Seite:Das Ausland (1828) 244.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Das Ausland. 1,2.1828

Hochgestellter Text trancendenten Metaphysik, und die Verirrungen finden, welche der Mißbrauch des Verstandes nothwendig in den spätern Bildungsstufen civilisirter Völker hervorbringt. Der Grund mag wohl darin liegen, daß der Geist des Priesterthums, der überall im hohen Alterthum die Meinungen in Glaubenslehren verwandelte, in China keinen Einfluß hatte, und daß man hier frei und ohne Mysterien das besprach, was sonst den Gegenstand mystischer Gebräuche, symbolischer Darstellungen und dessen bildete, was man den Eingeweihten lehrte. Doch darf man daraus nicht schließen daß es keine Mährchen in China gab; es hätte ja keine gemeine Menge geben, und das Volk aus lauter Gebildeten, über Aberglauben erhabenen, aus lauter Weisen bestehen müssen. Dieselben Bücher aus denen wir vernünftige und philosophische Ansichten geschöpft haben, enthalten bisweilen, doch seltener, unsinnige Meinungen über Zahlen, phantastische Darstellungen der physischen, physiologischen, siderischen etc. etc. Kräfte, über die Eigenschaften der Heilkräuter, über die Wirkungen geheimer Künste, der Astrologie, der Alchymie, Zeichendeuterei und Magie. Allein es ist ein eigener Zug bei den Chinesen, daß alle diese falschen Dinge von ihnen auf die guten und schlechten Principien ihre Cosmogonie zurückgeführt werden. Wer das Geheimniß des Absoluten ergründet hat, kann fliegen, oder sich den Unsterblichkeitstrank verschaffen. Die Genien und Dämonen, das Einhorn, der Phönix und die Drachen, welche die thierischen Symbole jener sind, alles wird auf die Theorie der successiven oder der Gegenwirkung der beiden Principien bezogen. Wo sich darunter Symbole oder Fabeln finden, kann man sicher seyn, daß die Fabeln dem einzelnen Schriftsteller, die Symbole fremden Systemen angehören. Die antike Weisheit, welche das Objekt aller aufgeklärten Männer des Alterthums war, zeigt sich hier mit aller ihrer Unzweckmäßigkeit und Unvollkommenheit, wie sie den Menschen, die Natur und die Gottheit umfaßt, alles erklären will, ehe nur Eines bekannt seyn konnte, auf falschen Ansichten beruht, mit fehlerhaften Methoden weiter baut, und zu irrigen Folgerungen führt. Allein doch ist es Weisheit, ein rationelles Ganze von oft sinnreichen, bisweilen erhabenen Ideen über die Bildung des All, über die Wirkungen der ersten Ursache und der secondären Kräfte über die Natur des Menschen und die Principien seiner Pflichten. Es ist die Mythologie der Griechen, der Egypter oder der Indier, ohne ihren allegorischen Schleier, ohne ihre räthselhafte Sprache, ohne ihre unzusammenhängenden Mythen und localen Sagen, und unmittelbar an Vernunft und Verstand sich wendend. Auf diese Höhe hatte sich die chinesische Philosophie vor Confutse erhoben, und wir finden ihre halb verwischten Spuren, und zerstreute Bruchstücke in den Schriften von Lao-tsé, Hoai-Nan-tsé, L ẻ-tsé, Tschoang-tsé und anderer, welche die Anhänger von Confutse oft mißverstehen, und zu oft verachten, und in welchen das gelehrte Europa den Nachklang und die Trümmer der Ursagen von Hochasien zu suchen hat.

Confutse suchte sich nicht so hoch zu erheben; er war, um mich eines Ausdrucks von Remusat zu bedienen, ein Socrates, der keinen Platon fand, denn seine Schüler, die uns seine Lehren überliefert haben, waren großentheils mittelmäßige und beschränkte Köpfe. Er führte die Philosophie auf die Erde zurück, um sie ausschließend mit den Pflichten der Könige und der Unterthanen, den Familienverhältnissen und dem materiellen Zustand der menschlichen Gesellschaft zu beschäftigen. Seine Moral hat ein glänzendes Schicksal gehabt, zum Erstaunen des unbefangenen Beobachters; seine Metaphysik ist unbestimmt und unzusammenhängend, so daß der ganze theologische und psychologische Theil seiner Schriften den entgegengesetztesten Auslegungen zugänglich ist. Er würdigt den Urgrund der Dinge herab, indem er die Vernunft nicht mehr für die absolute und schöpferische Existenz, sondern als ein Attribut, als eine Art der Aeußerung, als eine Qualität der Vollkommenheit ansieht, so daß alles seine Vernunft d.h. seine Vollkommenheit hat. Die erste derselben ist die des Himmels, des eigentlichen höchsten Wesens nach Confutse. Der Himmel ist die intelligente und vergeltende Wahrheit; von ihm haben die geschaffenen Wesen ihre natürlichen Eigenschaften, und die Art ihres Gebrauchs. Im Menschen ist die Vernunft eine diesen natürlichen Eigenschaften angemessene Handlungsweise. Indem I-King, — einem Commentar zu einer alten Sammlung räthselhafter Symbole und unverständlicher Sprüche, in der tausend Träumer vor ihm das Geheimniß aller Wissenschaften und die Principien einer Art von Kabbala gesucht haben, — sagt er daß der große Gipfel die zwei Principien, die er Bilder nennt, hervorgebracht habe. Allein er erwähnt des großen Gipfels nur im Vorbeigehen, und geht gewöhnlich nicht über eine gewisse Weltordnung hinaus, (die er nicht definirt, obgleich er sie als den Ur- und Normal-Zustand des All darstellt,) und über einen Hauch oder eine active Kraft, deren Ursprung er nicht bestimmt. Der große Gipfel, der Geist sind Wesen, welche der Gedanke nicht ergründen kann; ebenso wenig als die Genien und Dämonen, seyen diese individuelle Wesen, oder, wie andere Stellen zu beweisen scheinen, Qualitäten der Dinge. Die Moralisten zur Zeit von Confutse stritten sich über das Princip der Tugend, welches die Einen in den wohlberechneten Nutzen, andere in das Wohlwollen, als Quelle der Menschlichkeit setzten; noch andere behaupteten eine Nothwendigkeit, die den Menschen zum Guten und Bösen unwiderstehlich treibe. Confutse ließ nach dem Zeugniß seiner Schüler diese schwierigen Lagen bei Seite; allein er selbst bot dem Philosophen in einer gewissen ideellen Vollkommenheit, deren Urbild im All, deren Princip in uns, und deren Vorbild in den Ueberlieferungen des Alterthums liege, eine Moral ohne Gewähr und Autorität dar. Der Himmel schickt den Guten das Glück, und den Bösen das Unglück, aber wo und wann, darüber schweigt er, und läßt so die unglückliche Tugend ohne Trost. Der Himmel befördert unsere Neigungen; sind wir gut, so macht er uns besser, sind wir schlimm, so macht er uns schlimmer, oder, um eine Parabel eines seiner ersten Schüler zu brauchen, die Erde giebt dem Baum Saft, so lange er steht: wenn er gefallen ist, bedeckt sie ihn, und läßt ihn in Fäulniß zerfallen. Allein dabei bleibt dem Baum immer die Frage übrig: warum bin ich gefallen?

(Fortsetzung folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_244.jpg&oldid=- (Version vom 15.2.2023)