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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 57. 26. Februar 1828.


Schwedische Literatur.

C. J. Stagnelii Samlade Skrifter, utgifv. of L. Hammarsköld. Stokholm 1824 - 26. ff. 3 Bde. 8.

Stagnelius gehörte zu jenen wahrhaft poetischen Wesen, auf welche Göthes schöne Vergleichung zwischen dem Leben eines Dichters und dem zarten, stets thätigen Daseyn des Seidenwurmes Anwendung findet. Alle seine Gedanken, Bestrebungen, Handlungen, ja selbst seine Irrthümer und Ausschweifungen trugen das Gepräge des Genius der Poesie. Ueberall zeigt sich ein Zug tiefer Melancholie, eine geheimnißvolle mystische Anschauung des Lebens und der Natur und sehnsuchtsvolles Verlangen nach dem Augenblicke, wo die gefangene Seele ihre Fesseln durchbrechen und sich in das Pleroma aufschwingen wird – wie er es nennt - in die reineren Regionen des himmlischen Aethers. Diese Gefühle, genährt durch Schellings Philosophie und das Studium der gnostischen Lehren der Nazarener zeichnen die Gedichte Stagnelius vor allem aus, was wir noch von schwedischer Poesie gesehen haben; nur mit unserem deutschen Hardenberg (Novalis) möchte er zu vergleichen seyn. Beide sahen in dieser Welt der Erscheinung nur den symbolischen Ausdruck einer höheren Ordnung der Dinge, und beide wurden früh zu den seligen Gefilden abgerufen, nach denen sie sich so innig sehnten, und deren Ausströmungen ihr geistiges Auge bereits mit himmlischem Lichte erfüllt zu haben schienen, als sie noch Bewohner der Erde waren.

Von den drei oben angeführten Bänden enthält der erste die Helden-Gedichte von Stagnelius: Wladimir den Großen, Blenda und Gunlög, mit zwei epischen Fragmenten; der zweite seine dramatischen Stücke, unter denen fünf Tragödien, und der dritte seine didactischen Gedichte, die Lilien von Scharon (eine Sammlung geistlicher Gedichte) Elegien, Idyllen, Sonnette, Romanzen und Uebersetzungen: die Frucht einer poetischen Laufbahn von elf Jahren, von 1812 bis 1823.

Seine epischen Versuche sind unserer Meinung nach seine am wenigsten gelungenen Leistungen, doch nimmt unter denselben Wladimir, der lebhaften Beschreibung und der Reinheit der Hexameter wegen, den ersten Rang ein. Der Gegenstand des Gedichtes ist der Zug des berühmten russischen Fürsten Wladimir nach der byzantinischen Stadt Theodosia und seine Bekehrung zum Christenthume durch die schöne Schwester des griechischen Kaisers Basilius. - Blenda ist auf eine schwedische Geschichte von den tapfern Weibern von Smaland gegründet, die durch eine Art von sicilianischer Vesper die Dänen vernichteten, die in der Abwesenheit der Smaländischen Krieger in ihr Land gefallen waren. - Der Stoff von Gunlög (Gunlaugr) ist aus der nordischen Mythologie entlehnt; dieß Gedicht ist indessen unvollendet geblieben, besonders aber durch die Begeisterung für die Dichtkunst ausgezeichnet, welche in dem Ganzen athmet.

Als Dramatiter können wir Stagnelius die hohe Stelle nicht einräumen, zu der wir ihn als lyrischen Dichter berechtigt glauben. In seinen dramatischen Versuchen gleicht er in der That einem begeisterten Bildhauer, der, bei der stärksten inneren Anschauung seiner Kunst, weder den Marmor kennt, den er gebrauchen soll, noch die Werkzeuge, die am geschicktesten sind, seiner Idee Leben zu verleihen. Aber bei allen Fehlern in der Ausführung tragen diese Dramen die Spuren unzweifelhaften Genies; und um sie nicht ungerecht zu beurtheilen, müssen wir die eigne Meinung des Verfassers, die er in der Einleitung zu einem seiner Stücke ausspricht, über das Wesen der classischen und der romantischen Tragödie hören:

„Es gibt nur zwei Arten der Poesie, die classische und die romantische. Beide sind nur durch ihre Richtung von einander entschieden. Die erstere läßt sich von einer übernatürlichen Welt herab, um ihre Schönheit in dem Strome der Zeiten und Erscheinungen abzuspiegeln. Sie verwandelt das innere in das äußere, das ideale in das reale; indeß die letztere auf eine gerade entgegengesetzte Weise wirkt. Die classische Poesie ist eine Venus, die in die Thäler des Frühlings herabsteigt; die romantische dagegen ist eine Asträa, die aus der blutbefleckten Fläche in ihre heimathlichen Wolken zurückkehrt. Beide haben gleiche Ansprüche auf unsere Bewunderung, beide sind schön in ihren verschiedenen Gattungen und beide gehören einem und demselben Vaterlande an. Die eine der anderen vorzuziehen wäre thöricht; denn sie sind die Pole der Vorstellung und der Phantasie. - - Die classische Tragödie strebt nach Effect nicht auf Individuen, sondern aus Nationen; die romantische im Gegentheil wendet sich ausschließlich an Individuen. Das Verhältniß, in welchem diese dramatischen Gattungen zu einander stehen, wird hinreichend durch die subjective Natur der einen und die objective der andern gezeigt. Die eine liebt es vom Himmel herabzusteigen, die andere sich in den Himmel zu erheben. Eine orientalische Sage erzählt, es sey den Genien leichter, ein materielles Kleid anzunehmen, als es wieder abzulegen. Daher die ungemeine Verschiedenheit zwischen der Simplicität der classischen und der buntfarbigen Erscheinung der romantischen Poesie.“


Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_237.jpg&oldid=- (Version vom 21.1.2023)