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Das Ausland. 1,2.1828

Entspringt und sich im Schoos der Erde birgt,
 Eh ihre Schönheit, schwindet
Eh sie zum Trank unreinen Heerden dient.

Seht sie, die weinet – weh, wie jung sie noch! –
Und, an dem Rand des klaren Beckens sitzend,
Die Haare, blond, wie Buchsbaum von Cythore,
Als leichten Schleier auf dem Busen zeigt!
Begeistert hätt’ sie Raphael gemahlt!
O diese Stirn, durch holde Unschuld schön!
O dieser Blick gemischt von Furcht und von
Unwissenheit, den sie so süß erhebt
Auf ihren wilden Käufer! Dieses Aug,
Deß Blau der Blume gleicht, die zwischen Aehren
Die Form des Sterns, des Himmels Farbe hat!
Der Stolz des Vaters segnete den Tag,
Der sie gebar; im Mutterherzen wuchs
Mit ihr die Hoffnung eines edlen Bundes.
Und weh, so rein und zarten Alters sie,
Kauft sie der Jud’, dem Geiz im Auge glänzt,
Um sie dem greisen Muselmann zu feilschen.

Die Mutter? sie war da! doch wer vermag
Der Mutter stummen wilden Schmerz zu sehn?
Bleich, schweigend, unbeweglich – lebt sie noch?
Das Auge, trocken, starr, doch ohne Blick,
Scheint nur des Geistes innern Graus zu schau’n.

Vom Abend sind die Minarets vergoldet,
Der Treiber kommt und sagt: „Was hält uns auf!
Es tranken die Kameele, laßt uns eilen!“
Und der Matrose kommt: „An Bord! an Bord!
Der Wind schlägt um! Das Schiff ist schon bereit!“

Und, unbeweglich, bleibt die Mutter taub
Und sieht nicht, wie man sich umarmt und weint
Rings um. „Die Reise säumt nicht. Lebet wohl!“
Geschieden wird, was sich geliebt! Und jede,
Sie glaubt in dieser letzten Stund auf’s neu’
 Die Heimat zu verlassen,
 Sie fliehn und wissen nicht
 Wo, unter welcher Sonne
 Des Herren Harem liegt!
Ist’s zu Damask, Aleppo, Tunis, Stambul?

Und ging’ es noch demselben Lande zu,
Wär nicht die Schwester von der Schwester fern,
Säh in desselben Hauses Dienst die Mutter
Beruhigt sich der Tochter nah! Doch ihr
Sie zu entreißen naht der schwarze Sclave.

Was hört sie? „Meine Mutter! hilf mir, Mutter!“
Was ruft ihr in das Aug den Glanz zurück?
Was giebt ihr plötzlich Leben, Kraft, Gedächtniß
Und Stimme wieder, wie mit einem Schlag?
Welch Feuer jetzt im Mutterauge blitzt!
„Mein Kind!“ sie dringt hindurch, umschlingt ihr Kind:
„Mein Kind!“ sie hält es, schwört, daß ihrem Arm
Der schnöde Mohr es nicht entreißen soll.
Sein Herr, er ruft, gebietet, schilt und droht:
„Thor! eine Griechin, Sclavenkind des Sclaven!“
Doch welcher Zauber eines Talisman’s?
Welch’ Wetterstrahl, der plötzlich theilt den Sturm?
Wie stählt ein Mutterherz den Muth!
Sie fleht, die Griechin, zu des Moslim’s Fuß
Ihn auf den Knien um Sclavenfesseln an:
„Verzeiht mir, ich bin Mutter!“ faßt die Hand:
„O sey barmherzig, edel, groß, gerecht!
Erkaufe mich! es ist mein theures Kind,
Mein letztes Kind, das Kind das ich gesäugt,
Das mir so oft in meinen Armen ruhte.
O guter Moslim, eine Mutter fleht;
O reiße sie nicht los von ihrem Kinde!“

Sie folgt ihm, drängt ihn, hängt an seinem Kleid.

„Ich habe Kraft noch, bin ich denn so alt?
Ich kann die Nadel führen, drehn die Spindel,
Kann Seide weben, kann die Bienen zieh’n;
Ich will die Wiege warten eurer Kinder:
Ihr sollt zufrieden seyn! Mein Elend soll,
Dir unterwürfig, keinen Dienst verschmähn.
O guter Moslim, du hast eine Mutter,
O trenne mich von meinem Kinde nicht!

Die Hand des Muselmann’s stößt sie zurück. – –

Smyrna, der große Stapelplatz und Markt des Orients, liegt im innersten Busen eines Golfs, der seinen Namen trägt, umgeben von langen Cypressenreihen und beherrscht von einem Hügel, auf welchem man ein großes festes Schloß sieht; dieß ist der Berg Pagus des Alterthums, wo Alexander eines Tages unter einem Platanus schlummerte und von der Gründung seines Smyrna träumte, von welchem noch jetzt Trümmer erhalten sind. Aus der Ferne scheint die Rhede von Masten angefüllt, indem die Cypressen, die sich mit den Schiffen vermischen, die vollkommenste Täuschung hervorbringen; aber in der Nähe ist man erstaunt, sie fast leer zu finden. Als ich sie sah, bemerkte man kaum einige dreißig Schiffe, hier und da zerstreut, darunter nur vier oder fünf aus Europa und ein amerikanisches.

Alle Städte des Orients sind sich gleich; in den Augen des Fremden geben ihnen die Cypressen, die Minarets, die engen Straßen, die Stille, die Feuersbrünste, die Pest insgesammt das Ansehen von Schwestern. Die Pest war in Smyrna, gerade am Morgen meiner Ankunft, in dem Gefolge eines Pascha eingezogen. Wir hörten noch auf dem Meere die Kanonen, welche ihren Einzug begrüßten. Oft übt die Pest in dieser zusammengedrängten und volkreichen Stadt die größten Verheerungen an. Im Jahr 1814 raffte sie mehr als vierzehntausend Personen hin, ungefähr ein Drittheil der gesammten Bewohnerzahl; man hat bemerkt, daß sie besonders dann fürchterlich war, wenn sie von Aegypten kam. Wenn man sieht, wie häufig die Feuersbrünste hier sind, so möchte man sich fast in Constantinopel glauben. Zwölf oder funfzehenhundert Häuser waren wenige Tage vor meiner Ankunft verbrannt. Noch rauchten die Brandstätten, und so groß die Macht der Gewohnheit und die unerschütterliche Ruhe der Orientalen, daß die benachbarten Kaufleute bereits wieder in ihren Buden auf ihren Matten lagen, ohne weiter an das geringste zu denken. Auch in den Caffees, die an die Trümmer stießen, sahen die Türken, mit gekreuzten Beinen dasitzend, den Rauch neben ihnen mit eben so viel Selbstvergessenheit und Indifferenz aufsteigen, als sie den aus ihrer Pfeife betrachteten.

Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_290.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)