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Das Ausland. 1,2.1828

und Fluth von Tag zu Tag gefährlicher, und für den schnellen Transport immer unbequemer wurde. Die mit der Ausführung beauftragten türkischen Ingenieurs giengen rasch zu Werke. Nachdem sie kaum das Nivellement gemacht, trieben sie dreimal hundert tausend Arbeiter aus den sieben Provinzen Unteregyptens zusammen, und ließen auf geratewohl graben. Die Ungeschicklichkeit dieser sogenannten Ingenieurs, die nicht einmal angeben konnten, was eigentlich zu thun war, die weder für Anschaffung der nöthigen Werkzeuge, noch für den Unterhalt der Mannschaft gesorgt hatten, macht es begreiflich, daß die Arbeiten nur langsam vorschritten. Schon waren mehr als dreizehn tausend Menschen aus Hunger, Entkräftung, an der Pest oder unter den Stockschlägen der Treiber umgekommen, als endlich die Unternehmung in die Hände von Europäern kam, und dadurch einen regelmäßigen Gang gewann. Erst von jetzt an wurden die Arbeiter bezahlt.[1]

Die Hauptschwierigkeit bestand in der Aufführung einer 800 Kassabbeh langen Scheidemauer zwischen dem See von Abukir und dem See Mareotis, die auf Grundpfählen errichtet werden mußte, was eine dem Türken völlig fremde Bauart war. – Um einen andern 34,670 Metres langen Kanal, dem Mehemed Ali den Namen Skander gab, zu graben, wurden 80,000 Fellahs ausgehoben. Zum Beweis, wie diese Leute angestrengt wurden, bemerken wir, daß in den fünf ersten Tagen der Kanal auf eine Ausdehnung von 20,590 Metres fertig ward.

Man könnte diese riesenhaften Werke als die glänzendste Seite von Mehemed Ali’s Regierung herausheben, in der Art aber, wie sie unternommen und ausgeführt wurden, sind sie nur gräuelhafte Denkmale seines grenzenlosen Despotismus, und wie die Pyramiden noch stehen, nachdem die Namen ihrer königl. Gründer vergessen sind, werden auch sie den Namen Mehemed Ali’s nicht auf die Nachwelt bringen. Mehemed Ali steht jetzt am Ziele seiner Laufbahn: um sich und seine Familie reich und mächtig zu machen, hat er zwanzig Jahre vollauf gearbeitet, seine Hand tief in Blut getaucht, Arabien, Afrika und Griechenland verwüstet, Flotten ausgerüstet, Heere disciplinirt, sein eigen Land ausgesaugt; – und nun sind seine Schätze erschöpft, seine Eroberungen verloren, seine Flotten zerstört, und nichts ist übrig geblieben und hat Frucht getragen, als der Same des Fluches, den er reichlich über Egypten ausgestreut hat. Der Sieg von Navarin hat seinen Plan, Egypten zur europäischen Macht zu erheben, vereitelt und Europa vor der Gefahr gerettet, daß vielleicht dereinst ein neuer Barbareskenstaat das mittelländische Meer beherrschte. Möge nun Ibrahim, um seine Sklaven, die er auf die Bazars von Kairo liefert, statt aus Griechenland, aus Aethiopien zu holen, seinen vormals[2] projektirten Eroberungszug durch die Wüsten Afrika’s nach der Ebene von Mandara bald antreten und über Fezzan und Tripolis glücklich in sein Vaterland zurückkehren.

  1. Die ganze Strecke des Kanals betrug 21,988 Kaßabeh (zu 3 metres 64 centimetres) = 80,253 metres; da für den Kaßabeh 400 Piaster bezahlt wurden, so beträgt dieß eine Summe von 8,795,200 Piastern, wozu man noch ungefähr die gleiche Summe für Ankäufe der Materialien, Besoldung der Aufseher, Maurerarbeit u. s. w. rechnen darf.
  2. Caillaud Voyage à Meroë etc. Tom. II. p. 324.


Reisen eines Orientalen in Europa.


(Fortsetzung.)

Ein sehr großer Theil des Werkes betrifft Religionssachen. Mirza scheint in Absicht auf seinen Glauben und seine religiösen Gebräuche, die er, seiner eigenen Aussage gemäß, mit der größten Gewissenhaftigkeit ausübte, vielfach gequält worden zu seyn. Als Mahomedaner tadelt er die Verehrung der Heiligen in den katholischen Ländern. Nachdem er die Ohrenbeichte und die Absolution beschrieben, erklärte er, daß dieser Gebrauch ganz von den Hindus entlehnt wäre. „Die Braminen behaupten,“ sagt er, „daß die Sünden durch Baden im Ganges vergeben würden, und erzählen dem betrogenen Volke: „wenn ihr mildthätig seyd, so wollen wir machen, daß ihr in den Himmel kommt. Um kurz zu seyn, die Priester der Kaste der Franzosen und anderer leiten das Volk mittelst ihrer vollendeten Heuchelei auf einen falschen Weg, und haben große Schätze aufgehäuft. Läsen die Leute nur den hohen Koran, und glaubten an Hussurut, Muhumud, Mustapha (bei dem die Gnade und der Friede Gottes sey!) so wäre zwischen ihren jetzigen Gebräuchen und denen der Religion des Islam gerade kein großer Unterschied. Scheinheiligkeit wäre dann kein Theil ihrer Religion.“

Nicht ohne Interesse ist die historische Uebersicht unsers Itesa Mondin von der Einführung des Christenthums und des Muhamedanismus. Er erzählt: „Nach dem Absterben des Hussurut Ensa (Jesus), kam für einige Zeit das Khalifat und das Imams-Amt an seine zwölf Apostel. Das Neue Testament, dessen sich die Kaste der Nazarener bedient, ist von ihnen verfaßt. Später trennten sich diese Männer, gingen in fremde Länder, und fingen an die Religion Ensa’s und die Gesetze derselben zu verbreiten. In diesen Zeiten waren die einzelnen Secten unter den Christen nur wenig von einander verschieden. Das Fundament dieser Lehre ist der Glaube, daß Hussurut Ensa als der Sohn Gottes anerkannt wird, weil die Jungfrau Maria ihn geboren hat, ohne von einem Manne erkannt zu seyn. Indessen giebt es eine kleine Anzahl englischer Christen, welche diesen Satz nicht zugestehen, indem sie der Meinung sind, daß die reine Natur (Gottes) von keinem Menschen geboren werden könne, und ebenso daß Gott keinen Menschen gebären könne.“

Beinahe 700 Jahre nach der Zeit des Hussurut Ensa erleuchtete das glänzende Licht Mahomeds (die Gnade und der Friede Gottes sey mit ihm!) diese dunkle Welt. Er ordnete nicht blos die irdischen Angelegenheiten, sondern offenbarte die Religion des Islam.

(Fortsetzung folgt.)

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_130.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)