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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 82. 22. März 1828.

Simonds Reise in Italien.

[1]


Erster Artikel.

Nachdem so viele Tausende das schöne Italien gesehen und so viele Hunderte, was sie darin gesehen, beschrieben haben, hält man es fast allgemein für so gut als unmöglich, etwas neues über das alte Hesperien zu sagen. Die verborgensten Anspielungen in den Classikern sind gedeutet, die Chroniken des Mittelalters geplündert und die Ereignisse der neuern und neuesten Zeit erschöpft worden; und man braucht daher den Fuß nicht über die Alpen zu setzen, um in Venedig, Mailand und Turin, in Genua, Florenz, Rom und Neapel besser zu Hause zu seyn, als – im Falle geringer Unordnung der Ideen, Papier und sonstigen Hausgeräthe – in seinen eigenen vier Pfählen. Dennoch möchten wir uns eben auf diesen Umstand beziehen, indem wir behaupten, daß nichts leichter sey, als auf Feldern, die man einmal als abgethan zu betrachten gewohnt ist, überraschende Entdeckungen zu machen; und namentlich sind wir überzeugt, daß wenige Ausländer die Schwelle der ersten italienischen Osteria betreten haben werden, die nicht, sobald sie nur für gut fanden, ihre Augen zum Sehen anzuwenden, sich in eine fremde Welt versetzt fanden, von der ihnen weder ihre Excerpte aus den Alten, noch die Bibliotheken frommer Mönche, noch die Zeitungen, Berichte und Beschreibungen unserer Tage einen Begriff gegeben haben. Daß dennoch der Gewalthaufe der Reisenden bei dieser Terra incognita täglich – im wörtlichsten Verstande – mit Extrapost vorbeifährt und nur selten Einzelne einen Blick in dieselbe thun, kann uns nicht befremden, wenn wir unter andern Abenteuerlichkeiten jener Heerfahrt vernehmen, daß blinde Professoren den Zug führen, die Gegenstände schildern, beurtheilen und auslegen, welche sie, mit ihren physischen Augen wenigstens, nie erblickt haben. Ob dieser Brauch so allgemein sey, wie uns versichert worden ist, wollen wir nicht entscheiden; aber bekannt ist es uns z. B., daß eines der geschätztesten Werke über Kunst in Italien von einem Manne geschrieben worden ist, der nicht länger als vier Wochen in Italien gewesen war, und daß ein anderes eben so schätzbares Werk über italienische Alterthümer von einem jungen Gelehrten herausgegeben wurde, der, während er in den Logen des Vatikans die „herrlichen Fresken Raphaels“ bewunderte, die Hoffnung äußerte, er werde bei einem künftigen Besuche im Stande seyn – sie zu sehen. – Claudite jam rivulos, pueri! sat prata biberunt.

Manchen überraschenden Blick in die unbekannten Regionen, die wir eben erwähnten, haben wir in der kürzlich erschienene „Reise in Italien und Sicilien,“ von Simond, dem Verf. der Reisen in England und der Schweiz, bemerkt, und wir glauben daher eine Pflicht gegen unsere Leser zu erfüllen, indem wir sie durch eine Reihe von Auszügen auf dieses Werk aufmerksam machen; zumal da wir dasselbe für eine deutsche Uebersetzung bei der großen Einseitigkeit des Verfassers, die ihm nie einen andern Standpunkt einzunehmen erlaubt, als den eines französischen Gelehrten und – wie man jetzt zu sagen pflegt – constitutionellen Royalisten, eben nicht geeignet halten.

Gleich im Eingange können wir dem Verfasser, den die Simplonstraße aus dem Rhone-Thal in das der Toccia herab geführt hat, nicht beistimmen, wenn er uns, hergebrachter Weise, versichert: er habe sich plötzlich (im October) aus dem eisigen Winter in einen ewigen Frühling versetzt gefunden. In der ganzen Lombardei verlieren die Bäume ihr Laub fast eben so früh im Jahr, als im südlichen Deutschland; und nur an den Seen sehen wir hie und da auch im Winter das fette, aber sparsame grüne Laub des Oelbaums.

In Mailand angekommen, bemerkt er, daß die Regierung des Königreiches Italien zwei Millionen Lire (Franken) jährlich ausgesetzt habe, um den Bau des Domes – über welchen er, beiläufig, die gewöhnlichen, abgeschmackten Urtheile wiederholt – zu vollenden; gegenwärtig rücke die Arbeit nicht mehr vor, und sein Führer habe, um dieß zu erklären, seufzend gesagt: Non c’ è denaro! (Man hat kein Geld!) „Aber woher, meint ihr wohl, entgegnete Simond darauf, daß das Geld zu den Zeiten Bonaparte’s kam? Wurde es nicht aus euren Taschen gezogen? – Nicht aus der meinigen wenigstens, war die Antwort; i cavalieri (die Herren) zahlten, und das Geld, das auf der Stelle wieder ausgegeben wurde, kam im Gegentheil in die Taschen derer, die – wie ich – desselben bedurften und arbeiteten; während es gegenwärtig nach Wien geht und dazu dient, um den Engländern die Summen zu bezahlen, die sie den Oesterreichern geliehen haben, damit diese uns bekriegten. Es giebt jetzt weniger Abgaben, aber wir fühlen sie mehr.“ Wenn es uns auch eben nicht wahrscheinlich bedünkte, daß ein gemeiner Fachino oder Lohnbediente sich auf dem Dach des Domes in das angeführte Raisonnement eingelassen habe; so können wir doch nicht leugnen, daß dasselbe in der That für die öffentliche Meinung in Mailand und dem größten Theil der Lombardei sehr bezeichnend ist; erinnern müssen wir dabei nur

  1. Voyage en Italie et en Sicile par L. Simond, auteur des voyages en Angleterre et en Suisse. Paris 1828.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 325. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_339.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)