Seite:Das Ausland (1828) 288.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Das Ausland. 1,2.1828

Bei diesen Worten wurde die Etoile vor Grimm abwechselnd blaß und roth. „Was wird man in der Vorstadt, im Schloß, in den Provinzen denken? Schnell unser Geschütz vom stärksten Kaliber herbei! Laßt uns die Vermessenheit durch die Invektive niederschmettern!“, „Wir denunzieren,“ sagte hierauf die Etoile, „die gottlose Allianz der Quotidienne und des Constitutionnel. Um eine Opposition zu machen, hat sie ihren Posten am Altar des Royalismus im Stich gelassen: die ältesten Freunde sind durch ihre Umtriebe getrennt; sie bringt die Zwietracht in unser Lager.“ „Wir werfen alle deine Verunglimpfungen auf dich zurück,“ erwiederte die Quotidienne. „Ha, fährt die Etoile mit fast athemloser Stimme fort, kann man es ohne Entrüstung sagen? Die Quotidienne (horresco referens) führt das Ministerium Pasquier im Schild. Während Herr Michaud seine Contreopposition am Hof und bei der rechten Seite bildet, kommen die Bedienten einer Excellenz von ehegestern daher, um diesem alten Centrum der rechten Seite, schon einmal so grausam verletzt von der Quotidienne, als sie Herrn von Richelieu stürzte, nach Hause zu leuchten. Verrath! Verrath! Sinon ist in den Mauern von Troia.“

In Wirklichkeit weichen die Lehrmeinungen der Etoile und der Quotidienne kaum um ein Haar von einander ab. Die letztere mag etwas weniger fromm seyn, den Fall ausgenommen, wenn Herr Laurentie seine ultramontanische Feder ergreift, ohne daß er nöthig hätte, seine Gedanken zu maskiren. In diesem Fall trägt die Etoile unter ihrem politischen Oberrock das Unterkleid einer Ultramontanerin, solange die Declaration von 1682, welche die königliche Gewalt von der alten kirchlichen Censur emancipirt hat, unangetastet bleibt. Herr Laurentie dagegen führt freimüthig das Wort für die Meinungen des Herrn von Lamennais. Sonst aber sprach die Etoile ihre religiösen Verpflichtungen entschiedener aus als ihre Nebenbuhlerin, und man sah, daß sie von einer innigeren Ueberzeugung beseelt war.

Ihren Ultraismus wußte die Quotidienne immer so zu bewahren, daß die Politik des Herrn von Villele nicht selten Wohlgefallen an ihr fand oder wenigstens, vielleicht aus Gründen einer anderweitigen Nöthigung, freundlich mit ihr that. Die Etoile konnte sich im Grunde keines reellern Ultraismus rühmen, als ihre Gegnerin. Aber die Etoile hatte die Rolle des Ministerialismus übernommen; genug für die Quotidienne, um mit dem ganzen Gefühl ihres erwachten Stolzes alle Widersprüche und Irrthümer, die der Armen zuweilen entschlüpften, unbarmherzig aufzudecken. Hin und her geworfen zwischen ihrem Gewissen und dem Präsident Boyer, zwischen ihren Vorurtheilen und Herrn Canning, zwischen ihren apostolischen Neigungen und Zea half sich die Etoile in ihren Verlegenheiten so gut sie konnte. Bedenkt man aber hiebei ihre schwierige Lage, so scheint doch ihr Benehmen nicht so ungeschickt gewesen zu seyn, als ihre Nebenbuhlerin vorgibt.

Die HH. Capefigue, Audibert und Malitourne mit ihren mannigfaltigen Talenten, mit der Geschmeidigkeit ihres Geistes, mit der Lebendigkeit ihrer Sprache und der Wärme ihrer Gedanken haben oft einen schönen Glanz über die Quotidienne verbreitet. Ihrem Journal fehlte die zierliche Zeichnung, aber es war zu Zeiten das interessanteste für den, der sich gerne das kleine Vergnügen macht, die große Carnevalsscene der Welt mit den läppischen und fantastischen Figuren, die bald erscheinen, bald verschwinden, an sich vorübergehen zu lassen.

Der Aristarch hatte eine mehr ernste und concentrische Haltung, sein Zorn mehr Ausdruck: oft warf er sich im Unwillen über die Quotidienne her: sie schien ihm nicht genug von jener Kraft des Hassens zu besitzen, welche die Gewölbe der Versammlungssäle erschüttern, welche Herrn von Villele stürzen sollte. Da dieses Blatt, dem seine Eigenthümer nur schwachen Vorschub leisteten, nicht mehr existirt, so reden wir davon nur in sofern als sein schnelles Aufhören beweist, daß der energischste Theil der Contreopposition nicht gesonnen ist, seine politische Rolle mit großen Opfern zu behaupten. Ohne Zweifel würde, wenn diese Partei zum Besitz der Macht gelangte, die Hälfte ihres Feuereifers erlöschen, und dadurch ihren ergebensten Anhängern die Binde von den Augen fallen. Der Renner, der sich am schnellsten erhitzt, hält nicht am längsten im Lauf aus.

(Schluß folgt.)


Ursache der regelmäßigen Nordostwinde in England.


In der neuesten Nummer des Edinburgh Journal of science giebt Mr. Samuel Marschall von dem einzigen periodischen Wind, der in England weht, dem von Nordost, welcher gewöhnlich von Mitte April bis zum 7 oder 8ten Mai und zuweilen noch länger herrscht, folgende Erklärung: In Schweden und Norwegen ist die Oberfläche des Bodens bis in die Mitte Mai mit Schnee bedeckt. Diese gefrorne Decke, welche während des Winters gebildet worden ist, wird allmählich dünner bis gegen den 15. und 16. Mai oder bis die Sonne 17° oder 18° nordischer Neigung (north declination) erhalten hat; während auf der andern Seite auf den Bergen und in den Thälern von England die Höhe der Temperatur um 24 oder 25° gestiegen ist. Wenn der Schnee die Temperatur von Norwegen und Schweden noch bis zu 32° abkühlt – weil die Sonnenstrahlen, so lange der Boden mit Schnee bedeckt ist, unfähig sind, die Luft über demselben über 32° (den Gefrierpunct) zu erwärmen – ist daher die von Britannien 24 oder 25° höher, als jene der erwähnten Landschaften. Die Luft von Norwegen und Schweden wird daher nach dem Gesetze des Gleichgewichts die von England verdrängen, und nach dem Verhältniß der Lage jener Länder zu diesem muß diese Bewegung einen Nordostwind hervorbringen. Diese Strömung ist gewöhnlich bei Tage stärker, als bei Nacht; weil die Veränderung in der Temperatur der Luft zu dieser Zeit am größten ist, indem dieselbe häufig um Mittag von 50 zu 60" beträgt, und in der Nacht bis auf 32 Grad herabsinkt.


Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 276. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_288.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)