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Das Ausland. 1,2.1828

geistigen Genuß. Den gleichen gesellschaftlichen Charakter trifft man unter dem Bürgerstand von Florenz, Mailand, Neapel, aber nur in Rom ist er allgemein herrschend.

Trotz all dem darf man sich indessen nicht vorstellen, daß jene Liebe zur Antike, jener Fanatismus der Kunst heut-zu Tage zu großen oder nützlichen Entdeckungen führe. Die gelehrten Antiquare, die Hohenpriester dieses Cultus, glänzen nur durch eine Detailgelehrsamkeit. Ein umfassender Ideenkreis, die Philosophie der Kunst mangelt ihnen gänzlich. Es gibt nur Einen Visconti, nur Einen Cancellieri, die sich über diese nichtsbedeutenden mikroskopischen Beobachtungen erheben. Die tiefsten Untersuchungen, die leidenschaftlichsten Diskussionen, die mühsamsten Nachtstudien, werden auf ein Stück altrömischen Backsteines, auf einen Säulenschaft, einen Initial-Buchstaben verwendet. Jeder Gelehrte baut seine Theorie auf, wie ein Kind sein Kartenhaus, und freut sich über nichts so sehr, als wenn er das luftige Gebäude seiner Gegner mit Glanz über den Haufen werfen kann. Tausendmal wird der Plan des alten Roms entworfen, verworfen, und wieder entworfen. Gegenstände dieser Art sind es, welche die Aufmerksamkeit der neuen Römer fast ganz ausschließlich in Anspruch nehmen; dieß ist die Bahn, auf der sie sich tummeln, dieß sind ihre Strapazen, dieß ihre Eroberungen. In der tiefen Lethargie, in die sie versunken sind, kann nur eine neuaufgefundene Medaille, das Paradoxon eines Gelehrten ihre Neugierde wecken, ihre Thätigkeit in Bewegung setzen, und ihnen jenes Gefühl ihres bürgerlichen Daseyns geben, das sonst von allem was sie umgibt mehr abgestumpft als belebt wird …

In Frankreich ist eine gelehrte Frau ein Gegenstand des Erstaunens, in England eine Zielscheibe des Spottes. In Rom hingegen tritt eine Frau, ohne ihrem Geschlechte untreu zu werden, oder sich auch nur im mindesten lächerlich zu machen, als Schriftstellerin auf, und hält selbst öffentliche Reden und Vorlesungen. Bekannt sind die Abbrizzi, die Vitoria-Colonna u. a.; ich selbst sah wie die Marquise M., die neue Minerva, die Academia Tiberina präsidirte, und trotz ihrer riesenhaften Gestalt, fast unterlag unter der Last der Lobeserhebungen, mit welchen der Schwarm ihrer Verehrer sie überhäufte. Eine andere edle Dame verdankt ihren Ruhm einer in einem akademischen Cirkel gehaltenen geistreichen Lobrede auf die Polygamie, deren etwas gewagte Beweise jedoch durch ihr Privatleben vor Mißdeutung geschützt waren.

Zu diesen Damen nun, die sich ganz den Wissenschaften geweiht haben, gehört auch illustrissima Signora D. Eine magere Gestalt, hellglänzende Augen, ein etwas schiefer Wuchs, eine durchdringende Physiognomie passen in dem Grade besser zu ihren abstrusen akademischen Studien, als sie weniger an die Reize ihres Geschlechtes erinnern. Aber eine gewisse Art natürlicher Gutmüthigkeit, die hinter den scharfen und geschminkten Zügen durchblickt, mildert die Härte des Ausdrucks. Dabei verleiht der feurige Blick die rasche Bewegung und edle Haltung der ganzen Gestalt einen gar eignen Charakter.

