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Das Ausland. 1,2.1828

gelehrten Clubb zurück. Das liebliche Mädchen saß in dem dunkelsten Winkel des Zimmers auf einem Sopha. Ihre Stellung hatte den ganzen Reiz schmerzlicher Hingebung, die in den Meisterwerken der Antike so bewundernswürdig ist. Eine Hand hielt das traurig gesenkte Köpfchen, während die andere nachlässig auf den Knien lag. Die zarte Weiblichkeit, die zierliche Gestalt, der sanfte sehnsüchtige Ausdruck stand in lebhaftem Contraste mit den männlichen Zügen und Formen ihrer ältern Schwester. Die schwarzen Haare legten sich wie ein breites dunkles Band um die glänzend weiße Stirn. Ihre halbgeschlossenen Augen schienen die Sehnsucht auszudrücken, dieser beengenden Welt zu entfliehen, und ihre Augenlieder hoben sich langsam, wenn sie sich wider Willen gezwungen sah, augenblicklich Theil an der Unterhaltung zu nehmen. In allen ihren Zügen lag ein so stiller Schmerz, eine Melancholie ohne alle Affektation, daß ich, von unwillkürlicher Achtung und von der tiefsten Theilnahme ergriffen, kaum mit ihr zu sprechen wagte, sondern mich leis und schweigend neben sie setzte. Sie redete mich zuerst an, in sanftem traurigen Tone, aber mit unbeschreiblicher Grazie und schöner Wahl des Ausdrucks. Ganz hingerissen von dem Interesse das sie mir einflößte, antwortete ich, ohne daß ich im Augenblicke mehr wußte, was sie gefragt hatte. Meine Verlegenheit und meine fremde, ungeschickte Aussprache lockte ein leichtes Lächeln auf ihre blassen Lippen. – –

Man erhob sich um Abschied zu nehmen, als sich noch einmal die Töne des Fortepiano hören ließen. Ich benützte diese Gelegenheit, und bat die liebliche inamorata sich an’s Instrument zu setzen. Einer der jungen Gelehrten vereinigte sich mit mir, und bat sie zu singen quella canzone che le andava più al genio, indem er überzeugt sey, daß eine solche Bitte den zärtlichen Seelen, die von Musik, Poesie und Liebe leben, gewiß nie unangenehm seyn könne. Das reitzende Kind erhob sich langsam, warf einen Blick auf seine Tante, als ob es von ihr im Voraus Verzeihung erbitten wollte, und setzte sich dann mit niedergeschlagenen Augen vor das Piano. Dann schlug sie die schönen Augen auf, ließ aber, so wie im Moment allgemeine Stille eingetreten war, ihren Blick wieder auf das Instrument fallen, und begann mit einem leichten Tremolo begleitet von jenem einfachen bekannten Liede: O Roma, O Roma! Non sei più com’ era prima. Vergebens würde man in einer andern Sprache den tiefen ergreifenden Ausdruck, die schwellende Melodie dieses Volksgesanges wiederzugeben suchen. In der Klage über das Unglück Roms schien die Sängerin zugleich ihr eigenes Schicksal zu beweinen, und erhöhte so den rührenden Ausdruck des Liedes durch den Schmerz, von dem sie selbst durchdrungen war. –

Unser Zirkel bestand meist aus Leuten, welche im allgemeinen glauben, daß die Dinge, wie sie einmal sind, nicht leicht anders seyn können, und daß es folglich gut so ist, wie es ist. Welchen Römer aber möchte es geben, dessen Seele nicht von Zeit zu Zeit ein tiefer Schmerz beschliche, wenn er des einstigen Ruhms der ewigen Stadt gedenkt? So lag auch in diesem Augenblick auf allen Gesichtern der Ausdruck bittrer Melancholie, der letzte Zug des italienischen Patriotismus. Der Abbé murmelte einige Worte von Carthago, von den Mauern Ilions, dann aber überwältigte ihn die innere Bewegung des Augenblicks, er schlug die Arme übereinander, heftete den Blick auf den Boden, und schwieg …

Ich kehrte nach Hause zurück. Tiefe Stille lag auf Romulus Stadt; über ihr aber glänzten dieselben Sterne, die einst auf Cäsar und Brutus niederblickten.


Briefe über Portugal.


(Schluß.)
Lissabon, 5. März 1822.

Das Theater der italienischen Oper ist geschlossen, und auf dem der portugiesischen Comödie spielt man die Mysterien der Leidensgeschichte, das Leben der Heiligen und Märtyrer. Vor meinen Fenstern zieht eine Prozession vorüber, das Leiden unsers Herrn, Jesus Christus, vorstellend. Alle Fenster, hinter denen bisher keine Seele sichtbar gewesen war, fliegen auf, und die lieblichsten Gesichter mit schwellenden Lippen und dunkelglänzenden Augen beugen sich heraus. Durch alle Straßen drängen sich die Massen des Volks. Der Held dieses Schauspiels ist ein Christus, mächtighoch wie Goliath, mit langem schwarzen Haar und dunkelbrauner Haut, mühsam sich fortschleppend unter der Last eines ungeheuern Kreuzes. Hinter ihm jammert und schluchzt ein langer Zug von Frauen, in Mäntel von braunem Tuch gehüllt, und Tücher von weißem Mousselin um den Kopf gebunden.

Ein englischer General des letzten Jahrhunderts sagte, er habe nie einen portugiesischen Mönch gesehen, der nicht die Miene eines Soldaten, und nie einen portugiesischen Soldaten, der nicht das Aussehen eines Mönches gehabt hätte. Der erste Theil dieser Versicherung ist noch heute wahr. Die Mönche, die ich bei dieser Prozession sah, trugen das Haupt hoch, mit einer Art von triumphirendem Gange einherschreitend wie Garden auf der Parade. Warum sollten aber auch die Mönche nicht stolz und herabsehend seyn, da das Volk, die Minister und selbst der König so demüthig vor ihnen sind? Warum sollte ihr Sinn sich nicht erheben bei dem Gedanken, daß drei Millionen Portugiesen im Schweiße ihres Angesichts arbeiten, und den Ozean beschiffen, blos um sie zu bereichern. Die einzigen hervorragenden Gebäude Portugals sind die Klöster. Wer das Escurial in Spanien, und das Kloster Mafra in Portugal gesehen hat, erkennt, daß America nur für die Mönche erobert wurde. Als 1755 das Erdbeben Lissabon zerstörte, blieb das Franciskanerkloster allein mitten unter den Trümmern aufrecht, weniger wohl durch ein Wunder des heiligen Franciscus, als weil die festungsgleichen Mauern und Gewölbe jedem Sturm trotzten…

Das portugiesische Volk ist abergläubisch aber nicht fanatisch. Wenn heftiger Ostwind sich erhebt, laufen immer noch einzelne Leute auf gewisse Anhöhen, um zu sehen, ob nicht der König Sebastian, der 1568 in einer Schlacht gegen die Mauren fiel, aus Afrika zurückkehre. Bis jetzt hat der heilige Sebastian vergebens auf sich warten lassen, dessenungeachtet aber insultiren ihn seine

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_180.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)