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Das Ausland. 1,2.1828

Wille ward verkündigt, und sogleich begann in der Hauptstadt selbst die neue Organisirung des Heeres, während nach allen Provinzen Couriere flogen, um auch dort die Befehle des Herrn zur Ausführung zu bringen. Die Bürger Konstantinopels gedachten mit Schrecken der Zeiten Kabaktschi’s und Bairaktar’s, während wir andern, im Quartiere der Franken, uns plötzlich auf einen Vulkan versetzt sahen. Der 16 Junius 1826 schien unsere Furcht bestätigen zu wollen. Um zwei Uhr nach Mitternacht verbreitete sich in Pera das Gerücht, daß auf dem Etmeïdan Geschütz aufgepflanzt würde, und die Janitschren mit großem Geschrei fünf Köpfe forderten: den ihres Agas oder Ober-Befehlshabers, des Ex-Agas Hussein Pascha, des Nedjib-Efendi, Mehemed Alis Gesandten, des Groß-Veziers und des Mufti. Bereits hatten große Exzesse statt gefunden; mehrere Häuser wurden geplündert, und die Janitscharen durchzogen die Straßen der Hauptstadt mit dem Geschrei: „Tod dem Sultan Mahmud! Es lebe sein Sohn Achmet! Nieder mit dem Nizam-Djedid! Es leben die Kinder Haggi-Bektasch’s.“ Der Großherr befand sich gerade auf seinem Landhause von Beschiktasch. Kaum hat er die erste Kunde des Aufruhrs erhalten, so eilt er schnell in sein Serail nach Konstantinopel, umgeben von den Offizieren seines Hofs. Wären die Janitscharen, die 25,000 Mann stark waren, gerade gegen das Serail gerückt, und hätten sich, was ihnen nicht schwer gefallen wäre, desselben so wie der Schätze des Sultans und einiger Batterien bemächtigt, so wäre ihr Aufruhr ohne allen Zweifel geglückt. Statt aber durchgreifende Schritte zu thun, verloren sie die Zeit mit wilden zwecklosen Ausschweifungen; gewöhnt stets Sieger zu bleiben, kam es ihnen gar nicht in den Sinn, daß der Großherr einen Widerstand wagen würde, und so ward ihr Selbstvertrauen die Quelle ihres Verderbens.

Hussein-Pascha, Ex-Aga der Janitscharen, befand sich im Momente der Empörung in der Nähe der Hauptstadt. Unterstützt von wenigen Getreuen, versammelte er schnell die Kanoniere, Bombardiere, so wie die Bostandschi’s, oder die Wachen der Gärten des Serails. Ihm verdankt man die Ehre des Siegs. Als ein wüthender Janitschar unter der Regierung Selims, gehörte dieser Mann, der den Muth des Löwen mit der Grausamkeit des Tigers verbindet, zu der Zahl derer, die den Brudermörder Mustapha bei der Entthronung Selims unterstützten. Aber seine politischen Grundsätze wechselten mit den Umständen. In voller Ergebenheit unterwarf er sich Mahmud, der ihn zum Aga der Janitscharen und später zum Pascha von drei Roßschweifen ernannte. Während er Befehlshaber jenes Corps war, hatte er mehr als einmal Empörungsversuche unterdrückt, und dabei manches Haupt mit eigner Hand abgeschlagen. Er war eben so gefürchet als gehaßt, und sein Kopf wurde daher bei diesem Aufruhr am ungestümsten begehrt. Der Sultan aber schenkte ihm unbedingtes Vertrauen. Der Sandjeak-Scherif, die Fahne des Propheten, auf welche bei Todesstrafe kein Christ die Augen werfen darf, und welche nie entfaltet wird, als wenn das Reich in Gefahr steht, ward bei der Moschee des Sultans Achmet aufgepflanzt. Der Mufti, umgeben von den Ulemas, den Kadis und den Chefs der Derwische, rief dreimal aus: „Im Namen des Einigen Gottes, und Mahomeds, seines Propheten, und auf Befehl des unbesiegbaren Sultans Mahmud sind die Janitscharen außer dem Gesetz erklärt. Tod den Rebellen! Ewiges Heil denen, die sich unter die heilige Fahne des Propheten stellen!“ In allen Straßen verkünden die öffentlichen Ausrufer den Hatti-Scherif des Großherrn, und von der Höhe der Minarets ertönt der Ruf der Muezzins. Auch in Scutari und allen Dörfern auf beiden Ufern des Bosphorus werden die Gläubigen zu den Waffen gerufen. An der Spitze von acht- bis zehntausend Kanonieren und der zusammenströmenden Volksmassen wendet sich Hussein gegen den Etmeïdan und giebt Befehl zum Feuern. Die Janitscharen, obgleich erstaunt über einen so unerwarteten Angriff, vertheidigen sich dennoch aufs tapferste, und machen unter dem Schutze einiger Geschütze den Sieg lange zweifelhaft. Aber die Zahl ihrer Gegner wächst mit jedem Momente. Um nicht von allen Seiten eingeschlossen zu werden, ziehen sie sich in eine ungeheure Kaserne zurück. Hussein läßt die Thore des Gebäudes einschießen, während die Janitscharen aus sechs Geschützen die Stürmenden mit Kartätschen niederwerfen.

Sultan Mahmud befand sich im Serail, und nicht, wie unsere Zeitungen verbreiteten, an der Spitze seiner Truppen; aber hundert Couriere flogen durch die Straßen der Stadt, um von Moment zu Moment ihm Bericht zu erstatten, und seine Befehle in Empfang zu nehmen. Er gibt Hussein den Auftrag, die Kaserne in Brand zu stecken. Schnell lodert die Flamme an allen Ecken des mächtigen Gebäudes auf. Die Hitze, der Rauch, die zusammenstürzenden brennenden Balken treiben die Rebellen aus den Zimmern und Sälen, und die ganze ungeheure Menschenmasse ballt sich in dem weiten Hofraum zusammen, während von allen Thoren volle Kartätschenladungen in die dichtgedrängte Menge schlagen, über deren Häuptern das flammende Gebäude zusammenbricht. Da werfen sich ganze Reihen, um Gnade flehend, auf ihr Angesicht, aber wüthend dringen die Treuen des Sultans vorwärts, mit dem Schwert vertilgend, was das Geschütz und die Flammen verschont hatten.

Noch widerstanden drei andere Kasernen, wurden aber, als jene gefallen, gleichfalls vernichtet. Nur ein kleiner Theil der Janitscharen rettete sich nach Asien oder in den Wald von Belgrade, sieben Stunden von Konstantinopel. Vier und zwanzig Stunden hatten hingereicht, um die furchtbarste Macht des ottomanischen Reichs zu Boden zu werfen. Vor allen tapfer hatten die Kanoniere gefochten. Schon unter Selim waren sie in Regimenter eingetheilt worden, und hatten unter Mahmud das Talim, die neuen Waffenübungen, fortgesetzt. Daraus entsprang zwischen ihnen und den Janitscharen jene Eifersucht, welche dem Großherrn bei dieser Gelegenheit Thron und Leben rettete. Hussein-Aga ward zum Khan und zum Seraskier-Pascha,

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_153.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)