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Das Ausland. 1,2.1828

erscheinen. Den Puls darf er nicht anders als durch eine Mousselinschleife fühlen. Blos in Fällen großer Gefahr lassen die Gesetze von ihrer Strenge nach, und gestatten einer Frau sich zu entschleiern, ihre Augen, ihre Zunge oder irgend einen andern Theil ihres Körpers von dem Arzte besichtigen zu lassen. Uebrigens wird die Arzneikunde meist von Weibern ausgeübt, welche wenig Wissenschaft aber eine desto größere Erfahrung besitzen. Im ganzen Reich giebt es keine Accoucheurs; blos Frauen, Eben Cadinn genannt, versehen diesen Dienst. Die Gegenwart eines Mannes bei einer Entbindung, würde einer Familie für immer einen Mackel aufdrücken.

Trotz dem, was Herr Paläologus und andere leidenschaftlich und einseitig urtheilende Europäer vom Gegentheil versichern, bewahren doch die türkischen Mädchen in der Regel ihre Unschuld streng und unverletzt. Ihre Aengstlichkeit geht hierin so weit, daß sie selbst in ihren eigenen Gärten nicht zu jeder Stunde unverschleiert spazieren zu gehen wagen, wenn sie nicht ganz sicher sind, daß kein Mann sie belauschen kann. Geht eine Frau ins Bad, so ist sie stets von andern Frauen der Familie begleitet und von weiblichen Sclaven und Eunuchen gefolgt. Erst im vorgerückten Alter besucht sie die Moschee; bis dahin spricht sie das Gesetz von Beiwohnung des öffentlichen Gottesdienstes frei. Ueberhaupt erscheinen Frauen von einigem Rang nie häufig im Publikum, indem dieß aller Sitte widerspräche. Meist erblickt man auf den Straßen blos ärmere Frauen; aber auch sie sind stets verschleiert und aufs sorgfältigste bedacht, sich nicht die geringste äußere Unschicklichkeit zu Schulden kommen zu lassen, so daß sie nicht einmal mit jemand sprechen. Einer Frau auf der Straße nachzugaffen, wird als ein Zeichen der Gemeinheit betrachtet, und wer sie mit irgend einem unschicklichen Worte beleidigen wollte, würde sich der Gefahr aussetzen, von der Polizei ergriffen und, im Fall des Widerstandes, zu Boden geschlagen zu werden. Nie hält eine türkische Frau einen Kramladen oder eine Waarenbude, oder verkauft irgend etwas auf der Straße; nur gewisse alte Weiber, welche an die Frauen des Harems allerlei kleinen Putz, Spielereien etc. verkaufen, machen hievon eine Ausnahme.

Jede Familie lebt abgesondert für sich. Der Ehemann, den man gewöhnlich für einen absoluten Tyrannen seines Hauses hält, kann nie in sein eigenes Harem treten, wenn zufällig eine fremde Frau bei der seinigen auf Besuch ist; er muß warten, bis sie sich verschleiert hat und man gehörig vorbereitet ist ihn zu empfangen. Der Sultan selbst dürfte es nicht wagen, dieß Gesetz zu verletzen.

Gewöhnlich essen Frau und Mann nie zusammen.

Die Hauptunterhaltung der Frauen besteht im Besuch der öffentlichen Bäder und ihrer näheren Verwandten. Doch geschehen diese Besuche nicht häufig, meist nur in Zwischenräumen von fünfzehn oder zwanzig Tagen. Sie nehmen dabei alle ihre kleinen Kinder und einige Sclaven mit. Da jede Familie ängstlich darauf bedacht ist, keinen Besuch schuldig zu bleiben, so wird der größte Theil des Jahres blos mit diesen gegenseitigen Besuchen der näheren Bekannten zugebracht.

Fremde Frauen finden äußerst schwer Zutritt in den Harem, außer etwa als Putzmacherinnen; nie aber betritt eine das Serail.

Ungeachtet Mahommed selbst vielen Umgang mit Juden und Heiden hatte, und in dem Koran sogar die Heirath mit Christen und Juden erlaubte, so ist doch das Vorurtheil noch mächtiger als das Gesetz, und erhält einen beständigen Widerwillen gegen die Ungläubigen, so daß ein Türke, wenn er auch zuweilen einem Fremden seine Freundschaft schenkt, doch sorgfältig bemüht ist, diese Gesinnung vor seinen Landsleuten zu verbergen.

(Schluß folgt.)


Die Niederlage der Wechabiten.


(Schluß.)

Kein Gegenstand würde für den Pinsel einen glücklichern Stoff dargeboten haben, als die Abbrechung unsres Lagers. – Die Zelte wurden niedergerissen, Kameele beladen; Gruppen von Soldaten nahmen hier und da ihren Morgentrunk, die Bataillons stellten sich in Ordnung, Offiziere bestiegen ihre Pferde, Männer von fast allen Farben und Trachten jagten durcheinander, und vermehrten die Lebendigkeit der Scene. Unser Marsch dagegen würde schwerlich einen Maler zur Darstellung aufgefordert haben. Ich glaube nicht, daß ein Soldat härtere Beschwerden ertragen kann, als wir in der Mittagsstunde einer tropischen, von dem glühenden Sande zurückprallenden Sonne, durch den wir nicht giengen sondern wateten, zu erdulden hatten. Von Durst erschöpft, wurden wir durch die dürftige Portion Wasser, die wir bei uns führten, eher zum Trinken gereizt, als befriedigt. Wir hielten von Zeit zu Zeit, um eine andere Erfrischung, Wasser mit einem geistigen Getränk vermischt, zu nehmen. Oft wurde das Auge durch trügliche Bilder getäuscht. Einmal erinnere ich mich, brachen plötzlich und fast zu gleicher Zeit unsere Leute in ein lautes Freudengeschrei aus. Wir sahen die Stadt vor uns, vor der wir lagern sollten, ihre Dattelwälder, Thürme, Hütten und silbernen Quellen; selbst die Kameele glaubten wir zu erblicken, die mit Wasser beladen uns entgegen kamen, – allein, es waren nichts als Bilder, welche unsere Phantasie auf die von der Sonne erleuchteten Wolken gezeichnet hatte. Es währte eine geraume Zeit, bevor wir uns diese Täuschung erklären konnten, und seit der Zeit fanden wir oft, daß wir die verschiedensten Gestalten nach Belieben heraufzuzauben im Stande waren. Einige orientalische Phantasien beschworen Moscheen

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_316.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)