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Das Ausland. 1,2.1828

Armee einschlagen mußte: nämlich über den Aralsee nach der Mündung des Amru.

Forts. folgt.


Betrachtungen über die Völker und Regierungs-Formen Asiens.


Schluß.

Ich habe von Institutionen gesprochen. Leicht möchte dieser ganz moderne, ganz europäische Ausdruck zu pompös und wohlklingend scheinen, wenn es sich von Völkern handelt, die so sehr in der Cultur zurück sind, daß sie weder etwas von Budgets, noch von Compte rendus oder Bills of Indemnity wissen. Man kennt hier jene improvisirten Regierungsakte nicht, durch welche man allen, die es betrifft, kund und zu wissen thut, daß von einem bestimmten Tage an eine Nation neue Gewohnheiten annehmen und neue Maximen befolgen wird, indem man den Dissidenten eine passende Frist bewilligt, ihre Interessen sowohl, als ihre Art, die Dinge zu beurtheilen, zu ändern. In diesem Sinne bietet der größte Theil von Asien allerdings nichts dar, was man eine Institution nennen könnte. Die Regeln, die Prinzipien, welche dort die Handlungen der Mächtigen leiten, und bis zu einem gewissen Punkte die Rechte der Schwachen schützen, sind blos einfache Wirkungen der Sitte und Gewohnheit, bloß natürliche Folgen des Nationalcharakters. Zur einzigen Grundlage und Stütze haben sie die Ansichten und Vorurtheile des Volks, seinen Glauben und seinen Aberglauben, seine gesellschaftlichen Verhältnisse und seine intellektuellen Bedürfnisse. Ein wahres Wunder für uns ist es, daß sie sich so lange erhalten konnten, ohne daß man für nöthig fand, sie je öffentlich bekannt zu machen. Wahrscheinlich leben sie zu tief in den Herzen, als daß man je daran gedacht hätte, sie drucken lassen zu müssen. Doch muß man hiebei China ausnehmen, welches auch in diesem Punkte die andern asiatischen Staaten überflügelt und sich Rechte erworben hat, die der Achtung der Europäer würdig sind, denn seit langer Zeit besitzt es geschriebene Constitutionen, die sogar, ebenfalls wie bei uns, von Zeit zu Zeit durch Zusatzartikel passend modifizirt werden. Ja man läßt sich hier zu Details herab, die man selbst in Europa nicht mit dieser Sorgfalt behandelt: denn unabhängig von den Befugnissen der souveränen Gerichtshöfe und der administrativen Hierarchie, welche genau bestimmt und reformirt sind, ordnet man auch, durch besondere Statuten, den Kalender, die Maße und Gewichte, die Begrenzung der Departements, und die Musik, die stets für einen wesentlichen Gegenstand der Reichsverwaltung gegolten hat.

Versteht man also unter einem Despoten einen absoluten Herrscher, welcher, eine unbeschränkte Gewalt gebrauchend und mißbrauchend, über Vermögen, Ehre und Leben seiner Unterthanen nach Gutdünken und Willkür verfügt, so kann ich solche Despoten in keinem Theile Asiens finden; überall stellen Sitten und Gewohnheiten, Tradition und Aberglauben der Gewalt Schranken entgegen, welche diese weit mehr in Verlegenheit setzen, als geschriebene Stipulationen, ja welche die Tyrannei selten anders, als zu ihrem eigenen Verderben überschreiten darf. In ganz Asien nahm ich nur gewisse einzelne Punkte wahr, wo nichts geachtet wird, wo Einschränkungen unbekannt sind, und die Gewalt mit freier zügelloser Willkür herrscht: dieß sind jene Gegenden, in denen die Schwäche und die Unvorsichtigkeit der Asiaten die Fremden sich ansiedeln ließ, welche weit aus der Ferne her kamen, mit dem einzigen Vorsatz, die Reichthümer des Landes so schnell als möglich zusammen zu raffen, und dann in ihr Vaterland zurück zu kehren, um sie dort in Ruhe zu genießen – Menschen ohne Gefühl für andere Stämme des Menschengeschlechts, ohne irgend einen Anklang der Sympathie für die armen Eingebornen, deren Sprache sie nicht kennen, deren Geschmack, Gewohnheiten, Glauben und Sitten sie nicht theilen und nicht achten. Unter solchen von Grund aus sich entgegengesetzten Interessen konnte kein auf Recht und Vernunft gegründeter Vertrag sich bilden. Gewalt allein konnte einen solchen Zustand der Dinge eine Zeitlang aufrecht erhalten. Nur ein absoluter Despotismus konnte einer Handvoll Tyrannen, die alles nehmen wollen, Schutz verleihen gegen die Masse der Bevölkerung, die das Recht zu haben glaubt, nichts geben zu dürfen. Die Folgen dieses stets fortgesetzten innern Kampfes erblickt man in den asiatischen Kolonien, und die Fremden sind, wie man sieht, die Europäer.

Es ist, unter uns gesagt, ein ganz besonderes Geschlecht um diese Europäer; die Ansichten und Raisonnemens, auf die sie sich stützen, würden einem unparteiischen Richter wunderlich genug vorkommen, wenn es auf der Erde einen solchen unparteiischen Richter geben könnte. Berauscht von ihren Fortschritten von gestern her, vorzüglich von ihrer Superiorität in den Künsten des Kriegs, blicken sie mit stolzer Verachtung auf die übrigen Familien des Menschengeschlechts, die nur geboren sind, um sie zu bewundern und ihnen zu dienen; ja sie scheinen die zu seyn, von denen geschrieben steht: „Und die Söhne Japhets werden herrschen über die Stämme Sem, und ihre Brüder werden ihre Sklaven seyn.“ Alles soll wie sie denken, für sie arbeiten. Sie wandern über den Erdball und zeigen den armen, demüthigen Völkern ihre Gestalt als den Typus der Schönheit, ihre Ideen als die Basis der Vernunft, ihre Einfälle als das non plus ultra der Intelligenz. Was ihnen gleicht ist schön, was ihnen Nutzen bringt ist gut; was aber ihrem Geschmack oder ihrem Interesse im mindesten widerspricht ist unsinnig, lächerlich oder strafwürdig. Dieß ist ihr einziger Maaßstab, nach welchem sie alles beurtheilen: und wem sollte es einfallen, dessen Richtigkeit in Zweifel ziehen zu wollen? Unter sich selbst beobachten sie noch einige Rücksichten: in ihren Streitigkeiten von Volk gegen Volk sind sie über gewisse Prinzipien übereingekommen, nach denen sie sich methodisch und regelmäßig morden können; alles dieß aber fällt außerhalb Europa weg; das Völkerrecht ist überflüssig, wenn es sich von den Malayen, den Amerikanern oder Tungusten handelt. Trotz des Vertrauens auf die raschen Evolutionen ihrer mit vortrefflichen Flinten bewaffneten Soldaten, vernachläßigen die Europäer doch nie die Vorsichtsmaßregeln einer verschlagenen Politik. Eroberer ohne Ruhm, und

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_225.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)