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Das Ausland. 1,2.1828

hat die Macht Rußlands bereits gefühlt und sie anerkannt, ist seit undenklicher Zeit einer despotischen Regierung unterworfen, mit deren Fall stets das ganze Volk unterjocht wurde, und scheint daher nothwendig einst die Beute eines übermächtigen Nachbaren werden zu müssen, so viel natürliche Vertheidigungsmittel es auch besitzen mag. So lange zumal, als es wahrscheinlich bleibt, daß Persien beim Tode des jetzigen Schahs zwanzig Thronbewerber sich erheben sehen wird, von welchen jeder lieber in Abhängigkeit, als gar nicht regieren will, hat Rußland die Krone von Persien eigentlich schon in seiner Hand, indem es dieselbe an jeden der Brüder verleihen kann, den es am liebsten zum Vasallen haben will. Es würde daher ohne Zweifel klüger handeln, wenn es durch eingeborne Fürsten, die es auf den Thron setzte, regierte, als wenn es die bestehende Regierung umstürzte, und das Volk unterjochte, da das erste ihm nicht nur viel leichter werden, sondern auch das Ansehen großer Mäßigung geben würde, ohne daß es etwas Wesentliches dadurch verlöre. Es dauert lange, ehe neu eroberte Länder sich den alten Besitzungen wahrhaft einverleiben lassen, vorzüglich wenn zwischen beiden Verschiedenheit der Religion statt findet. Nimmt Rußland hingegen dem Volke seinen eingebornen Fürsten nicht, und macht diesen vielmehr selbst zum Mittelgliede der Verbindung, so wird es unumschänkter herrschen, als dies viele Jahre hindurch der Fall seyn würde, wenn es unmittelbar regieren wollte. Daß Rußland auch wirklich diese Politik befolgt, läßt sich kaum bezweifeln.

Außer der größern Leichtigkeit sich Persien zu unterwerfen, lassen sich noch mehrere andere Vortheile nachweisen, die aus der Abhängigkeit dieses Landes für Rußland hervorgehen. Persien ist der wichtigste von allen Staaten des innern Asiens, es hat die stärkste Bevölkerung, die größten innern Hülfsquellen, eine höchst vortheilhafte, imponirende Lage, und besitzt in der Meinung der Asiaten unter allen Staaten der Welt den höchsten Rang und das meiste Ansehen. Die Unterwerfung von Persien würde daher auf die übrigen Fürsten in Asien großen Eindruck machen, dahingegen die Eroberung von Kharism und Bochara nur von den Nachbarstaaten bemerkt werden würde. Endlich ist Persien auch viel vortheilhafter für die Ausführung eines Planes auf Indien gelegen als Bochara.

Herat ist jetzt schon in einer gewissen Abhängigkeit von Persien, und wird wahrscheinlich bald ein integrirender Theil davon seyn. Dieser Ort ist unter allen Punkten an der nördlichen Grenze des Landes der Afghanen, der gelegenste um einen Einfall in Indien vorzubereiten. Er liegt fast in gleicher Entfernung von den Städten Kerman, Jesd, Tubbus, Turschihs, Mesched, Bochara, Balkh und Kandahar, ist eine der größten Handelsstädte Asiens, und könnte aus allen genannten und vielen andern kleineren Städten Vorräthe an sich ziehen. Die Stadt liegt in einem fruchbaren, wohlbewässerten Thale, hat ein schönes Clima, und ist zu jeder Zeit reichlich mit allen Lebensbedürfnissen versehen. Man hat sie mit Recht den Schlüssel von Indien genannt. Im Gebiete von Bochara liegt keine Stadt, welche dieselben Vortheile darböte. Bochara selbst bildet eine Oase, und Rußland würde auf dieser Insel noch immer von den südasiatischen Ländern abgeschnitten seyn. Balkh, angenommen auch, dies sey erobert, ist ein Ort, welcher wenig Hülfsquellen in sich schließt, und der bei weitem nicht alle Bedürfnisse für eine Armee besitz. Auch sind die Wege von Balkh nach Kabul für Artillerie unzugänglich, dahingegen man ohne Schwierigkeit Kanonen von jedem Kaliber von Herat nach Kandahar transportiren kann.

Außer diesem Vortheil, Herat als einen Waffenplatz gegen Indien gebrauchen zu können, hätte Rußland auch Hoffnung die Perser bald zu guten Soldaten zu bilden. Die Verbindung der Engländer mit diesem Volke hat dasselbe schon für die Einführung europäischer Kriegszucht vorbereitet; und werden die persischen Soldaten auf europäische Art disciplinirt und von geschickten europäischen Offizieren angeführt, so werden ihnen wenige Armeen bei einem Feldzuge in Asien überlegen seyn. Sie sind ordentlich und gehorsam, thätig und verständig, außerordentliche Strapatzen und Entbehrungen zu tragen fähig, muthig, und bei vernünftiger Behandlung ihren Offizieren gänzlich ergeben – kurz sie besitzen alle Eigenschaften, die zu einem guten Soldaten erforderlich sind. Dagegen würden Jahrhunderte dazu gehören, die Usbeken und Turkomanen von Khiwa und Bochara einer europäischen Kriegszucht zu unterwerfen.

Wir wollen einmal annehmen, daß Rußland über die 40 bis 50,000 Mann, die Persien jetzt unter dem Namen regulärer Infanterie in den verschiedenen Theilen seines Reiches hält, ausgesuchte Offiziere setzen könnte, um sie discipliniren und commandiren zu lassen; daß es zu diesem Heere eine eben so starke Abtheilung russischer Infanterie fügte; daß es die persische Artillerie organisirte, und ein tüchtiges Corps persischer Reiterei auserwählte, so würde es Bochara leicht erobern, oder seine Regierung sich dienstbar machen können. Kharism, dann von allen Seiten von Rußland oder seinen Vasallen umschlossen, müßte sich nothwendig auch fügen. Kurz es ist klar, daß Rußland durch den Besitz von Persien ein überwiegendes Ansehen im innern Asien erlangen würde.

Die Lage der Türkei würde dann freilich sehr unsicher werden; ihre schwächste Grenze zum Kaukasus bis zum persischen Meerbusen wäre ganz offen. Zwischen Tabris und dem Bosphorus ist nichts, was sich einer persischen Armee mit Kraft entgegen stellen könnte. Bagdad, welches Persien noch fortwährend als ihm gehörig betrachtet, würde erobert und mit dem persischen Reiche verbunden werden; und sollte es nun zu einem Bruche zwischen Rußland und der Türkei kommen, so würde die Invasion von der Seite von Asien her für letztere eben so furchtbar werden, als die von Europa aus. Die Eroberungen der Perser müßten den Russen zu Statten kommen, und jeder Krieg müßte die Türkei doppelt schwächen, weil er die Macht ihrer beiden verbündeten Feinde vermehrte. Wenn auch die Eifersucht der europäischen Mächte Constantinopel noch erhielte, so hätte doch alle reelle Macht der ottomanischen Pforte, die ihr jetzt noch übrig seyn mag, ein Ende.

(Schluß folgt.)
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_114.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)