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Das Ausland. 1,2.1828

Coliseums in der Architektur, der heilige Hieronymus des Correggio in der Malerei ist. Italien ist das Land, das ein zweifaches klassisches Alterthum besitzt, das zweite fast geistig größer, als das erste: als die Heimath der Scipionen kann es gewiß auch auf seine Dante, Raphael, Machiavelli stolz seyn. Sollte die neuere Zeit keine Namen aufweisen? Zu bitter spricht sich Alfieri aus, wenn er sagt: „Auf dem Gipfel seiner Verworfenheit und Nichtigkeit zeigt das jetzige Italien selbst in den ungeheuren Verbrechen, die jeder Tag begehen sieht, wie reich es mehr als jedes andere Land in Europa an feurigen und fruchtbaren Geistern ist, denen, um großes zu tun, nichts fehlt, als ein Schlachtfeld und Mittel.“ Dieses Beweises aus der Kraft des Bösen bedürfen wir nicht. Ist auch der Abstand des Volks und der gebildeten Klassen in Italien, wie in Spanien und Portugal, so unermeßlich, daß man einen neapolitanischen Bauer mit einem Afrikaner oder einem Südseeinsulaner vergleichen darf, wie sich Herr von Stendhal wirklich dieses Gleichnisses bedient; ist auch die Gleichgültigkeit gegen Verbrechen, wie der Meuchelmord, so gräßlich, daß der Bandit von seiner That bloß als von einem Unglück reden kann; zeigt sich auch der Aberglaube in seiner lächerlichsten Gestalt, wenn z. B. ein Marquis, dem es vor dem Teufel bange ist, sich den Mund einsegnen läßt, damit der leidige Gast nicht durch diese Pforte hineinkomme, oder wenn die Furcht vor dem Behexen durch den Blick[1] manche Leute, denen man diese Eigenschaft zuschreibt, aus der Gesellschaft verbannt; so giebt es auf der andern Seite Vorzüge des Geistes und des Charakters, die dem Italiener einen bedeutenden Rang unter den Völkern Europa’s bestimmen. An den Mailändern rühmt der Verfasser die schöne Harmonie der Sitten, die Natürlichkeit in den Manieren, die Gutmüthigkeit, die große Kunst, glücklich zu seyn, die hier ausgeübt werde, ohne daß die Leute wissen, daß dies eine Kunst, ja die schwerste Kunst sey. Der Ton der Gesellschaft gleiche dem Stile Lafontaines. Die Florentiner nennt er die polirtesten unter den Menschen, voll sorgfältiger Aufmerksamkeit auf alles, was schicklich ist, sicher und bestimmt im Benehmen. In Bologna ist viel Freiheit der Rede: dadurch gewinnt der Charakter an Offenheit, der Geist an Feuer und Originalität. Zu thun was vernünftig ist, schämt man sich in Italien nicht, wie in manchen Ländern, wo die Ehre à la Louis XIV zu sonderbaren Vorurtheilen Anlaß gegeben hat; hier macht z. B. ein Offizier, ohne daß ihm dieß in seiner Reputation schadet, auf einem Theater den Buffo. Dagegen ist in andern Dingen der Italiener delikater als der Franzose: dieser macht seine Epigramme auf die Narrheit, jener wendet sich davon weg. Reichthum ohne Bildung ist in Italien verachtet, während sich in Paris ein Commis, der zu der Bourgeoisie gehört, ziemlich in Positur setzen darf. Der Schriftsteller kann bei seinen Geistesprodukten auf keinen Geldgewinn, wohl aber auf die Bewunderung des Volks rechnen. Man zahlt in Italien die Künstler schlecht, aber ganz Mailand hat einen Monat lang von der Francesca da Rimini gesprochen. Silvio Pellico hätte aus Mangel an Vermögen seine Tragödie nicht drucken lassen können, wenn ihm nicht fremde Großmuth zu Hülfe gekommen wäre. In Paris erwirbt sich ein Mann von Geist des Monats 3000 Franken. Die Mittelmäßigkeit wird nicht geduldet; der Italiener verlangt Kraft, Einfachheit, Natur, keine frostige akademische Nachahmung; das gesuchte affektirte in der Kunst ist ihm so verhaßt als jenes Ceremoniell der Gesellschaft, womit sich die Leute vom guten (französischen) Tone quälen. Im Sinn für das Schöne, in jener Entzündbarkeit des Gemüths, das sich dem Eindrucke freudig hingibt, hat der Marquis vielleicht nicht viel vor dem Bauer voraus. Noch besitzt Italien seine Dichter, Geschichtschreiber und Philosophen. Nichts ist so naiv als ein italienischer Dichter: Grossi, Pellico, Porta, Manzoni, Monti. Wenn man einen nordischen Dichter liest, so braucht man seine Person nicht zu kennen: er spricht nicht selbst, sondern die Muse. Bei Porta und Grossi aber ist es gerade ihre Individualität, welche ihre lieblichen Gedichte noch bezaubernder macht. Monti ist der Dante des achtzehnten Jahrhunderts: er hat sich auch nach Virgil gebildet. Dem armen Pellico hat das Gefängniß dichterische Muße gegeben. Manzoni, devot wie la Mennais, ist in der Lyrik ein Byron. Beccaria, Verri, Parini, Visconti und Gioja sind die Philosophen Italiens. Die beiden erstern begründeten eine neue philosophische Schule in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, sehr verschieden von der gleichzeitigen in Frankreich: beschäftigt mit den ernsten Gegenständen des Lebens war es ihnen um keine Schönheiten des Stils, nicht um den Beifall der Salons, und den Ruhm der Schriftsteller des Tages zu thun. Veccaria war auf dem Puncte, in Paris Mode zu werden wie Hume, als er sich diesem Glück entzog, und nach Mailand zurückeilte, weil er befürchtete, seine Geliebte möchte ihn vergessen. Verri, der Freund Beccarias, hat die Geschichte Mailands im großen Geist der Alten geschrieben. Man findet darin nicht jenes Schwanken in Begriff und Urtheil, wie in so vielen französischen Werken des neunzehnten Jahrhunderts: Verris Geschichte ist ein kühnes, mit fester Hand gezeichnetes Gemählde. Wer Tamburini’s Vera idea della Santa Sede nicht gelesen hat, kennt Rom nicht. Auch Pignotti, der Geschichtschreiber Toscanas, gehört in diese Reihe. – Wenn man von der italienischen Literatur spricht, so kann von Neapel kaum die Rede seyn: denn dort haben sie bei der Katastrophe von 1799 Alles gehängt, was Geist hatte. Den Hang zur Satire haben sich indessen selbst die Neapolitaner nicht nehmen lassen, und sie besitzen in ihren Marionetten ein treffliches Mittel, diesen Hang zu befriedigen; wo dagegen die Lage der Menschen weniger genirt ist, da sind Charakterrollen wie Dom Procolo und Cassandrino, ersterer der Vater oder Ehemann einer großen Sängerin, letzterer bei den Römern ein alter Geck in den Manieren eines Abbé, der sich in jede junge Frau verliebt, eine reiche Fundgrube für den nationalen Witz des Italieners.

  1. Die Jetatura, das böse Auge, auch bei den Neugriechen.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_206.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)