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Das Ausland. 1,2.1828

schön gewachsenen Usbeken[1], die von Astrakan eingewanderten Eroberer des Landes, aus deren Geschlechte die regierende Dynastie stammt, mit einiger, aber nicht sehr merklicher Beimischung der mongolischen Race; – Turkomannen, in deren etwas breiten Gesichtern, untersetzten Staturen, kleinen Augen, schon mehr mongolisches Gepräge ist; – Kirgisen, unfreundliche Gestalten, mit dem wilden Feuer in den großen ernstblickenden Augen, mit oft schon ziemlich bedeutender Annäherung der Nase zu der mongolischen Aufstülpung, aber ohne die Vierschrötigkeit der Mongolen und ohne die Ausdrucklosigkeit ihrer Gesichter; – Afghanen, Abkömmlinge von Geißeln, welche Timur ihrem Vaterlande entrissen, mit dem sinnenden Ausdruck einer hindustanischen Physiognomie; – Sarys und Tadschiks, die ursprünglichen Bewohner der Bucharei, Nachkömmlinge, wie man glaubt, der alten Sogdianer, sanfte, geschmeidige, gebildete, aber unkriegerische, Menschen, mit feinen, europäischen Zügen, weniger brauner Gesichtsfarbe als die Araber und Perser, deren es hier gleichfalls sehr viele gibt; – endlich Kalmuken, Lesgisen, Juden und Zigeuner, persische und russische Sklaven. Nicht leicht dürfte sich irgendwo in der Welt ein Staat von verhältnißmäßig so kleinem Umfange finden, der eine solche Menge der verschiedensten Völker-Individualitäten aufzuweisen hätte, wie die Bucharei, die dadurch den lebendigen Beweis liefert, daß sie seit Jahrtausenden der Tummelplatz aller asiatischen Eroberer gewesen ist.

Der Ackerbau ist eine ergiebige Quelle des Nationalreichthums, und wird mit bewunderswürdiger Einsicht und Sorgfalt behandelt. Seine zahlreichen Produkte sind, da die Industrie keine Fortschritte macht, fast die einzigen Gegenstände des Handels.

Die Felder sind in kleine Vierecke eingetheilt, und rings mit Rasen eingefaßt, damit das Wasser, womit sie gewässert werden, nicht abläuft. Zahllose Kanäle welche die Hauptflüsse des Landes, den Zer-afchâan und den Kachga sammt ihren Nebenflüssen aussaugen, durchkreuzen sich, und sind, wie die sehr schmalen Straßen, in der Regel mit Alleen besetzt. Da die Kanäle nicht gleichen Wasserspiegel haben, so bilden sie auf den Punkten, auf welchen sie zusammenlaufen, kleine Wasserfälle, deren Murmeln melodisch in das Ohr rauscht. Die regelmäßig angelegten Gärten, worin Iris, Aster, Herbstrose, Nelke, Mohn und Sonnenblume prangt, wo Pfirsich, Quitte, Feige und Granate blüht, die zwischen den Bäumen verstohlen durchblickenden Dörfer mit ihren Mauern und Zinnen, wodurch sie das Ansehen kleiner Festungen bekommen, tragen wesentlich bei, das Malerische der lebensvollen Landschaftsscene zu erhöhen.

Bochara sieht man nicht eher, als bis man sich bis auf drei Werste genähert hat. Welche Ueberraschung für den Europäer wenn sich auf einmal der Glanz einer muselmännischen Hauptstadt vor seinen Augen entfaltet, wenn sich die Thürme und Mauern einer Stadt von 70,000 Einwohnern, in einem Umkreis von fünfzehen Wersten, stolz aus der mit Gärten und Obstwäldern, mit Seen und Landhäusern bedeckten Ebene erheben, noch überragt von den Giebeln der Paläste, der Medressés[2], der Minarets und den Façaden und Kuppeln von drei hundert und sechszig Moscheen, auf deren mit farbigen Ziegeln, wie mit Blumen[3], bunt besäete Dächer die Sonne ihre Strahlen wirft.

Aber die Täuschung schwindet, wenn man die Stadt betritt. Schmutzige, krumme, kaum fünf bis sechs Fuß breite Gassen, graue Lehmhäuser, die, weil ihre Vorderseite gegen den Hof gerichtet ist, dem Vorübergehenden nichts als kahle Wände zeigen, das Gedränge der Menschen und Thiere, durch welches man sich mit Mühe und nicht ohne Gefahr durcharbeitet, eine Bevölkerung, die keinen Laut der Freude, nichts von Gesang oder Musik oder Festlichkeit vernehmen läßt, diese ganz gemeine Wirklichkeit hemmt mit einem Male den Schwung der Phantasie und zerstört die hochgespannten Erwartungen.

Ihr classisches Zeitalter hatte die Bucharei unter den Timuriden. Die schönsten Gebäude von Bochara und Samarkand sind aus jener Zeit. Noch jetzt hat letztere Stadt, die das aus Jaspis erbaute Grabmal Timur’s in sich einschließt, und wo einst Olug-begs berühmte Sternwarte war, vor Bochara den Vorzug ihrer marmornen Prachtgebäude, wenn sie auch eine vielleicht um 20,000 Menschen geringere Bevölkerung enthält.

Was von Gebäuden in Bochara neu ist, verdient kaum in Betrachtung gezogen zu werden. Die merkwürdigsten Gebäude[4], die Bochara aufzuweisen hat, der Palast des Khans, Arck genannt, und das Minaret von Mirgharab, sind sehr alt.

  1. Man sehe die beigefügte Lithographie: „Bewohner des innern Asiens.“ 1 Usbeke, 2 Turkomanne, 3 Kirgise, 4 Sarty, 5 Tadschik, 6 Tadschikin, Frau, 7 Tadschikin, Mädchen, 8 Afghane. Durch diese nach der Originalzeichnung treu wieder gegebene Abbildung erhalten wir indessen mehr eine allgemeine Vorstellung von dieser kräftigen asiatischen Völkerschaft, als von ihren durch die Vermischung der Racen mannigfaltig nüancirten Formationen.
  2. Es gibt sechszig Medressés oder Collegien in dieser Stadt, welche bei den Muselmännern die wissenschaftliche heißt. Die Medressé E-Nassar-Eltschi ließ die Kaiserin Catharina II mit einem Aufwande von 40,000 Silberrubeln, auf ihre Kosten bauen.
  3. Es werden Ziegel von verschiedenen Farben so gelegt daß sie Blumensträuße und Verse aus dem Koran darstellen. Die herrschende Farbe ist blau, doch gibt es auch Kuppeln, wo sie grün ist, und die Blumensträuße durch gelbe, blaue und grüne Ziegel gebildet werden.
  4. Man sehe die dem heutigen Blatt beigegebene Lithographie.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_262.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)