In ihrer Jugend war sie den Intriguen der großen Welt, zu der sie übrigens vermöge ihrer Geburt nie gehörte, nicht fremd geblieben; später war sie in beständigen Streit mit den damals allmächtigen französischen Behörden verwickelt; aber weder Verdrießlichkeiten noch Gefahren konnten ihre Vorurtheile oder ihre Grundsätze brechen, und nun, da sie zu Jahren gekommen war, herrschte sie in Frieden über die gelehrte Coterie, in der ich eingeführt wurde. (Wir übergehen hier die Ceremonie der feierlichen Vorstellung, und die Discussionen, die sich hierauf zwischen einem jungen Schüler des berühmten Fea und einem alten Abbé, einem heftigen Anhänger Nibby’s, erhoben.)

Der Kampf ward lebhafter; die antiquarischen Gladiatoren geriethen in immer leidenschaftlichere Erbitterung, als die Dame des Hauses sich gegen mich wandte und ziemlich laut bemerkte, daß in der alten guten Zeit dergleichen Auftritte nicht vorgefallen seyen; damals habe im Gebiete der Wissenschaft wie in dem es Glaubens Orthodoxie geherrscht, und alles sey besser gegangen. Plötzlich trat ein Waffenstillstand von einigen Minuten ein. Drei oder vier Engländer, gleich mir gerade von den Ufern der Themse kommend, benützten das augenblickliche Stillschweigen, und suchten die Unterhaltung durch geistreiche Bemerkungen über schönes und schlechtes Wetter, und ähnliche allgemein interessante Gegenstände wieder zu beleben, wobei sie die Bildung ihrer Kammerdiener und den bon ton ihrer Postillone in Contribution setzten, und eine Probe jener possierlichen Sprache zum Besten gaben, die unsern Landsleuten auf dem Continent eigen geworden ist, einem Mischmasch von englischen Phrasen in’s Französische parodirt, und von französischen Worten in’s Italienische verketzert. Von diesen Anstrengungen aber bald erschöpft, trat auf’s neue das finstere Stillschweigen der Italiener und die hochmüthige Schüchternheit meiner Landsleute ein. Vergebens suchte Signora die Unterhaltung wieder in Bewegung zu setzen, indem sie vom Coliseum, vom Vatican und von allen Herrlichkeiten Roms anfing; alle Versuche ihrer Artigkeit scheiterten an jener übelangebrachten Zurückgezogenheit. Diese Herren reiseten, um es eben wie die übrige Welt zu machen; nichts konnte ihre trockne Seele in Begeisterung setzen, nichts in ihre nüchterne Unterhaltung einen Funken von Wärme werfen. Bald sahen die Italiener, die den Fremden aus Höflichkeit Platz gemacht hatten, sich in einen Winkel des Salons gedrängt, während die Engländer, plötzlich aufmerksam auf ihre hervortretende Stellung, sich in den entgegengesetzten Winkel zurückzogen. Die Signora, ihre Tochter, die Abbé’s, die Gelehrten – alles setzte sie in Verlegenheit, und insgeheim verwünschten sie gewiß jene ärgerliche Gewohnheit gebildeter Völker, welche jedem Mitgliede einer Gesellschaft die lästige Verpflichtung auflegt, seinerseits einen Beitrag zum Gespräch und zur allgemeinen Unterhaltung zu liefern. Wie sehnten sie sich nach dem Café des Mille Colonnes, wo einem das Vergnügen schon ganz fertig entgegengebracht wird, wo man, ganz nach Gefallen, sprechen oder schweigen, beobachten oder Grillen fangen kann! Die Langeweile wurde nach und nach allgemein. Es fand sich kein Glace à l’italienne, kein Punsch à la française, kein Thee à l’anglaise, um die Melancholie zu vertreiben, und den fremden Gästen den Gebrauch ihrer Sinne wiederzugeben. Jeder ennuyrte sich über sich selbst, und war durch die gut englische Tölpelhaftigkeit sich und den andern zur Last geworden, als die Thüre des Nebenzimmers sich öffnete, und zwei Nichten der Signora D. hereintraten.

(Schl.f.)
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_178.jpg&oldid=- (Version vom 14.1.2021)