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Das Ausland. 1,2.1828

welcher kürzlich mit einem der Söhne des Schahs von Persien ein Bündniß abgeschlossen hat, und ihm jährlich eine Summe zahlt, die zwar ein Geschenk genannt wird, aber in der That nichts anderes als ein Tribut ist. Persische Truppen, von einem Enkel des Schah’s commandirt, hatten in diesem Augenblicke die Citadelle von Herat besetzt. Kandahar wird von drei Brüdern, welche die legitime Dynastie entthront haben, beherrscht; ein vierter Bruder regiert in Kabul, welches er kürzlich seinem Neffen geraubt hat; und Peschavur hat ein anderes Glied derselben Familie inne, welches sich durch einen jährlichen Tribut an Rund-schit-sing, den Fürsten der das Land zwischen dem Indus und dem Hyphasis unter seiner Botmäßigkeit hat, gegen einen Einfall der Scheiks sichert.

Jene Brüder haben endlose Kämpfe und Streitigkeiten unter einander, und sind alle zugleich Feinde des Fürsten von Herat, den sie als ihren gefährlichsten Feind betrachten, weil er von der alten Dynastie abstammt. Die Bevölkerung des Landes ist in viele kleine Stämme getheilt, die diesem oder jenem der genannten Fürsten anhängen, je nachdem örtliche oder Familienverhältnisse es mit sich bringen. Die Schwäche der Regierungen, ihre immerwährenden kleinen Kriege, und die Eifersucht der Stämme untereinander, haben das Volk so unstät und das Eigenthum so unsicher gemacht, daß der Ackerbau vernachläßigt, das Land verwüstet, und manches Dorf ganz verlassen ist.

Die Einwohner sind tapfer und kriegerisch, und gelten sonst für die besten Reiter in Asien. Nadir Schah hielt sie für die schönsten Truppen in seiner Armee. Jetzt ist indessen nicht zu erwarten, daß sie sich zu irgend einem gemeinschaftlichen Plane vereinigten; die Gegenwehr, die sie einer angreifenden Armee entgegensetzen könnten, ist daher von keinem Belang. Man könnte uns einwenden, das sey gerade die beste Art von Gegenwehr, die unregelmäßige Truppen gegen ein geordnetes Heer wählen müßten, so ohne Plan und ohne gemeinsamen Anführer, bald hier bald dort anzugreifen; aber dies ist wohl nur dann der Fall, wenn das Heer, durch Strapatzen aller Art, und durch Mangel an den nöthigsten Bedürfnissen, nicht im Stande ist, die Neckereien kleiner Reiterhäuflein gehörig zurück zu weisen. Die Entfernungen sind aber jetzt nicht mehr so ungeheuer, daß deshalb die Desorganisation eines Heeres zu befürchten wäre. Von Herat über Furrah nach Kandahar sind ungefähr 90 Meilen, durch ein Land, welches größtentheils unfruchtbar und zuweilen sehr sparsam mit Wasser versorgt ist; da aber der Weg gut ist, und in der Nähe desselben einige bedeutende Ortschaften liegen, von welchen man Zufuhr erhalten kann, so wie Kandahar selbst einige bedeutende Vorräthe darbietet; so sind hier die natürlichen Hindernisse wohl zu überwinden. Von Kandahar nach Kabul zählt man nur 50 Meilen, von da nach Peschavur 30 Meilen durch eine leicht zu passirende Gegend;und von Peschavur an die Ufer des Indus sind zwei oder drei Tagmärsche. Die ganze Entfernung von Herat bis an den Indus beträgt höchstens 180 Meilen. Dieß ist freilich noch immer eine bedeutende Strecke, aber der Weg geht durch drei Hauptstädte und verschiedene kleinere Ortschaften, ohne gerade Schwierigkeiten darzubieten, die sich nicht durch Vorsicht und verständige Anordnungen besiegen ließen. Es ist nothwendig, für mehrere Monate Vorräthe mitzunehmen, und an einigen Stellen auch sogar Wasser. Die Straße indeß ist, wenn auch nicht gut, doch nicht unwegsam. Aber auch nach diesem Marsch an den Indus hat das Heer noch Schwierigkeiten zu überwinden. Die europäischen Truppen leiden viel vom Clima; es werden Fehler gemacht, aus denen der Feind Vortheil zu ziehen sucht; je weiter das Heer vordringt, desto schwieriger wird es, dasselbe zu versorgen u. s. w. Außerdem sind mehrere große Flüsse zu passiren, und dieß muß oft im Angesicht der feindlichen Truppen geschehen; alles noch ehe die Armee nur einen Fuß auf das englische Gebiet setzt. Der Uebergang über den Indus allein ist unter den vorhandenen Umständen ein großes Unternehmen und läßt sich vielleicht gar nicht bewerkstelligen. Die Kriegskosten müssen auf jeden Fall ungeheuer werden, auch wenn Persien einen Theil davon tragen sollte; und wenn der Krieg sich in die Länge zieht, so ist Rußland genöthigt, sein ganzes Unternehmen aufzugeben, weil, im Fall die Expedition ganz mißglückte und der europäische Theil der Armee aufgerieben würde, Rußland höchst wahrscheinlich wieder ganz über den Kaukasus zurückweichen müßte.

Auf der andern Seite würde aber auch der Schaden, den England durch ein solches Unternehmen Rußlands erleiden würde, unermeßlich seyn; selbst der Nachtheil, den die Occupation von Persien, oder ein gebietender Einfluß Rußlands auf den Hof von Teheran, für England nach sich ziehen muß, ist groß und fortdauernd. Es ist schwer zu bestimmen, wie viel europäische Truppen England unter diesen Umständen in Indien bedürfte, um seine nördlichen Grenzen einigermaßen zu decken; aber mit Gewißheit läßt sich sagen, daß eine wirkliche Invasion und ein fortgesetzter Krieg an der indischen Gränze mit so ungeheuren Geldaufopferungen für England verbunden wäre, daß es sie nur in der Zuversicht machen könnte, die feindliche Macht werde eher unvermögend seyn, die nöthigen Mittel zur Fortsetzung des Krieges aufzutreiben, als es selbst.

Zum Schluß wollen wir unsere Ansicht nur noch einmal kurz zusammenstellen.

Wir behaupten, daß Rußland in seiner jetzigen Lage Indien mit einer Invasion nicht einmal bedrohen könne; daß es sich bedeutend vergrößern müßte, um die brittischen Besitzungen angreifen zu können; daß es vortheilhafter für dasselbe sey, sich nach der Seite von Persien, als nach der Seite von Bochara zu vergrößern; daß der Einfluß auf Persien, Rußland ein überwiegendes Ansehen im innern Asien geben, und dasselbe in den Stand setzen werde, eine Invasion in Indien zu unternehmen. Hierdurch würde dann Rußland seine politischen Verhältnisse mit Großbritannien auf einen sehr vortheilhaften Fuß setzen, obgleich die Entscheidung des Kampfes, im Falle eines wirklichen Angriffes, immer noch im höchsten Grade zweifelhaft seyn würde.

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_118.jpg&oldid=- (Version vom 7.12.2020)