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Das Ausland. 1,2.1828

noch, daß es eine Ungerechtigkeit gegen die österreichische Regierung ist, zu behaupten, daß sie nichts auf Gegenstände des Luxus und sehr wenig auf Gegenstände von allgemeinem Nutzen verwende. Der beste Beweis dagegen ist schon der vortreffliche Zustand der Straßen in der Lombardei; außerdem sind die Arbeiten an den öffentlichen Bauten, die zu Napoleons Zeit angefangen wurden, keineswegs eingestellt worden, wenn sie auch nicht mehr denselben raschen Fortgang haben. So ist der Triumphbogen des Simplon (arco del Sempione), eines der herrlichsten Meisterwerke unserer Zeit, auf der Piazza d’armi, zwar unvollendet, wie Simond berichtet; aber er hätte nicht vergessen sollen, dabei zu erwähnen, was ihm bei einem Besuche unmöglich entgangen seyn kann, daß noch fortwährend eine nicht unbedeutende Anzahl von Arbeitern an demselben beschäftigt sey; und das Ganze daher allerdings in einigen Jahren vollendet seyn könne. –

Wenn auch nicht besser, so sind die Straßen doch unleugbar im allgemeinen sicherer jenseit des Po, als in der Lombardei, ohne daß deßhalb die österreichische Polizei weniger thätig wäre; aber im Mailändischen wo das Grundeigenthum in große Pachtungen getheilt ist, wird der Boden durch arme Taglöhner bearbeitet, die an nichts gebunden sind und nichts zu verlieren haben, während in der Romagna die Maier, die für ihre eigene Rechnung arbeiten, im Wohlstand leben und weder die Versuchung haben, selbst zu rauben, noch den Räubern bei sich eine Zuflucht verstatten würden. –

Die Bauern sind zwar auch hier nicht Eigenthümer ihrer Grundstücke, ja sie besitzen nicht einmal einen Contract über die Pachten, die viele Generationen hindurch vom Vater auf den Sohn übertragen werden, aber ihre stillschweigenden Uebereinkünfte mit dem Besitzer werden deshalb nicht weniger gewissenhaft erfüllt. Es ist nicht selten, daß man unter denselben da dreißig bis vierzig Personen bei einander findet, die verschiedenen Zweigen einer Familie angehören und in völliger Gemeinschaft der Güter und Interessen unter einem von ihnen selbst gewählten Oberhaupte stehen, welches allein gegen den Eigenthümer verantwortlich ist. Dieses Familienhaupt leitet die Nutzung des Bodens, wie seine Frau das Regiment im Hause führt; eine oder zwei von den andern Weibern übernehmen die Sorge für die Kinder, während die Väter und Mütter auf dem Felde sind. „wir haben die vergangene Nacht ein Kind verloren,“ sagte eine von ihnen, obgleich sie nicht die Mutter desselben war. Fast immer herrscht die vollkommenste Eintracht unter diesen Stämmen Israel, da alles im Interesse aller geordnet wird. Wenn das Haupt der Familie zu alt wird, oder sich unfähig zeigt, so ernennt man einen andern, der an die Stelle seines Vorgängers tritt. – Zuweilen zahlt der Pächter ein bestimmtes Pachtgeld, meist aber theilt er die Hälfte der verkäuflichen Producte mit dem Eigenthümer und zahlt zugleich die Hälfte der Lasten, die dem Grundstücke aufgelegt sind. Selten nimmt sich der Eigenthümer die Mühe, die Theilung zu beaufsichtigen; er wählt zwischen den Getraidhaufen und Hanfballen, wie sie der Pächter bereitet hat; seinen Antheil an Trauben schickt dieser ihm selbst in das Haus.

Der Eigenthümer nimmt auf diese Weise bis auf einen gewissen Grad selbst Theil am Landbau und ist wenigstens im Stande, denselben auf das genaueste zu kennen; zugleich ergiebt sich hieraus eine in moralischer und politischer Hinsicht gleich wichtige Verbindung zwischen zwei Classen der Gesellschaft, die überall, wo ein bestimmtes Pachtgeld eingeführt ist, einander völlig fremd bleiben müssen. Das ganze Land hat eine große Menge von Dorfgemeinden, aber nur sehr wenig Dörfer, da jeder Bauer seine Wohnung auf dem von ihm bearbeiteten Grundstück hat. Es finden daher weniger gesellige Verhältnisse zwischen den verschiedenen Familien statt; aber auch weniger Gefahr von Epidemien, sowohl bei den Menschen als dem Vieh. Diese patriarchalischen Vereine genießen eines großen Wohlstandes, obgleich sie immer nur sehr wenig baares Geld besitzen; sie verzehren den größten Theil ihrer Producte selbst und bringen nur wenig auf den Markt. Man zieht viel Geflügel; und Heinrich IV würde daher hier bei dem Bauern nicht selten „sein Huhn im Topfe“ finden. Die Weiber spinnen und weben und viele verstehen auch zu färben. Da es weder Steine noch Kies in diesen Gegenden gibt, so gehen sie gewöhnlich barfuß und häufig sieht man sie in ihrem Sonntagsstaate ihre Schuhe in der einen Hand und in der andern den Fächer, von denen sie gleich den ersten Damen Gebrauch zu machen wissen. Die Vergnügungen der Landleute beschränken sich größtentheils auf das Kugelspiel (au jeu des boules); sie kennen weder Tänze noch lärmende Zusammenkünfte, aber dafür haben sie ihre schönen Processionen mit Musik und Artilleriefeuer begleitet und oft durch Pferderennen beschlossen. Wein gibt es im Ueberfluß und doch sieht man nur selten Betrunkene und noch seltener blutige Zwistigkeiten; eben so wenig hört man von Diebstahl. – Die Erziehung des Landvolkes ist fast ausschließlich den Pfarrern überlassen, die sich wahrscheinlich wenig um dieselbe bekümmern; selten begegnet man Bauern, die lesen und schreiben können. In zahlreichen Familien ist noch immer der Gebrauch, einen der Söhne für die Kirche zu bestimmen, der dann der geistliche Herr Pietro, Agostino u. s. w. heißt und das Orakel der Familie wird. Alle Vertraulichkeit gegen ihn hört auf und man wagt nicht mehr, ihn Bruder zu nennen. Allgemein wird die Clerisei als eine besondere Kaste betrachtet, deren Interessen mit denen der übrigen Gesellschaft nichts gemein haben. Die Mönche bilden überdieß so viele verschiedene Classen, als es Orden gibt. Die Wiederherstellung der Bettelorden im J. 1816, während der grausamsten Hungersnoth, erregte allgemeines Mißvergnügen; man glaubte darin nur eine Handlung der Sparsamkeit zu sehen, durch welche die päbstliche Regierung sich von den Pensionen hätte befreien wollen, welche ihre illegitimen Vorgänger den secularisirten Mönchen gezahlt hatten, die jetzt gezwungen waren, wieder zu ihrem Bettelsack zu greifen.

(Schluß folgt.)

Ueber den Gang der innern Entwicklung in den Vereinigten Staaten von Nordamerika.


(Fortsetzung.)

Der Schritt, der gewöhnlich sehr nahe auf die Bildung einer Gebiets-Regierung folgt, ist die Errichtung

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 326. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_340.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)