Seite:Das Ausland (1828) 151.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 36. 5. Februar 1828.

Das englische Creditsystem seit Pitt.


(Schluß.)

Mit Allem diesen aber nicht zufrieden, wollte Schneider auch noch auf andere Weise nützlich werden, und seine Mitbürger für den kleinen, der National-Wohlfahrt durch ihn beigebrachten Stoß entschädigen. Er reisete also, und war so glücklich, die Entdeckung zu machen, daß in dem kräuterreichen Thal von Gruyère, wo er Kühe von besonderer Schönheit und Fülle bemerkte, die Produktivität dieser Thiere bei gehöriger Behandlung auf einen fast unglaublichen Grad gesteigert werden könne. Hiernach traf er seine Einrichtungen, und so verdankt die Welt Schneiders Bemühungen den Ueberfluß der in jenem Thale gewonnenen Milch und den Genuß jenes vortrefflichen Käses, welcher, als ein unentbehrliches Reizmittel für den Gaumen der Schmecker, die alte und neue Welt einem unbedeutenden Winkel der Helvetischen Republik zinsbar macht.

Bei solchen Verdiensten um sein Vaterland durfte Schneider seinem Lebensende und dem damit zugleich ausbrechenden Bankerutt mit vollkommener Seelenruhe entgegensehen. Er wollte daher auch seine ehrenvolle Insolvenz seinen Gläubigern selbst bekannt machen, um dies Geschäft nach seinem Tode nicht unzarten Vertretern überlassen zu müssen. Als er das Ende seines Lebens herannahen fühlte, setzte er alle seine Rechnungen in die genaueste Ordnung, und fand, daß er, die Zinsen für 50 Jahre eingerechnet, die Summe von 174,922 Thlr. schuldig war. Er berief daher seine Gläubiger, 200 an der Zahl, auf den 6ten Januar 1784 zusammen. Obwohl mit der Veranlassung dieser Einladung unbekannt, hatten doch alle zu viel Achtung vor den Wünschen des edlen Mannes, als daß nur Einer derselben gefehlt hätte.

Schneider lag in seinem Bette; sein Handbuch und Journal zur Rechten und Linken, sein Hauptbuch aber vor ihm. Nachdem er sich über die Schwäche seiner Stimme entschuldigt und sich etwas gesammelt hatte, redete er zu den Zweihundert ungefähr in folgenden Worten: „Meine Herren! das Hauptbuch des Lebens will sich mir zuschließen, nachdem meine Rechnung in demselben nunmehr fast an die 70 Jahre eröffnet gewesen. Nicht mir, sondern dem Allmächtigen, welcher über unsere Handlungen Buch führt, kommt es zu, die Bilanz desselben zu ziehen, und mit Ergebung, obwohl vertrauungsvoll, sehe ich dem Resultat entgegen. – (Die Schnupftücher der Gläubiger wurden bei diesem rührenden Anfange ohne Ausnahme in Bewegung gesetzt; Schneider aber fuhr fort:) Wenn ich also mit dem Schöpfer nicht abzuschließen vermag, so hat er mir doch so viel Kraft und Muth gelassen, um mich mit Ihnen Allen ins Klare zu setzen. Hier ist mein Repertorium nach alphabetischer Ordnung aufgestellt und genau das Folio meines Hauptbuches nachweisend, welches nach den Handelsgebräuchen numerirt und paraphirt ist und wo Jeder von Ihnen den Saldo finden wird, welcher ihm zukommt. – (Hier fließen neue Thränen der Rührung.) – Mit Unrecht würden Sie glauben, meine Herren, daß hier wie gewöhnlich Activa und Passiva existiren. (Große Bewegung der Aufmerksamkeit.) – Das würde nur ein Inventarium wie so viele andere seyn, die Ihnen im Geschäft vorgekommen sind, und wo man nach Abzug des Soll vom Haben den Rest mittelbaren oder unmittelbaren Erben überläßt. Ich aber habe Ihnen blos Soll oder Passiva nachzuweisen. – (Bewegung des Erstaunens von Seite der Zweihundert.) Fürchten Sie indessen nicht, 30 oder 20, oder nur 10 pC. von Ihren Forderungen zu erhalten; nein! Sie erhalten nichts, gar nichts. – (Sämmtliche Gläubiger stehen verblüfft.) – Mein Vater, der Democrat, ließ mir als Erbtheil nichts, als ein Heft Verfassungen. Dennoch mußt’ ich leben und fiel daher auf den großen Gedanken eines regelmäßig organisirten Creditsystems, von dessen Vortrefflichkeit ich Sie als Beweise aufstellen kann. Wenn Sie den geringsten Zweifel hegen sollten, daß die ganze Kunst desselben nur darin bestehe, die Rückstände regelmäßig zu bezahlen, wie ich es that, so würden Sie nur einen Blick in Ihre eigenen Bücher zu werfen haben, um sich davon zu überzeugen, und um nicht blos dieser meiner Entdeckung, sondern auch der Mäßigung Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, womit ich sie ins Werk setzte, da es nur von mir abgehangen hätte, alle Kapitalien der Schweiz in meine Hände zu bekommen und einen Bankerutt von 20 Millionen zu machen. Doch fern von mir ein solcher Gedanke! Ich habe mich so eingerichtet, daß meine Schuld sich nur auf 174,922 Thlr. beläuft und daß Jeder von Ihnen hierbei ungefähr gleichmäßig betheiligt ist. Was ist also, meine Herren, Ihr Verlust gegen das bewundernswürdige Finanz-System, womit Sie das Vaterland bereichert haben? Ich elender Sterblicher bin gezwungen,

Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_151.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)