Seite:Das Ausland (1828) 387.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 93. 2 April 1828.

Geselliges Leben in Spanien.


Wie vor Napoleon’s Herrschaft Italien, so ist jetzt Spanien das Land der gewaltigen Leidenschaften und der großen Verbrechen. Die gräßlichsten Criminalfälle, welche die Phantasie unserer Novellenschreiber nur sich erdenken kann, bieten hier nicht selten den Stoff zu den Verhandlungen der Gerichtshöfe. Wir theilen von mehreren, die zu unserer Kenntniß gekommen sind, unsern Lesern nur zwei aus der neuesten Zeit mit, die uns charakteristisch für den sittlichen und geselligen Zustand des Landes zu seyn schienen.

In der Stadt San Felipe de Jativa, im Königreich Valencia, lebte Donna Feliciana Belmonte, eine junge und schöne Wittwe, zu deren Tugenden indeß die der Treue und Beständigkeit nicht gehörte; denn nicht zufrieden mit der Aufmerksamkeit eines treuen Liebhabers in der Person von Don Carlos, einem Offizier auf halbem Sold, lieh sie zu gleicher Zeit auch den Versprechungen oder Schmeicheleien eines seiner Cameraden, Don Francesco, ein nur zu williges Ohr. Am 15ten October 1826 begegneten sich die beiden Nebenbuhler, die bereits eifersüchtig auf einander waren, im Hause der Donna Feliciana. Sie versuchte die Rolle der Unbefangenen zu spielen und beide durch die Gleichgültigkeit, die sie annahm, zu täuschen. Da aber im Lauf der Unterhaltung Don Carlos der Dame etwas in das Ohr zischelte, so konnte Francesko sich nicht länger halten; es kam zu einem Streit, der dahin führte, daß beide Parteien die Wittwe baten, offen zwischen ihnen zu entscheiden, und zu erklären, welchen sie vorzöge. Sie verweigerte dieß zu thun, und es kam daher zu einem Duell zwischen den beiden Nebenbuhlern. Als sie des andern Morgens zu der verabredeten Stunde sich trafen, wandte sich Don Carlos, gegen die sonstige Gewohnheit in Ehrensachen, an seinen Gegner und sagte: „Ehe wir uns schlagen, glaube ich erklären zu müssen, daß ich überzeugt bin, wir sind beide die Narren eines koketten und falschen Weibes gewesen. Ich wünsche, daß unsere Secundanten herantreten und ein Gelübde hören, das ich abzulegen entschlossen bin, und welches nach den Umständen das Todesurtheil für einen von uns werden kann.“

Die Secundaten näherten sich, und Don Carlos fuhr fort: „Ich schwöre hier feierlich, daß wenn es mein Schicksal seyn sollte, Don Francesco in diesem Zweikampf zu tödten, Donna Feliciana von meiner Hand und durch dieselbe Waffe, die ihm den Tod gebracht hat, sterben soll.“

Don Francesco, hingerissen von dem Beispiel seines Cameraden, leistete denselben Schwur; vergebens bemühten sich die Secundaten, sie zu versöhnen. Der Zweikampf begann, und Don Francesco fiel. Don Carlos ergriff die Flucht, da nach den Gesetzen von Spanien sein Leben verwirkt war. Ein Jahr verging, ohne daß man das geringste von ihm vernahm; aber am 16 October 1827, dem Jahrestage des unglücklichen Duells, trat Don Carlos in das Haus der Donna Feliciana, und in dem Moment, wo er sie erblickte, stieß er ihr das Schwert, welches auch Don Francesco durchbohrt hatte, in das Herz. Mit der größten Fassung rief er darauf ihre Bedienten und erzählte, was er gethan habe. Es wurde nach den Gerichtsbeamten gesandt, denen er sich ruhig übergab. Wenige Tage darauf wurde ihm der Proceß gemacht; die Secundanten wurden verhört, und bestätigten vollkommen die Aussagen, die Don Carlos gemacht hatte. Er wurde des Mordes schuldig gefunden, und verurtheilt als Edelmann – durch die Garrota[1] zu sterben. Das Urtheil wurde, nachdem es durch die königliche Audiencia von Valencia bestätigt worden war, am 25 Nov. 1827 zur Vollziehung gebracht. Den Abend vor der Hinrichtung wurden die vier Secundanten verhaftet, um als Theilnehmer an dem Duell, nach den Gesetzen gerichtet zu werden.

Ein anderer Criminalfall, den eine der neuesten Numern der Gazeta de Madrid enthält, ist folgender:

Juan Santos, ein Gärtner in der Stadt Colmenar de Vigo, wenige Meilen von Madrid, war zu arm eine Familie von sieben Kindern zu erhalten, und gab deshalb die vier ältesten bei benachbarten Pächtern in Dienst. Seine Tochter Hilaria, ein schönes Mädchen von 18 Jahren, wurde Magd in dem Hause von Don Jago Tinerez, einem reichen Pächter zu Navalcarnen. Hilaria, obwohl sie sich in jeder andern Beziehung zur Zufriedenheit ihrer Herrschaft betrug, wurde zu ihrem Unglück durch die Noth ihres Vaters zuweilen versucht, Lebensmittel und andere

  1. Ein eisernes Halsband, das dem Verurtheilten umgelegt und dann durch eine Schraube zusammengepreßt wird, bis er erwürgt ist. Dieß ist in Spanien die gewöhnliche Todesstrafe für Verbrecher von adeligem Stande, oder aus dem weiblichen Geschlecht.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_387.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)