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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 56. 25. Februar 1828.

Grundzüge der Geschichte der Philosophie bei den Chinesen

[1].

Von Julius Mohl.

Suche die Weisheit und wäre es in China.
Muhammed.

Der Begriff, welchen man sich gewöhnlich von der chinesischen Philosophie macht, beruht einzig auf den Uebersetzungen einiger Bücher aus der Schule des Confutse, welche wir den katholischen Missionären verdanken. Die besondere Lage dieser Classe von Europäern in Peking nöthigte sie, diese Werte zu studieren, welche durch ihr Alterthum bei den Gelehrten der Nation fast das Ansehen heiliger Bücher hatten, die Grundlage der Staatswaltung, und die Richtschnur der Politik geworden waren, und durch die zahllosen Bearbeitungen, die über sie erschienen sind und noch erscheinen, die Basis der ganzen Literatur bilden. Ebenso waren sie genöthigt, die angesehensten Commentare dieser alten Bücher zu studiren, um diese so zu verstehen, daß sie eine Stelle unter den Gelehrten des Landes einnehmen konnten. Bald erhielten sie Gelegenheit, die chinesische Gelehrsamkeit, welche sie sich so erworben hatten, anzuwenden. Die Bedeutung gewisser Ceremonien zu Ehren des Himmels, der Erde und der Ahnen, und der Sinn der Stellen aus den alten Büchern, worauf jene Gebräuche beruhen, wurden der Gegenstand eines heftigen Streits zwischen zwei rivalen Mönchsorden. Der Eine derselben glaubte die Ceremonien bei den Neubekehrten erlauben zu können, um dadurch die Bekehrungen zu erleichtern, während der Andere mit Heftigkeit diese Art von Vergleich zwischen Wahrheit und Irrthum, zwischen Götzendienst und Christenthum, verwarf. Die Frage war im Grunde ob die alten Chinesen die Existenz eines vernünftigen, schöpferischen, und vergeltenden Gottes anerkannt hätten. Nach Lecomte, Fouquet, Prémare, Bouvet u. a. hatten Confutse, seine Vorgänger und seine Schüler von alter Zeit her, die edelsten Begriffe über das All, und hatten dem wahren Gott in dem ältesten Tempel auf der Erde geopfert; aber nach Maigrot, Navarette und selbst dem Jesuiten Longobardi beteten die Chinesen hölzerne Täfelchen mit sinnlosen Aufschriften, oder höchstens Genien, ohne Intelligenz, in grobem Götzendienst an. Nach den Einen näherte sich der alte Deismus der Chinesen der Reinheit des Christenthums, nach den andern war der Fetischismus der Masse bei den Gelehrten in Materialismus und systematischen Atheismus ausgeartet. Die ersten beriefen sich auf entscheidende Texte, die andern auf den entgegengesetzten Sinn, den ihnen die anerkanntesten Ausleger gaben. Dieser philosophische Streit, der nicht immer auf das anständigste geführt wurde, wurde theologisch durch eine Congregation entschieden, welche nicht chinesisch verstand; und die Meinungen der chinesischen Schriftsteller wurden in Rom verurtheilt, ohne daß dieß die Gelehrten gehindert hätte, sie zum Gegenstand noch mancher Streitigkeit zu machen. Allein alle diese Untersuchungen sind weit entfernt, den Gegenstand erschöpft zu haben; sie wurden ohne alle Kritik geführt, vermischten alle Zeiten und Verhältnisse, die Aufeinanderfolge der Schulen und Exegeten, und litten besonders an


  1. Früher hatte die Geschichte der Philosophie bei den Chinesen die Aufmerksamkeit der Gelehrten und Philosophen in Deutschland auf sich gezogen. Herdrich, Carpzow, Bayer, Noel, Leibniz, Bilfinger und andere wetteiferten mit den Gelehrten des übrigen Europa um die genauere Kenntniß der philosophischen Systeme der Chinesen; aber seit 50 Jahren schienen die deutschen Gelehrten geneigt, die ungerechte und unbesonnene Verachtung zu theilen, mit der Pauw diese Philosophie behandelt hatte, was um so auffallender ist, da dieß mit der großen Entwickelung der Philosophie in Deutschland und des Studiums der hochasiatischen Sprachen in anderen europäischen Ländern zusammentraf. Jemehr man nöthig hatte, sich darin Kenntnisse zu erwerben, und je mehr die Schwierigkeiten, welche früher unüberwindlich schienen, verschwanden, um so größer wurde die Gleichgültigkeit gegen einen Theil der Geschichte, der früher so viele aufgeklärte Männer beschäftigt hatte. Die unfruchtbare Geschichte wilder tartarischer Stämme war das einzige, worauf sich die Ausmerksamkeit derer richtete, welche wirklich Kenntniß der chinesischen Sprache hatten. Dechanterais kannte vom Buddhismus nichts als seine Mythologie, und Deguignes beschäftigte sich mit dieser ausgebreiteten Religion nur soweit, als ihrer in den Jahrbüchern der tartarischen Staaten erwähnt wurde, deren Geschichte er schrieb. Die beiden Arten von Studien, deren Vereinigung die Bearbeitung dieses Theils der Geschichte der Philosophie voraussetzt, blühten damals getrennt. Man Verstand die Sprachen des östlichen Asiens in Frankreich, aber man hatte dort keinen Sinn für die Ideen, während man in Deutschland die Geschichte der Meinungen billig achtete, aber der materiellen Kenntnisse entbehrte, um in diesem Fache Fortschritte machen zu können. Doch scheint diese für die Wissenschaft so schädliche Trennung sich ihrem Ende zu nähern, da einige französische Gelehrte angefangen haben, sich mit der Geschichte der Ideen, und einige Deutsche, sich mit den hinterasiatischen Sprachen an beschäftigen.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 221. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_233.jpg&oldid=- (Version vom 20.1.2023)