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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 69. 9. März 1828.

Der Krieg mit der Türkei[1].


Je mehr die Hoffnung verschwindet, daß die Verhältnisse der europäischen Mächte mit der Türkei sich auf friedliche Weise werden ausgleichen lassen, um so mehr müssen auch alle Fragen an Interesse gewinnen, welche sich auf die neuen politischen Combinationen beziehen, die hierdurch unvermeidlich herbeigeführt werden würden.

Von den Revolutionen, welche am Schlusse des vorigen und zu Anfange dieses Jahrhunderts alle Länder Europas mehr oder weniger erschütterten, und von allen Verwüstungen der mehr als zwanzigjährigen Kriege, welche jene Revolutionen begleiteten, blieb die Türkei allein verschont. Vergebens drohte und schmeichelte abwechselnd Napoleon; die ottomanische Pforte blieb unbeweglich: der Sultan weigerte sich standhaft an dem großen Continental-Kampf Antheil zu nehmen, und hielt getreulich alle Verpflichtungen, die er gegen mehrere europäische Mächte eingegangen war. Viele sahen diese Unthätigkeit als eine Folge der Unbeweglichkeit dieser großen Völkermasse, oder ihrer Unwissenheit und ihres Religionsfanatismus an; wir sind indessen weit mehr geneigt, den Grund dieser Passivität in einer wohlberechneten Politik und in der gerechten Besorgniß zu suchen, die Griechen möchten den Krieg benutzen, um ein Joch abzuschütteln, das sie – wie sie schon mehr als einmal gezeigt hatten – nur mit dem größten Widerwillen trugen.

Diese strenge Neutralität von Seite der Türkei war den Alliirten bei ihren letzten Kämpfen gegen Napoleon von nicht geringer Wichtigkeit. Auch erkannte besonders Großbritannien den Vortheil, der ihm aus der Unthätigkeit der Türkei erwuchs, und das brittische Cabinet drückte dies in mehreren Erklärungen unverhohlen aus. So hieß es in der „Uebersicht des Zustandes der Nation im Jahre 1822,“ einer halbofficiellen Schrift: „Was auch der Charakter der Türkei und ihrer Regierung seyn mag, so ist sie doch de facto eine unabhängige europäische Macht, und hat eine ganz bestimmte Stellung auszufüllen. Wenn dies aber der Fall ist, so ist es auch im Interesse von Europa, der Türkei die Mittel zu gewähren, diese Stellung zu behaupten. Sie kann an ihrem Platze nicht fehlen, ohne daß die allgemeine Ordnung gestört würde; ganz besonders muß aber England daran liegen, die Türkei, so wie sie besteht, zu erhalten. Auch haben unsere diplomatischen Verhandlungen stets diesen Zweck vor Augen gehabt, und sie mußten demnach unter den gegenwärtigen Umständen eher suchen ihre Macht zu heben, als sie zu verringern.“

Großbritannien ist in der That immer als der natürliche Verbündete von der Türkei betrachtet worden, und seitdem es die ionischen Inseln besitzt, muß man gestehen, daß es auch die einzige Macht ist, welche im Stande ist, die Existenz der Pforte zu garantiren. Wäre diese schützende Inselgruppe in die Hände der Russen oder Oesterreicher gefallen, so leidet es wohl keinen Zweifel, daß dieses Reich in kurzer Frist seinem Untergang entgegen sehen könnte.

Die erste Abweichung von dieser richtigen Politik ließ das brittische Cabinet sich zu Schulden kommen, als der Großherr der Janitscharenkorps auflösen wollte. Damals unterstützte der englische Gesandte in Constantinopel diese Maßregel in Gemeinschaft mit dem russischen Hofe. Als Grund wurde freilich, auf eine halbofficielle Art, angeführt: „Die Janitscharen wären nach der gegenwärtigen türkischen Verfassung eine stehende Armee, die von der Regierung fast ganz unabhängig sey, und diese deshalb mehr beschränke, als ihr wahre Macht verleihe; sie seyen eine militärische Corporation, die ihre Privilegien habe,“ u. s. w. Dies war allerdings in gewisser Beziehung nicht unbegründet; aber die Janitscharen waren doch tapfre und wohlorganisirte Truppen; sie hatten bei der Vertheidigung ihres Vaterlandes mehr Interesse, als irgend eine andere Volksclasse, und keine Nation wünschte daher ihre Abschaffung so sehr, als die russische, der die Entwaffung der Pforte vor allem wünschenswerth seyn mußte. Die Janitscharen hatten außerdem noch die besondere Verpflichtung ihre Religion aufrecht zu erhalten; sie waren zu jedem Opfer für dieselbe bereit, und eine solche Gesinnung war ohne Zweifel der beste Schild für das türkische Reich. Der Sturz der Janitscharen war der erste Act, welcher Mahmuds Macht schwächte; die Vernichtung der türkischen Flotte bei Navarin der zweite. Ohne uns in die Untersuchung einzulassen, die wir als abgemacht betrachten können, wem hier die Schuld des ersten Angriffs zur Last fällt,

  1. Aus„the Sphynx“ einem neueren, außerhalb England noch sehr wenig bekannten, aber höchst geistreich redigirten Blatte der äußersten Whigs. Man sieht daraus, daß die letzteren, die sogenannten Vertheidiger der „Freiheit auf der ganzen Erde“ über gewisse Punkte der äußeren Politik dieselbe Sprache führen, wie die äußersten Tories.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 273. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_285.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)