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Das Ausland. 1,2.1828

als du kannst, und auf deinem Rückzuge stößest du an den Korb einer alten Jüdin, deren Orangen du auf den Boden des Lobby ausstreuest. Hast du diese That vollbracht, so läufst du Sturm gegen die Treppe, und, wenn du fest auf den Beinen und geschickt mit den Ellenbogen bist, so bahnst du dir einen Weg bis zur Thüre des Lobby der Parlamentsboten, doch nicht ohne daß deine Sandwiches einen höflichen Versuch machten, während dem Pressen von der Seite in deinen Magen zu dringen. Hier bleibst du nun zwei Stundenlang aufrecht stehen; und während deine Rippen mit den Ellenbogen gestoßen und deine Zehen mit Füßen getreten werden, siehst du das breite kahle Haupt des Herrn Wright hin und herwandern, so oft er durch eine besondere Thür diejenigen einläßt, deren Schlüssel neuer ist, als deine halbe Krone[1]. Der Sprecher tritt ein, die Thüre öffnet sich, und du wirst von dem Absatz über den Stufen bis zur Höhe der Thür nach der Gallerie geschleudert, gleich als hättest du eine in Explosion gerathende Last Pulver auf dem Rücken. Du betrittst die Gallerie, und alle Plätze der ersten Reihe sind bereits eingenommen, einen einzigen für eine Person ausgenommen, gerade in der Mitte. Irgend ein Spaßmacher ladet dich ein, ihn zu besetzen, aber hier befindest du dich gerade hinter dem Uhrkasten, wo du schlechterdings nichts sehen kannst. Ehe du deinen Irrthum einsiehst, sind alle Plätze besetzt, außer einem ganz hinten, auf welchen du dich nieder setzest. Du hast aber kaum Zeit Athem zu schöpfen, so treiben das Morning-Chronicle oder die Times dich wieder fort, indem sie dir sehr höflich einen halben Platz in der nächsten Reihe geben, und blasen dir von Zeit zu Zeit die Namen der Parlamentsglieder ein, welche ihre Hosenträger in die Höhe ziehen, ihre Bemerkungen auswendig lernen, oder mit ihren Fersen an die untern Bänke schlagen.

Du hast jetzt Zeit, um dich herum zu blicken, und das Erste, was dir auffällt, ist das finstere, kleinliche Ansehen der Kammer[2]. „Wie, die St. Stephans-Capelle, der Schauplatz so vieler großen Reden, die Bühne der collectiven Weisheit, ist kaum halb so groß und nicht den dritten Theil so schön als meine Pfarrkirche?“ Die Wände sind schwerfällig und angeräuchert, und die Decke ist so niedrig, daß du dich dem Ersticken nahe glaubst. Du siehst dich rechts und links um, und staunest über den kleinen Raum, der dem Fremden angewiesen ist. Da du überdem nicht weißt, daß die Seiten-Gallerien nur für die Parlamentsglieder bestimmt sind, welche ausruhen oder schlafen wollen, so wunderst du dich, hier Niemanden zu sehen.[3] Dir gerade gegenüber steht der Tisch, auf dessen dir zunächst befindlichem Rande der Scepter liegt; an dem andern Rande sitzen die Sekretäre. Höher siehst du den Sprecher, mit der anmuthigsten Miene und Perücke; irgend ein junger Laienbruder zischelt mit ihm, gerade um irgend einem auf der Gallerie gegenwärtigen Constituenten, vielleicht dir selbst zu zeigen, daß er sich dem Lehnstuhl nähern darf.[4] Dir zur Linken sind die Minister auf der dem Tische zunächst stehenden Bank, hinter ihnen die ministeriellen Hülfstruppen, nämlich die Country-Gentlemen[5], hinter denen eine ungeordnete Menge sitzt. Dir zur Rechten auf der ersten Bank placirt sich die schwere Artillerie der Opposition, und hinter ihr die leichten Truppen; die Bänke beider Seiten endigen sich zirkelförmig, und verlieren sich vereinigt hinter dem Stuhle des Sprechers; dieß ist eine Art von neutralem Boden, wo die Tories und die Whigs Artigkeiten und Prisen Tabak gegeneinander auswechseln.

