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Das Ausland. 1,2.1828

Eine Art übernatürlicher Autorität wurde allen, die an der Spitze der Geschäfte und Ereignisse standen, zuerkannt. Die Harmonie einer so schönen Ordnung der Dinge ward nur durch Cometen oder Sonnen- und Mondfinsternisse gestört, welche der Erde eine Abweichung in dem Gang der himmlischen Gestirne zu verkündigen schienen, so wie noch jetzt in China deren Erscheinen den obersten Staatsbeamten alle Popularität zu rauben droht. Ein ähnliches System scheint in frühester Zeit auch in Persien gegründet gewesen zu seyn. Aber diese glänzenden Fictionen verschwanden bald vor den nur zu sehr an die Erde erinnnernden Kämpfen. Theilungen, Kriege, Revolutionen, Eroberungen führten eine Feudalherrschaft herbei, welche im östlichen Asien sieben bis acht Jahrhunderte dauerte, ungefähr gleich der, die während des Mittelalters in Europa bestand. Endlich überwog die Monarchie, und feierte zuletzt den vollständigsten, entscheidensten Triumph, indem das in China geschah, was auch in Europa nicht zu vermeiden gewesen seyn würde, wenn es im Mittelalter einem kühnen Eroberer gelungen wäre, Frankreich, die beiden Halbinseln, Deutschland und die Staaten des Nordens unter Einen Scepter und Ein Gesetz zu beugen. Ein gewisses Gegengewicht gegen die kaiserliche Macht bildete die Philosophie des Confucius. Anfangs war ihr Einfluß noch ziemlich unbedeutend; sie verstärkte sich aber im siebenten Jahrhunderte, wo sie eine förmliche Staatsorganisation erhielt; und nun sind es bereits zwölf Jahrhunderte, daß jenes System der Prüfungen und gemeinschaftlichen Untersuchungen, deren Zweck ist, die Ungelehrten der Autorität der Gelehrten zu unterwerfen, die Regierung wirklich in die Hände der letzteren gebracht hat. Die Einfälle der Tartaren, welche sich blutwenig um Literatur bekümmerten, suspendirten hie und da die Herrschaft dieser philosophischen Oligarchie; bald aber gewann sie wieder die Oberhand, indem die Chinesen offenbar die Autorität des Pinsels der des Schwerts vorziehen, und sich leichter unter die Pedanterei als unter die Gewalt beugen.

Jene geistreichen Leute, welche die tiefsten Untersuchungen darüber anstellten, wie es möglich gewesen sey, daß die chinesische Regierung seit viertausend Jahren unverändert habe fortbestehen können, übersahen dabei nur eine Kleinigkeit: die Gründe, die sie zur Erläuterung dieses Phänomens anführen, sind ohne Zweifel eben so scharfsinnig als gelehrt, nur ist unglücklicherweise die Thatsache selbst nicht wahr – ein Unglück, das übrigens schon vielen philosophischen Untersuchungen begegnet ist. Die Chinesen änderten ihre Maximen, erneuerten ihre Institutionen, versuchten verschiedenartige politische Combinationen, und ungeachtet es Dinge gibt, die ihnen nie in den Sinn gekommen sind, so bietet doch ihre Geschichte ungefähr die nämlichen Phasen dar, wie die Geschichte der Regierungsformen beinahe aller andern Staaten.

Finden wir in Japan mehr Beständigkeit und Einförmigkeit? Allem voraus ging die Administration der Götter und Halbgötter, und dauerte einige Millionen Jahre. Dann folgte, sechs hundert Jahre vor Christus, die patriarchalische Regierungsweise, und währte achtzehn Jahrhunderte. Hierauf bemächtigte sich ein Generalissimus der irdischen Gewalt, wobei er jedoch dem Priester, den er vom Throne stieß, fortwährend die tiefste Ehrerbietung erwies. Da auf diese Weise in Japan das Recht des Stärkeren allgemeines Gesetz geworden war, so gab es nun Usurpationen, Dynastieveränderungen, Rebellionen, Gebietsabtretungen, Lehensvertheilungen etc. aller Art. Hieraus ging jene Verfassungsreform hervor, welche man noch jetzt mit Bewunderung betrachtet – ein königlicher Priester, ein militärischer Usurpator und fünfzig große Vasallen, welche die unruhigen Insulaner unter dem dreifachen Joch einer theokratisch-militärisch-feudalistischen Regierung halten, gleichsam um zu zeigen, wie lange ein Staat allen Arten des innern Widerspruchs und Verderbens widerstehen kann, wenn nur ein Arm des Meeres ihn vom Continent trennt.

Was Indien betrifft, so muß ich gestehen, daß in der Geschichte dieses Landes allerdings eine ganz besondere Art von Einförmigkeit sich zeigt, für deren Erhaltung die Fremden seit undenklicher Zeit zu sorgen sich bemüht haben. Schutzlos und friedlich bis zur höchsten Uebertreibung, waren die Indier gewöhnlich die Beute eines jeden, der sie anfiel. Will man aber einen Beweis von dem unerschöpflichen Reichthum des Landes, so darf man nur betrachten, wie seit drei Jahrtausenden so viel verschiedene Völker fortwährend die Erzeugnisse des Bodens und der Industrie geraubt, und die Bewohner tyrannisirt haben. Die Scythen, Perser, Macedonier, Muselmänner, Türken, Mongolen und Europäer haben nacheinander Indien erobert und gebrandschatzt. Ein willenloses Spielwerk in den Händen ihrer Tyrannen, und getreue Unterthanen dessen, der sie unter dem Joche zu halten weiß, bauen die friedlichen und industriösen Bewohner dieser herrlichen Länder die Baumwolle, weben die Wolle von Cachemir, sammeln die Diamanten Golcondas und die Rubinen Candahars – alles zum ausschließlichen Vortheil der Portugiesen, Holländer, Franzosen und Engländer. Bald wird in dem weiten Umfang ihres Gebiets kein einziger unabhängiger Fürst ihres Stammes mehr seyn, während diejenigen, die, durch die Sieger unter erniedrigende Bedingungen gebeugt, als Schattenfürsten gegenwärtig noch übrig sind, weder Kriegselephanten, noch feste Plätze, noch Soldaten besitzen dürfen, und sich, um ihre Zeit tödten und ihre Einkünfte verschwenden zu können, darauf beschränkt sehen, Wörterbücher zu entwerfen und dann mit Zustimmung der ostindischen Compagnie drucken zu lassen.

Mitten unter so mannichfachen Abwechselungen der orientalischen Regierungsformen tritt uns besonders Ein Zug als auffallend entgegen – daß wir nirgends, und fast zu keiner Zeit jenen gehässigen Despotismus, jene herabwürdigende Sklaverei finden, dessen ertödtenden Geist man über ganz Asien schweben zu sehen glaubte.

Die muselmännischen Staaten, deren Verfassungsformen und Verhältnisse eine ganz eigene Betrachtung fordern, ausgenommen, ist sonst überall die souveräne Autorität zwar mit dem imposantesten Glanz, zugleich aber mit den beengendsten Schranken umgeben, ja ich möchte sagen mit den einzigen, welche den Herrscher wirklich, und nicht, wie bei

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 210. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_220.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)