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Das Ausland. 1,2.1828


Kind entflammt, ihre eigene Schande als Preis der Freiheit und des Lebens der Mutter setzt, indem er droht, diese im Weigerungsfalle im Gefängnisse verhungern zu lassen. Die kindliche Liebe zur Mutter siegt; die Unschuld wird geopfert und Olivia befreit; aber die entehrte Mathilde, unfähig ihre Schande zu überleben, gibt sich selbst den Tod.

Von diesem empörenden ‚Gegenstande wenden wie uns mit Vergnügen zu den „Märtyrern“, in denen religiöse Begeisterung, christliche Standhaftigkeit und ein fleckenloses poetisches Gefühl im einer Sprache ausgedrückt sind, die überall dem Gegenstande angemessen, erhaben, gleichmäßig und rein ist. Gleich Tiecks Genovefa hat dieß schöne Gedicht indessen den Fehler keinen theatralischen Effect hervorzubringen. Sein größtes Verdienst liegt in der blumen reichen und zugleich höchst einfachen Schönheit des Styls, dem treffend geschilderten Gegensatz zwischen dem römischen Heidenthume und der Reinheit des ursprünglichen Christenthumes, und in dem edlen, wahrhaft religiösen Gefühle, welches das Ganze durchweht. Die Heldin des Stückes ist Perpetua, eine edle Römerin, die nach der Legende durch die Satelliten des Kaisers Septimius Severus getödtet wurde, wegen ihrer unbeugsamen Festigkeit im christlichen Glauben, die sowohl den Bitten und Verleitungen ihrer Freunde, als den Drohungen und Intriguen des Proconsuls widerstand.

(Fortsetzung folgt.)




Grundzüge der Geschichte der Philosophie bei den Chinesen.

(Fortsetzung.)

Dies ist ein getreuer Abriß dessen, was die Chinesen über das Absolute gedacht haben, und die Wiederholungen darin sind nur Folge der Sorgfalt, mit der die Ausdrücke verschiedener Schriftsteller beibehalten wurden, welche alle über diesen Punkt einig sind. Bei allen diesen Versuchen eine transcendente Wahrheit zu erreichen und auszudrücken, spricht sich unverkennbar eine sehr bestimmte und lebendig aufgefaßte Idee aus, die eines allmächtigen, allweisen, schöpferischen Wesens. Freilich bleibt noch eine wichtige Frage unentschieden, nämlich ob diese Philosophen sich die Gottheit mit Bestimmtheit als ein von der Welt die sie geschaffen, und der Materie die sie gebildet, verschiedenes Wesen dachten, und die Zweideutigkeit gewisser Ausdrücke über Emanation und Schöpfung der Wesen kann Zweifel entstehen machen, ob die Chinesen nicht eher spinozistisch, als deistisch gedacht; der Verfasser ist zwar sehr bestimmt der letztern Ansicht, allein der Versuch sie auch dem Leser mitzutheilen, würde zu einer viel zu weitläufigen Untersuchung führen; daher läßt er diesen Punkt unberührt, so wie die Stellen, welche anzudeuten scheinen, daß die Tao-se das Absolute als ein Wesen betrachteten, dessen Natur Einig und Dreifach zugleich sey; er begnügt sich darüber auf die Abhandlung von Remusat am angeführten Orte, und die Beiträge zu verweisen, welche sie zur Geschichte der Trinitätsehre enthält. Unser kurzer Abriß erlaubt die Ausführung dieser einzelnen Dogmen nicht, so daß wir nun nach der etwas längeren Darstellung der Grundlage dieser Theologie, zu welcher uns der Wunsch sie in den eigenen Worten der Hauptschriftsteller zu geben, veranlaßt hat, die aus diesem Grundprincip abgeleiteten Dogmen so wie die minderwichtigen Sätze des Systems kürzer behandeln müssen.

Die Lehre vom menschlichen Geiste, seinen Eigenschaften und seiner Bestimmung bildet die schwächste Seite des Systems. Der Mensch ist der Microcosmus, und das All der Mensch im Großen; die menschliche Vernunft ist die allgemeine Vernunft; der vollkommene (heilige) Mensch ist dem Absoluten ähnlich und eben so geistig; er ist das erste der Wesen; sein Geist ist Eins mit dem Himmel; er ist das Meisterstück der absoluten Vernunft, ein Einziges Wesen; solche Ausdrücke wiederholen sich immer in den alten Büchern, aber sie lassen Zweifel über die Ansicht dieser Schriftsteller über Unsterblichkeit, Freiheit, Immaterialität des Geistes und Wiedervergeltung. Der Gedanke war körperlos vor der Schöpfung des Himmels und der Erde, und niemand weiß, wem er angehört: als aber der doppelte Geist (die beiden Principien) anfieng sich zu äußern, da entstanden die körperlichen Formen. Ein unreiner oder getrübter Geist schuf die Thiere, der reinste bildete den Menschen. Der menschliche Geist (beides, animus und anima, Seele und Geist) ist ein himmlisches Wesen; der Körper ist ein irdisches Erzeugniß; beide kehren zurück woher sie kamen. Aber wie kann sich bei dieser Trennung das Ich erhalten? fragt sich der chinesische Philosoph aus dem diese Psychogonie gezogen ist. Der vollkommene (heilige) Mensch ahmt den Himmel nach, richtet sich nach den natürlichen Neigungen, läßt sich nicht durch die gemeinen Gebräuche binden, noch durch andere Menschen verführen. Der Himmel ist sein Vater, die Erde seine Mutter, die beiden Principien der Stoff, woraus er gemacht ist; die Zeit ist das Band das ihn hält; seine Reinheit ist eine himmlische Ruhe; seine Ruhe ist Festigkeit, wie die Erde fest ist. Der Tod ist, wenn das All nicht mehr für ihm existirt: Leben ist, wenn alle Dinge mit ihm in Einigkeit sind. Die Ruhe ist das wahre Leben der Seele, so wie Negation aller Eigenschaft das Eigenthümliche des Absoluten ist. Daher kommt das berühmte Dogma von der philosophischen Unthätigkeit, auf welches Lao-tsé und seine ersten Anhänger so sehr drangen, und welches spätere Schriftsteller so sehr mißverstanden, indem sie darin das Princip der Apathie, des beschaulichen Mönchslebens und der sonderbarsten Verirrungen des Geistes fanden. Die Unthätigkeit schließt die ganze Moral dieser Philosophie in sich, und ist auf das Princip gegründet, daß die Verhältnisse zu der äußern Welt, worauf unsere irdischen Neigungen und Gedanken beruhen, eine zufällige und untergeordnete Beschäftigung des immateriellen und vernünftigen Geistes sind: ein Princip, das sie mit den indischen Quietisten theilt, so daß entweder dieselbe Krankheit des menschlichen Geistes in beiden Ländern entstanden seyn muß, oder, wie die Folge wahrscheinlich machen wird, sie den Einen Lande durch Ansteckung von dem andern mitgetheilt wurde.

Es ist ein merkwürdiger Zug des Geistes der Chinesen, daß wir bei ihren alten Schriftstellern statt wunderbarer und dichterischer Erzählungen die Spitzfindigkeit einer


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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_243.jpg&oldid=- (Version vom 20.1.2023)