Hinter dir sitzen die Morgenzeitungen, schneiden Federn und Bleistifte, und lobpreisen die am Abend vorausgesehenen Redner im umgekehrten Verhältniß ihrer vorausgesehenen Reden. Du bist verwirrt, wenn du bemerkst, daß Menschen, deren Worte und Gesichter so viel Verstand verrathen, nicht nur mit Gleichgültigkeit, sondern mit wahrem Ekel über Dinge sprechen, die zu sehen und zu hören du so weit hergekommen bist. Sey aber so gut, zu bedenken, daß ihre Augen und Finger die Mühe haben, Reden niederzuschreiben, die für dich nur ein Gegenstand der Unterhaltung sind; daß ihr Gedächtniß sich auf die Folter spannen müßte, sollten sie sich erinnern, sollte ihr Urtheil auseinanderlegen und zusammenfügen, wie alle Knochen, Muskeln, Adern und Nerven in dem Körper der Rede in einandergriffen; daß sie, mit einem Worte, auf den Flügeln des Windes, der bald dahersaust wie die Wechselwinde des Meere, bald seufzet wie Zephyr, bald brüllt wie der Sturm, oder sich im Wirbel umherdreht, die Rede ergreifen, ihr Körper und Stabilität geben, und sie so in die weite Welt schicken müssen.

Hast du dich nun gehörig umgesehen, und horchst mit dem einen Ohr, ob von dem Sitz der Zeitungen irgend ein Urtheil, eine geistreiche Bemerkung sich vernehmen lasse, so tönt in dein anderes Ohr eine melodische Stimme, welche die Namen der Mitglieder abruft, aber so feierlich klingt, daß du dir einbildest, es gebe Jemand der Kammer Unterricht in der Mathematik; bald jedoch erfährst du, daß der Sprecher nur die Förmlichkeit des Zählens der Mitglieder vornimmt. Kommt er bis zu 39, so zählt er sich selbst, und die Geschäfte nehmen ihren Anfang.[6]

  1. Wahrscheinlich Goldstücke von neuerem Gepräge als die halben Kronen.
  2. Der Sitzungssaal, übrigens ziemlich geschmackvoll gebaut, ist klein, und sieht dem geschlossenen Chor der französischen Kirchen ähnlich. Man vergl. die Beschreibung und die Abbildung in der Schrift des Herrn v. Stael: „Briefe über England.“
  3. Der Saal hat die Form eines Parallelogramms, und nur drei Fenster, im gothischen Geschmack, an der kleinen Seite über dem Stuhl des Sprechers. Dem Fenster gegenüber befindet sich eine Gallerie, die dem Publikum und den Journalisten geöffnet ist, und etwa hundert Personen faßt. Diese Gallerie läuft verengert an den beiden langen Seiten des Saales fort; dieser Theil aber ist für die Parlamentsglieder bestimmt, da der untere Saal, seit der Vereinigung der drei Königreiche, die ganze Versammlung nicht mehr fassen kann.
  4. Der Tisch, der Scepter, der Lehnstuhl, die Kleidung des Sprechers und der Sekretäre, alle diese Aeußerlichkeiten sind noch gerade so, wie man sie auf dem bekannten Kupferstich sieht, der Cromwell vorstellt, wie er das Parlament auflöst.
  5. Die Country-Gentlemen sind die Landjunker Großbritaniens, so eigensinnig und eigennützig als die auf dem Festlande, doch darin ausgezeichnet, daß sie die Gesetze kennen, im Lande Achtung genießen, und aufgeklärte Begriffe von der Verwaltung wie vom Staatshaushalt haben. Sir Eduard Knochtbull und Sir Thomas Lethbridge stehen an ihrer Spitze.
  6. Die Fortsetzung wird in einem späteren Blatte folgen.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_240.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)