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Das Ausland. 1,2.1828

In den „Bacchanten“ sucht Orpheus, nachdem er den Orcus bezaubert hat, durch die Macht seiner himmlichen Kunst die Menschheit von den wilden religiösen Orgien zu befreien, mit denen die Thyrsusträger Dionysos verehrten, und ihnen einen reineren Begriff von der Gottheit durch eine tiefere Anschauung der Natur zu geben. Er fällt als ein Opfer der Rache des beleidigten Gottes.

Die Tragödie „Sigurd Ring“ gründet sich auf eine altnordische Sage. Der siegreiche Sigurd Ring, Herrscher der drei scandinavischen Königreiche, wirbt um die Schwester eines kleinen Fürsten, Namens Alf von Jütland. Seine Bewerbung wird zurückgewiesen, weil die Dame bereits verlobt ist mit Ragnar, ihres Bruders Waffenfreund, den sie zärtlich liebt. Der erzürnte König fordert Alf und Ragnar zum Kampf heraus; aber, obwohl unfähig einem so überlegenen Feinde zu widerstehen, weigert sich Alf dennoch seine Schwester aufzugeben, sondern bietet ihr einen Giftbecher dar, den sie freudig annimmt. Wie erwartet wurde, erhält Sigrud Ring den Sieg, und Alf und Ragnar fallen in der Schlacht, als der Sieger aber zurückkehrt, findet er Hilma todt. So der einzigen Frucht, die er von seinem Siege hofft, beraubt, läßt der den Leichnam Hilmas an Bord seines Schiffes bringen und auf demselben den Scheiterhaufen errichten. Diesen setzt er darauf in Brand, haut das Anker ab und geht in See, wo er mitten in den sich gegenseitig bekämpfenden Elementen stirbt.

(Fortsetzung folgt.)



Russische Gesandtschaftsreise nach Bochara.


(Fortsetzung.)

An den Ufern des Ilek, des bedeutendsten Flusses, welchen die Reisenden passirten, ehe sie den Sir-Deria erreichten, sahen sie zum ersten Male einen Aul, das heißt ein kirgisisches Dorf, welches aus etwa fünfzig Kibitken oder Zelten von weißem oder braunem Filze bestand. Der Fluß macht diese Gegend zu einem Lustort für die Kirgisen und für ihre Heerden: fünf bis sechstausend Schafe weideten auf den schönen Grasplätzen. Es war das Lager des Sultans Harun-Gasi, welcher hier die Caravane erwartete.

Von einem Besuche, den Herr von Meyendorff dem Beherrscher der Nomaden abstattete, macht er folgende Schilderung.

Der Sultan ließ uns einige Minuten warten, wahrscheinlich damit er Zeit hatte, seine Wohnung zum würdigen Empfang der russischen Gäste gehörig in den Stand zu setzen. Endlich hieß man uns eintreten. Wir fanden den Sultan, einen Mann von frischer Farbe, mit schönen schwarzen Augen, mit einem Gesicht, worin ein sanfter, jedoch ernster und dabei sehr gescheidter Ausdruck lag, sitzend in einem großen runden Zelte. Ihm zur einen Seite saßen im Halbkreise seine Freunde und zur andern standen die für uns bestimmten Bänke. Die Wände waren mit Teppichen bedeckt; verschiedene Kleidungsstücke, einige stattliche Tigerfelle, ein sehr reiches mit Türkissen und Balaß-Rubinen besetztes goldenes Diadem, der Kopfputz einer kirgisischen Dame, hingen an einer Schnur. Zugleich sah man aber auch recht auffallend den Contrast des Luxus mit der Natur, die eitle Liebe zur Pracht neben den einfachen Bedürfnissen des wilden Lebens: denn an einem Hacken hingen Vorräthe von rohem Fleisch, auf dem Boden lagen große lederne Schläuche, mit Kumes[1] gefüllt, und allerhand hölzerne Geräthschaften.

Die Kirgisen sind mit ganzer Seele Nomaden. Es geht eine alte Sage unter ihnen, daß sie die Freiheit verlieren, sobald sie in Häusern wohnen und Ackerbau treiben. Nur die Armuth hat Einzelne vermocht, einer ihren Begriffen nach so ehrenvollen Lebensart zu entsagen, die sie berechtigt, sich zu rühmen, „daß sie frei seyen, wie der Vogel in der Luft.“ Die Russen sahen den Bruder eines sehr angesehenen Sultans, der, in einem Gewand von rothem Zeug, zu Pferde seine Schafe auf die Weide führt und so vierzehn Tage lang die Reisenden begleitete. Mit der Tapferkeit der Araber verbinden sie deren Stolz und Rachsucht und auch die Liebhaberei für Erzählungen. Ein Kirgise setzt sich zu Pferde, und mit unglaublicher Geschwindigkeit durchrennt er fünf- bis sechshundert Werste weit die Wüste, wenn er einen Verwandten oder einen Freund bei einem fremden Stamme besuchen will. Einer gastlichen Aufnahme gewiß, kehrt er auf solchen einsamen Fahrten in jedem Orte ein, wo man, selbst ohne ihn zu kennen, die Mahlzeit, welche aus Kruk,[2], Hairan,[3] Fleisch, oder auch aus Kumes besteht, gerne mit ihm theilt. Er erzählt und man erzählt ihm wieder, und nach einigen Tagen kehrt er reich an Geschichten zu den Seinigen zurück, um sich den gewohnten Genüssen seiner unzerstörbaren Muße von neuem zu überlassen.

Der einzige Gegenstand, womit sich der Kirgise zu Hause beschäftigt, ist die Aufsicht über die Heerden, während seine Frau für ihn arbeitet, die Küche besorgt, seine Kleider verfertigt, sein Pferd sattelt.

Die Eintönigkeit des Lebens gibt dem Charakter der Kirgisen und selbst ihrem Aussehen einen gewissen finstern, schwermüthigen Anstrich. Stunden lang lauschen sie dem Murmeln der Wellen des rasch dahinströmenden Sir-deria, und sitzen Nächte lang vor der Hütte auf einem Stein, den Blick unverwandt auf den Mond gerichtet, gegen welchen sie die augenblicklichen Ergüsse ihres Gefühls in traurigen Weisen hinaufsingen. Der ernste lyrische Geist ihrer Poesie, mit einer starken Beimischung des den Orientalen überhaupt, und namentlich den Arabern, eigenthümlichen gnomischen Elements, spricht sich ebenfalls in ihren Heldenliedern aus, welche durch den Mund gelernter Sänger fortgepflanzt werden. Von einer andern Seite zeigt sich das poetische Talent der Kirgisen in den kurzen muntern oft schalkhaften und treffenden Einfällen ihres Humors, worin sie weder sich, noch Andere verschonen, den Khan oder den Sultan selbst nicht ausgenommen.

Einige Proben, die Herr von Meyendorff in letzterer Beziehung mittheilt, dürften indessen unserem europäischen Geschmack weniger zusagen als das Lied einer kirgisischen Schönen, welches die Reisenden singen hörten:

  1. Stutenmilch.
  2. Eine Art Käse, bekannt in Persien, Afghanistan und bei den Baschkiren.
  3. Säuerliche und etwas geronnene Schaf- oder Ziegenmilch.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_238.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)