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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 89. 29. März 1828.

Ibrahim Pascha.

Deux années à Constantinople et en Morée. Paris 1827

[1]


Nachdem ich den Sultan gesehen, war ich begierig nun auch seinen Alter Ego in Morea zu sehen. Einer der französischen Offiziere in der egyptischen Armee, mit welchem ich in Modon Bekanntschaft gemacht, stellte mich dem Pascha vor. In einem Zelte vor der Stadt gegenüber dem Lager der Araber, hatte Ibrahim sein Hauptquartier aufgeschlagen; hier empfing er mich. Der Empfang war ziemlich freundlich, und die Unterredung, die ich mit ihm hatte, dauerte lang. Mir ward die Ehre, an der Seite Seiner Hoheit Platz zu nehmen und mit Pfeife und Kaffee bedient zu werden. Einige Artigkeiten, die ich dem Pascha über die Organisation seiner Armee sagte, nahm derselbe als einen gewöhnlichen Tribut europäischer Bewunderung so hin; mit besonderer Theilnahme aber hörte er mir zu, als sich ihm von den in Constantinopel vorgefallenen Neuerungen und der Niedermetzelung der Janitscharen, wovon ich Augenzeuge gewesen war, erzählte.

Ibrahim ist klein von Person, eine breite sehr dicke Gestalt, mit abgeplatteter Nase, funkelnden Augen; sein Gesicht hat das Gepräge der Wildheit.

Er ist nicht, wie gewöhnlich angenommen wird, Mehemed Ali’s eigener Sohn, sondern dessen Adoptivsohn. Als Pascha der heiligen Städte aber, erster Pascha des Reichs, steht er dem Range nach über seinem Vater. Seine Tapferkeit ist anerkannt, die Beharrlichkeit, mit welcher er seine Neger und Araber zu Soldaten zu bilden sucht, verdient Bewunderung. Ungeachtet die Truppen unter der Masse von Elend, welches die barbarische Kriegsweise über die Sieger wie über die Besiegten herbeiführt, unter den Anstrengungen und Entbehrungen aller Art fast erlagen, wurden die taktischen Uebungen[2] keinen Tag ausgesetzt. Geht er in’s Gefecht, so ist er immer der erste, der sich auf die Feinde wirft, wo er sie trifft, der mit seltener Unerschrockenheit dem Feuer ihrer Flinten oder der Schärfe ihrer Säbel Brust und Stirne bietet. Ist das Gefecht einmal im Gang, so tritt er mit einigen Offizieren hinter die Fronte, und ohne Gnade haut er jeden Soldaten nieder, der zurückweicht: so daß die Araber, den unvermeidlichen Tod hinter sich wissend, es bald für weniger gefährlich halten, vorzurücken, und so oft wider Willen den Sieg davon tragen.

Die Griechen fechten gegen diese Truppen nie in Reih und Glied, sondern aus Höhlen und Schluchten, hinter Bergströmen oder Abgründen, kurz von unnahbaren Stellungen aus; plötzlich hervorbrechend und spurlos wieder verschwindend, führen sie den kleinen aber mörderischen Krieg, in welchem sie eben so sehr im Vortheil sind, als der Angreifer im Nachtheil ist, da die aus dem Hinterhalte abgeschossene Kugel des selbstgewählten Ziels nur selten verfehlt. So mißlang namentlich jeder Versuch Ibrahim’s gegen Maina, und lief nie ohne bedeutenden Menschenverlust für ihn ab.

Eines Tags, erzählt man, begegneten sich Ibrahim und Kolkotroni im Gebirge; ein schmaler Abgrund lag zwischen den beiden Feinden. „Ergieb dich, rief Ibrahim dem Griechen zu, ich werde dich mit Reichthümern überhäufen.“ „Die Freiheit meines Vaterlandes, erwiederte dieser stolz, ist mir lieber als deine Schätze.“ Er sprachs, und eine Kugel streckte einen Araber aus dem Gefolge des Paschas todt zu dessen Füßen. Kolokotroni war verschwunden.

Gefühllose Grausamkeit und unersättliche Habsucht sind die hervorstechendsten Eigenschaften, um derer willen Ibrahim ein Geistesverwandter des Sultans genannt werden kann. In Modon meinten Einige, die Ersparnisse des egyptischen Helden dürften über 15,000 Beutel[3] angeschlagen werden: eine Summe, die demjenigen nicht übermäßig erscheint, der den kameralistischen Spürsinn desselben kennt. Eine seiner Finanzoperationen war folgende:

Einstmals ließ er alles große und kleine Vieh in und um Modon aufgreifen. Die Eigenthümer thaten umsonst Einsprache gegen dieses Räuberkunststück, das sie nicht nur um einen rechtmäßigen Gewinn, sondern manche von ihnen selbst um ihren ganzen Unterhalt brachte. Der Pascha wollte sich noch einer sonderlichen Großmuth vermessen, als er für einen Ochsen sechs und für ein Schaaf drei Piaster auszahlte. Nachdem er auf diesem Weg sich in den Besitz alles Schlachtviehs gesetzt, errichtete er Fleischbanken und fieng an zu schlachten, und verkaufte die Okka

  1. Vergl. Num. 32, 34, 36.
  2. bei einem Regimente (zu 4,000 Mann) waren fünf bis sechs europäische Offiziere, mit einem monatlichen Gehalt von 12–1500 türkischen Piastern, als Lehrmeister angestellt. Solcher Regimenter hatte Mehemed Ali bis 1826 sechs nach Morea geschickt. Zählt man noch die bedeutenden Verstärkungen, welche kurz vor der Navariner Schlacht daselbst ankamen, so hat Ibrahim nach und nach etliche und dreißig tausend Mann aus Egypten erhalten, wovon man aber, um den effektiven Stand seines Heeres zu berechnen, wenigstens zwei Drittel in Abgang bringen muß.
  3. 7,500,000 Piaster.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 353. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_367.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)