieser als Leichnam gefunden wurde. Vor Gericht gestand Hilaria offen die That, die sie begangen hatte und erzählte alle Umstände, welche derselben vorangegangen waren. Don Jago bestätigte ihre Aussage in Bezug auf den Verrath des Beichtgeheimnisses von Seite des Pfarrers. Hilaria ward schuldig befunden und zum Tode durch die Garrota verurtheilt. Die Vollziehung dieses Urtheiles, die am 29 August v. J. statt finden sollte, wurde indessen verschoben. Es war dem unglücklichen Vater erlaubt worden, nach Madrid zu gehen, wo er sich dem Könige zu Füßen war und eine Bittschrift um Gnade für seine Tochter überreichte. Er erhielt einen Aufschub der Vollstreckung des Urtheils, bis der König über das Schicksal der Gefangenen entschieden hätte; aber man fürchtet, daß die Geistlichkeit Einfluß genug auf den Willen des Fürsten haben werde, um die Begnadigung zu hintertreiben.



Parry’s Expedition nach dem Nordpole.


(Fortsetzung.)

Am 24 trat die Gesellschaft um 10 Uhr Abends in einem dicken Nebel, der jedoch bald in Regen überging, ihre erste Eisreise an. Gleich beim Anfang derselben hatten sie mit Schwierigkeiten zu kämpfen, vor denen Leute von blos gewöhnlicher Erfahrung zurückgebebt hätten. Die Eisstücke waren von geringem Umfang, sehr uneben, und nöthigten sie drei und oft vier Tagreisen mit dem Gepäcke zu machen, und mehrere geringe Wasserzwischenräume mit den Böten zu durchschiffen. Um fünf Uhr des folgenden Morgens hatten sie erst etwa 2½ Meilen nordwärts zurück gelegt. Am Abend brachen sie wieder auf. Sie stießen auf ähnliche Schwierigkeiten. Ihr Weg ging über lauter kleine, lockere, rauhe Eismassen, durch kleine Wasserzwischenräume getrennt; weßhalb sie beständig die Böte bald ins Wasser setzen, bald wieder auf das Eis bringen mußten; wobei jede dieser Operationen, des Umladens wegen, beinahe eine Viertelstunde erforderte. Am folgenden Tag regnete es heftig, was ihnen neue Hindernisse in den Weg legte. Capitän Parry führt als merkwürdige Thatsache an, daß sie im Verlaufe dieses Sommers mehr Regen hatten, als in den sieben frühern Sommern zusammen, obgleich sie damals 7°-15° der Breite niedriger fuhren als hier. Die Wirkung, welche der Regen auf das Eis hervorbrachte, wenn anders die Erscheinung ihren Grund im Regen hat, war ganz auffallend.

„Das Eis, über welches wir heut zogen, hatte ein sonderbares Aussehen; es bestand auf seiner Oberfläche aus zahllosen, irregulären, nadelartigen Kristallen, scheitelrecht und dicht zusammen aufgestellt; ihre Länge wechselte bei den verschiedenen Eisstücken zwischen fünf und zehen Zoll; sie waren ungefähr einen halben Zoll breit, und an beiden Enden gespitzt. Die Oberfläche des Eises sah oft aus wie

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 370. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_388.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)