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Das Ausland. 1,2.1828

neue Form gibt. Von da an, und überhaupt je weiter man gegen Süden vordringt, wird das Klima milder, im Winter der Schnee seltener, aber auch die Steppe dürrer und unfruchtbarer.

Der beste Theil der Steppe ist der nördliche bis zum 52°: der kulturfähige Boden bringt hier Nadelhölzer, Birken und schönes Gras hervor. Im westlichen Theil, das ist auf dem Weg von Orenburg nach Bochara, findet man keinen Grashalm bis zu den Muhgadjarbergen, die mit ihren sonderbar gruppirten kleinen kegelförmigen Hügeln, woraus sie bestehen, und mit ihren wilden Felsenpartien einen eben so interessanten Anblick darbieten, als die Fruchtbarkeit ihrer Thäler einen vergnüglichen Aufenthalt verspricht. Indessen ist die Höhe dieser Berge nicht bedeutend, da der höchste von ihnen, der Airuk, vom Fuß an gerechnet, nicht mehr als 150 Toisen hoch ist.

Die diplomatische Karavane des Staatsrathes von Negri mit ihrer Bedeckung von 500 Mann Kosaken und Baschkiren hatte unter den Vorbereitungen zur Reise die günstige Jahreszeit verstreichen lassen. Da man kein russisches Geld ausführen darf, so war man genöthigt, um die zum Unterhalt des Gefolges in Bochara benöthigten 72,000 (Papier-)Rubel in Dukaten zu bekommen, nach Moscau 1,500 Werste weit, zu schicken. In der Nähe von Orenburg, oder in Orenburg selbst, war eine solche Summe Goldes nicht aufzutreiben. Zum Transport des Gepäckes, der Reisevorräthe, der Wasserschläuche, der Pontons, der Munition für die Mannschaft und für zwei Stücke Artillerie, zum Bespannen von 25 Wagen, um Kranke und Verwundete zu führen, brauchte man eine bedeutende Anzahl theils Pferde, theils Kameele.

Die kirgisischen Häuptlinge, welche die Lieferung von 358 Kameelen, auf deren jedes eine Last von 640 Pfund gerechnet wurde, übernommen hatten, erschienen nicht auf die bestimmte Zeit. Man hatte mehrere Verhandlungen mit den Kirgisen, um die Richtung des Wegs, den man einzuschlagen hatte, und die Schwierigkeiten kennen zu lernen, auf die man vorbereitet seyn mußte. Fünf von ihnen wurden als Wegweiser, etliche und sechzig als Führer und Besorger der Kameele in Dienst genommen.

Am 10 Oktober, nachdem sich noch eine Anzahl Kaufleute angeschlossen, setzte sich die Karavane, 700 Kameele und 400 Pferde stark, in Marsch. Man wünschte sich Glück, daß der kirgisische Sultan Harun-Gasi Abul-gasi dem Gouverneur von Orenburg das Anerbieten gemacht hatte, die Gesandtschaft mit einigen hundert Kirgisen bis an den Sir-Deria zu geleiten. Denn obgleich die Kirgisen[1] zum Theil die russische Oberherrlichkeit anerkennen, so sehen sie doch diese militärischen Recognitionen (als eine solche muß eine bewaffnete Gesandtschaft angesehen werden) höchst ungern, und insofern waren sie den Russen, von deren Gebiet sie häufig ihre Sklaven holen, nicht minder ein Gegenstand ernstlicher Besorgnisse, als die im Süden des Aralsees wohnenden Kiwier, welche ihre Raubzüge oft in der Zahl von 4 bis 5000 Mann tief in das Innere der Steppen ausdehnen.

Die größte Gefahr für die russische Karavane lag nicht in einem etwaigen Angriffe von einer solcher Cavaleriemasse (die zweihundert Mann Infanterie, welche einen Theil der Bedeckung ausmachten, schienen dagegen hinreichend zu sichern), sondern in der Möglichkeit, daß die Kameele durch das wilde Geschrei der Feinde, womit sie ihre eben so unerwarteten als ungestümen Ueberfälle ankündigen, scheu gemacht und zersprengt werden könnten. Beugt man dieser Gefahr nicht dadurch vor, daß man die Thiere, noch ehe die Unordnung unter ihnen eingerissen ist, niederkauern läßt, so haben die Feinde gewonnen Spiel und mit dem Verlust der Kameele und dem damit verbundenen Verlust der Mittel der Subsistenz und des schnelleren Fortkommens ist der Untergang der Karavane entschieden.

Man lese das Reisejournal: die größte Tagreise betrug sechs und vierzig Werste, manche blos zwanzig, oder noch weniger, und in den ein und siebenzig Tagen, welche die ganze Reise dauerte, hatte man nichts aufzuschreiben, als Notizen wie folgende: „Wasser,“ „wenig Wasser,“ „schlechtes, salziges Wasser,“ „etwas Gras,“ „Stauden,“ und oft lautete es noch kläglicher „kein Wasser.“

Wenn also auf der einen Seite eine Armee, welche, um die Bucharei zu unterwerfen, durch die kirgisischen Steppen marschiren wollte, manche örtliche Schwierigkeiten zu überwinden hatte, indem sie ihren ganzen Bedarf auf Kameelen mit sich führen müßte, so brauchte sie auf der andern Seite, um ihren Zweck zu erreichen, nicht eben sehr zahlreich zu seyn. Uebrigens hat man im Oriente Heerden von 70,000 Kameelen im Gefolge von erobernden Armeen gesehen, welche gewiß hinreichend waren, um das Gepäck von 100,000 Mann zu transportiren.

Die Engländer möchten gerne jeden Umstand, der ein Vordringen Rußlands gegen Indien erschwert, als ein absolutes Hinderniß darstellen. Freilich sind Peter dem Großen zwei Versuche mißlungen.

Peter, in der Absicht sich der Goldmine von Vassilicara zu bemächtigen, und am Amru eine Festung zu bauen, die ihm eine direkte Verbindung mit Indien öffnen sollte, rüstete zwei Expeditionen gegen die Kirgisen aus. Der General Libarev, der den Irtisch aufwärts drei Tagreisen über Nor-Saisan hinaus vorgedrungen war, kehrte um, da er sich in den unermeßlichen Wüsten nicht mehr zurecht fand, und erreichte glücklich die russische Grenze; Der Prinz Bekevitsch Tscherkassi, dessen Unglück zum Sprichwort geworden ist, wurde mit seinem ganzen Korps aufgerieben. Aber Peter zeigte den Weg, den eine russische

  1. Die Kirgisen werden bekanntlich in drei Horden, die große, die mittlere und die kleine, eingetheilt. Die große hat keinen Khan, sondern mehrere Sultane, die sich bald unter chinesischen, bald unter russischen Schutz begeben, nicht um Tribut zu bezahlen, sondern um Geschenke zu erhalten. Die beiden andern Horden haben sich Rußland unterworfen; ihre Khane müssen vom Kaiser bestätigt werden und ihm den Eid der Treue schwören, ohne jedoch tributpflichtig zu seyn. Die große Horde berechnet man zu 650,000, die mittlere zu 360,000, die kleinere zu 250,000 Individuen.
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_224.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)