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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 92. 1 April 1828.

Des Bischof Heber’s Reisen durch das nördliche Indien.

Narrative of a Journey through the Upper Provinces of India, from Calcutta to Bombay by the late Reginald Heber, D. D. Lord Bishop of Calcutta. 2 vols. 4. London 1828

Die Beschreibung einer Reise durch die obern Provinzen Hindustans, längs der Ufer des heiligen Ganges, durch die schönsten Theile Bengalens, über einen der Gebirgszüge des Himalaya, dann westwärts über Delhi und Agra nach Bombay und Punah müßte selbst bei einem minder geistvollen Reisenden viel Anziehendes und Interessantes behalten; in Bischof Heber’s Händen aber wird sie in hohem Grade ergetzlich. Mit heitern lebendigen Farben bringt er die Landschaften, die er durchreist, vors Auge, und weiß oft selbst dem kleinsten Gegenstand Bedeutung und Leben zu geben. Die Einwohner betrachtet er überall mit wohlwollendem und, wenn auch nicht ganz unbestochenem, doch gutmüthigem Blicke. Schon die Sorglichkeit, mit der er in seinen Sittenschilderungen in das kleinste Detail eingeht, und nichts für zu unbedeutend hält, um seinen Zusammenhang mit der Natur des Landes und dem Geiste des Volks und seiner Geschichte aufzusuchen, beweist seinen gerechten, billigen Sinn. Der Styl ist der anspruchslose, vertrauliche einer Mittheilung an Freunde und Verwandte; natürlich aber mußte, bei dem beweglichen Geiste des Reisenden, die Größe und der mächtige Eindruck der Naturscenen, die ihm in diesem Theile der brittischen Besitzungen entgegentraten, oft unwillkürlich auch seiner Darstellung einen höhern Schwung geben.

Hier findet sich der höchste Punkt der Erde, 26,800 Fuß über dem Spiegel des Meeres. Dieser Punkt, von ewigem Schnee bedeckt, nie besucht von einem lebenden Wesen als von dem Condor oder dem Adler, ist im Schimmerlichte des Morgens oder im glühenden Abendroth über jede Beschreibung erhaben. „Tausend leuchtende Gipfel funkeln in dem heitern, wolkenlosen Aether, gleich den Stufen zu Gottes ewigem Throne.“

Wir wollen zuerst einige Stellen in Beziehung auf die von Europäern seltener besuchte hügelige Gegend am Fuße des Himalaya-Gebirgs ausheben.

Ein Rohilla war vor einigen Jahren nach Oude gekommen und hatte sich dort eine Zemindarei[1] gekauft. Im vorigen Jahre ward er davon auf die ungerechteste Weise von den Knechten des fürstlichen Günstlings vertrieben, welche zugleich eines seiner Weiber mit fortschleppten. Der Zemindar rennt wütend nach Lucknow, ersteigt, mit Hülfe seiner Knechte, die Mauer, die den Garten des Ministers umgibt, und lauert hier, allein, aber wohlbewaffnet, auf seinen Feind. Dieser erschien nicht selbst, wohl aber zwei seiner Söhne, welche mit ihren Ayahs spazieren gingen. Der Rohilla erkennt sie, stürzt sich auf sie gleich einem Tiger, und fordert, indem er die Knaben zwischen seinen Knien hält, die erschreckten Weiber auf, ihren Gebieter herbeizurufen. Der Palast kommt in Aufruhr, der Rohilla aber bleibt ruhig stehen, den Rücken gegen die Mauer gekehrt, die Knaben unter seinen Knieen, indem er den aus dem Palast Stürzenden entgegenruft: „Nähert ihr euch mir, so sterben sie beide vor euren Augen.“ Der Minister jammert, ringt die Hände, und verspricht ihm, was er wollte, wenn er seine Söhne freiließe; er antwortet: „Die Rückgabe meines Weibes, meine eigene Sicherheit und für beides die Bürgschaft des englischen Residenten!“ Die Frau ward im Augenblick zur Stelle gebracht; der Minister rennt wie wahnwitzig nach dem Residenzgebäude, und bittet um Gotteswillen, daß Herr Ricketts oder Major Raper mit ihm gehen möchten. Der Rohilla, nach einer fürchterlichen Pause, in welcher er zwischen der Süßigkeit der Rache und den gegebenen Versprechungen zu schwanken scheint, erhebt sich endlich, nimmt sein Weib bei der Hand und führt sie hinweg.“

„Wir waren lange über gepflügtes Feld gegangen, bis wir durch eine Felsenschlucht aufgehalten wurden. Hier war es, wo wir zuerst die fernen Linien des Himalaya erblickten, etwas getrübt vom Nebel. Die näher liegenden Hügel erschienen blau. Hinter ihnen stiegen, gleich Wolkenbildern, nur in schrofferen pyramidalischen Zügen, die Patriarchen der Erde auf, vielleicht die übergebliebenen Trümmer einer früheren Welt, weiß und glänzend wie Alabaster, und auf die, vielleicht 150 englische Meilen betragende, Entfernung, die näherliegenden secundären Gebirgszüge so hoch überragend, als diese selbst, die doch 7600 Fuß hoch waren, die Ebene überragten, auf der wir standen. Eine eigene Mischung von Freude und Ehrfurcht überschlich mich bei diesem Anblick; bald aber breiteten die Nebel ihren Schleier darüber, wie über das Feenschloß von St. John, und ließen uns nur den kalten grauen Horizont zurück, der die grüne Ebene von Rohilkund umgürtete, nur da und dort von zerstreuten Mangobäumen unterbrochen.“

  1. Ein Grundstück, eine Art ewigen Pachtguts.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 365. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_383.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)