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Das Ausland. 1,2.1828

ihn kämpften und duldeten, das Erbe unserer Väter noch in den Händen der Räuber sehen, und von einem kärglichen Gnadenbrode leben müssen? Im Grunde war aber das Loos der alten Vertheidiger des Throns so gar schlecht und armselig eben nicht, indem sich sonst schwerlich viele Andere gefunden hätten, die, ohne ihre Ansprüche zu haben, diese Armuth mit ihnen theilen wollten.

Es läßt sich nicht verkennen, daß bei Lebzeiten Ludwigs XVIII oder wenigstens so lange er noch geisteskräftig genug war, um auf die Angelegenheiten seines Reichs selbstständig einzuwirken, die Stellung der Ultraisten, Frankreich und Europa gegenüber, noch nicht so entschieden und offensiv seyn konnte, wie sie bei einem bevorstehenden Thronwechsel werden mußte. Ludwig XVIII hatte sich nicht ohne einigen Schein verwandter Geistesgröße in seiner Vermittlersrolle als einen zweiten Heinrich IV gedacht; Frankreich nach der Revolution und Frankreich nach den Bürgerkriegen des sechzehnten Jahrhunderts erschienen in mehr als einer Beziehung vergleichbar; die Aufgabe der Fürsten in beiden Perioden war im Allgemeinen dieselbe: zwei gleich mächtige, feindlich einander gegenüberstehende Parteien zu vereinigen. Aber wenn uns die Charte an das Edikt von Nantes erinnert, sollen wir auf die Gefahr hin, ungerecht zu urtheilen, eine weitere Parallele zwischen Karl X und Ludwig XIV ziehen? Der stolze Herrschergeist, der kirchlich fromme Sinn, die Verehrung gegen die Geistlichkeit, besonders gegen die auch für höhere Zwecke der Politik wirkende Gesellschaft Jesu, dieses Alles ist beiden Fürsten gemein – und zu manchen andern Vergleichungspunkten böte das Leben des Grafen von Artois die Belege – aber dürfen wir dieser Aehnlichkeiten wegen, weil Ludwig XIV wichtige Edicte und Institutionen seiner Vorgänger zurücknahm, auch von Karl X einen gleichen Schritt erwarten? Diese Besorgniß, die französische Journale mehr als einmal andeuteten, scheint uns indessen noch voreilig, und die Aufhebung der Charte nur in dem Fall gedenkbar, daß Frankreich in der Mehrheit seiner öffentlichen Organe, wie dieß eine Zeitlang geschah, beharrlich die Wiederherstellung der absoluten Monarchie verlangte. Karl dem X, entsprossen aus dem ältesten Fürstenhause Europa’s, und gewöhnt an rein monarchische Formen, die seinem persönlichen wie seinem fürstlichen Charakter zusagen, könnten wir es unmöglich verargen, wenn er einem darauf bezüglichen Wunsche seines treuen Volkes, sobald dieser im Ernst vor ihn gebracht würde, bereitwillig entspräche.

Hätte Frankreich seine Institutionen theilweise oder ganz verloren, so wäre die Schuld größtentheils den Männern beizumessen gewesen, welche als Sprecher der Nation auftraten. Aus tadelnswerthem Leichtsinn und mit völliger Verkennung der letzten Vergangenheit, die den Collektivbegriff des neuen Frankreichs bildete, hatten die Liberalen nach und nach die Männer der Republik und des Kaiserreichs Preis gegeben, in welchen sie gerade die tüchtigsten Elemente für den neuen Constitutionalismus, geprüfte Erfahrung und Freiheitsliebe hätten finden können. Warum wollten sie in einem Augenblick, wo nur Vereinigung Rettung versprach, das Interesse aller derer, welche so lange die Führer ihrer Zeit gewesen waren, deßwegen von dem ihrigen trennen, weil jene sich vielleicht minder lebhaft für ihre Theorie der konstitutionellen Monarchie, für ihre Ansicht von Legitimität aussprachen, oder weil einigen Großen des ancien regime damit ein Dienst geschah?

Allein auch die Royalisten gestehen nunmehr ihre Verblendung ein. Sechs Jahre der Willkühr reichten hin, um ihnen die Wahrheit eindringend zu machen, daß die Verfassung den alten Interessen eben so gut als den neuen Dauer und Sicherheit verleihe. Sie mochten sich jetzt fragen, ob der Thron glänzender geworden, als man in ganz Frankreich keine freie Stimme mehr vernahm, als die Diener des Königs zu Sclaven erniedrigt waren, die keinen Willen haben durften, als den Willen der Minister, und die Menschen zu Dingen, die man wegwarf, wenn man glaubte, ihrer nicht mehr zu bedürfen. Daß die Nation auf diese Weise nicht glücklich werde, war ihnen um so weniger zweifelhaft, als sie sich selbst nicht glücklich fühlten. In dem rücksichtslosen Benehmen der Minister, selbst gegen alte Märtyrer der Treue, lag eine starke Lehre. Sollte blos der Frohndienst noch als Verdienst gewürdigt werden, so ahnte jeder rechtliche, unabhängige Mann das Schicksal, das auch ihm bevorstand. Natürlich hatten die Ritter des Absolutismus nicht daran gedacht, daß sie selbst an den Triumphwagen der gepriesenen Alleingewalt gespannt werden würden. Das Staatswesen der jetzigen Zeit ist eine äußerst complizirte Maschine, die nur durch die künstliche und so viel als möglich gleichmäßige Vertheilung des Drucks im Gange erhalten werden kann. Deswegen ist eine Monarchie im antiken Sinn, mit dem Fürsten als wirklichem Selbstherrscher an der Spitze, längst nicht mehr gedenkbar. Was wollen also im Grund alle Parteien? Ueberzeugt, daß der König der Last des Alleinregierens nicht gewachsen sey, wollen sie mitregieren. Der Unterschied ist am Ende nur der, daß die einen ihren Antheil im Namen des Königs, die andern ihn im Namen des Volks verlangen. Die Ausführung des Absolutismus wäre nur dann möglich, wenn das ganze Staatssystem vereinfacht würde; die ungeheuern Budgets, die Heere von Angestellten müßten zu einem großen Theile wegfallen; es müßte in den niederen Regionen des Staats unbedingte Freiheit zugestanden werden.

(Fortsetzung folgt.)


Die neue Universität in London.


(Fortsetzung.)

Der dritte Paragraph, welcher die verschiedenen Studienkurse betrifft, enthält nur die allgemeinsten Umrisse von derjenigen Studienordnung, die sich der Rath vorbehielt, demnächst mit den Professoren der Universität in reiflichere Erwägung zu ziehen und hiernach genauer zu bestimmen.

Man wird die Studenten in zwei Klassen unterscheiden: eigentliche Mitglieder der Universität (Members of the University), und gelegenheitliche Studenten (Occasional

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_189.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)