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Das Ausland. 1,2.1828

Ueber den Gang der innern Entwicklung in den Vereinigten Staaten von Nordamerika.


(Fortsetzung.)

Jetzt finden sich auch die Lawyers ein, d. h. Rechts-Konsulenten, Advokaten, Prokuratoren, Notare, denn dieses Wort bedeutet, und jener Stand umfaßt alle diese Zweige. Unser Land ist voll von armen Teufeln, die jedoch eine gewisse Bildung haben. Solche Leute nun studiren die Recht ganz auf ihre eigne Hand, indem sie nebenbei ein anderes Gewerbe treiben, z. B. in der Armee, in einem Comptoir, in einem Gasthause dienen. Sobald sie im Stande sind, ein Examen zu machen, werden sie lawyers. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie wenige von ihnen sich über die tiefste Niedrigkeit erheben. Der größte Theil besteht aus erbärmlichen Chicaneurs, die nichts anderes thun, als Streitigkeiten zwischen armen Dummköpfen anstiften, um sie durch fünf bis sechs Gerichts-Sitzungen hinzuziehen, und ihre 30 Dollars zu verdienen. Nichts ist ehrwürdiger, als der Advokatenstand der alten Staaten, aber nichts verächtlicher, als jenes Gesindel, das sich in einem neuen Gebiet um die Gerichtshöfe sammelt. Manche von diesen Leuten jedoch bilden ihre Kenntnisse durch Praxis aus, erwerben Vermögen und Achtung, und werden ehrliche Leute. Bald auch läßt sich ein regelmäßig für seinen Stand gebildeter Lawyer im Lande nieder; er zieht schnell alle Praxis und Sporteln an sich; alle jene Ränkemacher werden verdunkelt, und am Ende genöthigt weiter zu ziehen, oder ihr Glück auf eine andere Weise zu suchen.

In dieser Periode wird das Gebiet die Beute von Vagabunden, Bankerottierern, und Wucherern jeder Art, die aus allen Theilen der Vereinigten Staaten zusammenströmen. Früher war das Land zu arm, um einen hinlänglichen Gewinn zu versprechen; später werden jene Betrüger zu leicht entlarvt: es bleibt ihnen also nur diese Zwischenperiode als Feld ihrer Industrie übrig. Eine Art von Betrügerei verdient einer besondern Erwähnung. Ich habe Ihnen gesagt, daß ein Theil der Ländereien schon vor langer Zeit von den vorigen Regierungen veräußert worden ist. Nun giebt es Spekulanten, die von den armen ursprünglichen Erwerbern ihre zweifelhaften Ansprüche hinzudichten, oder Land von Indianern kaufen, was den Gesetzen zuwider und daher nichtig ist. Nun lassen sie schöne illuminirte Pläne von ihren Besitzungen entwerfen; lawyers stellen ihnen Consultationen aus, durch die ihre Rechte die klarsten von der Welt werden; mit diesen Mitteln des Betruges gewaffnet, gehen sie in die Länder, wohin die Auswanderung angefangen hat, und nehmen ihre angeblichen Besitzungen in Beschlag. Man kann sich keinen Begriff von der Schlauheit und Gewandtheit machen, mit der einige von ihnen zu Werke gehen. Manchmal werden diese Betrüger mächtig genug, um die Fortschritte der Civilisation zu hemmen; sie gewinnen durch ihre Lügen viel Einfluß, und wirken oft sehr nachtheilig auf die Wahlen ein.

Aber dieser Zustand der Verderbtheit dauert niemals lange; die Bevölkerung nimmt täglich zu; die Gesellschaft bildet sich, und jene Blutsauger sind genöthigt, sich zu entfernen. Die Geselligkeit beginnt gewöhnlich mit öffentlichen Festen. Der 4te Juli, der erste Tag der Freiheit, der 22te Februar, der Geburtstag Washington’s, der 8te Januar, der Tag der Schlacht von New-Orleans, geben dazu Gelegenheit. Einige Zeit vorher wird in einem Gasthause eine allgemeine Versammlung berufen. Ein Präsident und ein Secretair – denn alles geschieht mit der größten Förmlichkeit – werden durch laute Abstimmung ernannt. Ein Redner macht den Vorschlag, den Tag zu feiern, und giebt seine Gründe an; dann wird ein Mittagessen in Vorschlag gebracht, wogegen sich nur der Zweifel erhebt, daß es an einem Zimmer fehle, das groß genug wäre, um alle zu fassen, die Theil daran zu nehmen wünschen; ein Anderer macht daher den Vorschlag unter freiem Himmel zu speisen: unterstützt und angenommen; ein Dritter will, daß eine Rede gehalten werde: angenommen. Auch von einem Ball ist die Rede, aber es sind leider nur drei Damen in der Stadt, die tanzen können; fänden sich darin vier, so würde die Motion gewiß durchgehen. Die Versammlung ernennt nun einen Redner und ein Fest-Comite, und geht dann auseinander. Das Protokoll wird gehörig beglaubigt, und in die Zeitung eingerückt, zur großen Zufriedenheit des Druckers und des Herausgebers, die Mangel an Stoff leiden. Am bestimmten Tage versammeln sich die Bürger und ziehen in Prozession in die Kirche oder in’s Wirthshaus, in das court-house oder in einen Speicher, um eine Rede zu hören, der es selten an Beredsamkeit fehlt. Ich mache Sie hierbei wieder auf den Kontrast aufmerksam, der hier immer zwischen dem Menschen und seinen Umgebungen Statt findet. Von da begiebt man sich in’s Freie, wo ein Ochsen- und einige Schweinebraten der Gäste warten. Die Kosten sind durch Subscription gedeckt. Die Toaste die nun ausgebracht werden, tragen stets die Farbe der politischen Ansichten des Volks. Im folgenden Jahre giebt es wieder ein barbacue ((Mittagessen im Freien), eine Rede, und – einen Ball. Das court-house ist indessen zu diesem Zwecke eingerichtet worden. Auf der Bank des Richters sitzt ein alter Neger, der auf der Violine kratzt, und von zwei kleinen Negern auf dem Tamburin und dem Triangel begleitet wird: Talglichter erleuchten die Scene; aber die Frauen sind trotz dem eben so hübsch und eben so geputzt, wie die in New-York. Der Pflanzer hat das grobe Jagdkleid abgelegt, und den blauen Frack aus dem Koffer genommen, den er zu einer andern Zeit in einem andern Lande getragen hat; seine Sitten sind wieder die der besten Gesellschaft. Die schlechte Musik u. dgl. vermehrt nur die Heiterkeit der Tänzer.

(Schluß folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 344. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_358.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)