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Das Ausland. 1,2.1828

o heiliger Prophet,“ sprach der junge Krieger, „Ibrahim, den Sohn Mehemed Ali’s, an deinem Grabe, der dich um Schutz und Hülfe fleht in dem Kriege, den er beginnt. Rüste meinen Arm aus, mit der Kraft zu siegen, und meinen Geist mit der Einsicht, daß er den Sinn der Frevler durchschaue, und ihre Plane vereitle. Meine Feinde sind ja auch die deinigen?“ Darauf that er das Gelübde, seinen Sklaven die Freiheit zu schenken, sich des Weins und anderer geistiger Getränke zu enthalten, und vertheilte freigebig Almosen unter das Volk, das ihm in die Moschee gefolgt war. Nach Hause gekommen ließ er die Freilassungsurkunden ausfertigen, und gab Befehl, alle Wein- und Rhumflaschen zu zerbrechen, die sich in den Vorräthen der Armee befanden. Mochte sich Ibrahim in solchen Augenblicken frommer Anwandlungen zu Werken der Selbstverleugnung, und sogar der Großmuth gestimmt fühlen: so war doch Nichts im Stande, die düstere Grundfarbe seiner Seele zu erhellen, und es zeigt sich an ihm der Charakter der religiösen Schwärmerei, der ihn, je strenger er gegen sich selbst war, desto härter und liebloser gegen Andere machte, in seiner vollsten Kraft. Die ungläubigen Griechen konnte er, in der Art, wie er den Krieg gegen sie führte, nicht barbarischer behandeln, als die ihm und seinen Soldaten durch Sitte, Sprache und Religion zum Theil verwandten Wechabiten. Wurde ein Platz erobert, der einigen Widerstand geleistet hatte, so erfolgte in der Regel ein allgemeines Blutbad, Brand und Zerstörung; und die wenigen Wehrlosen, die durch ihr Alter oder Geschlecht dem Verderben entgangen waren, mußten es für eine hohe Gnade halten, wenn sie unter den Ruinen ihrer vormaligen Häuser einen Zufluchtsort suchen durften. Derajeh, die Hauptstadt von Nedjd,[1] war durch Capitulation eingenommen worden. Der Fürst der Wechabiten hatte sich, um für die Stadt und seine Familie, die schon zum Theil in der Gewalt des Siegers waren, Schonung zu erhalten, freiwillig in die Gefangenschaft begeben, Ibrahim ihm alle seine Bedingungen zugesagt; aber nach der gewöhnlichen Politik der Türken, die sich nicht verpflichtet glauben, gegen sogenannte Rebellen Treu und Glauben zu halten, bekümmerte sich Ibrahim wenig um die Erfüllung seiner Versprechungen. Denn kaum war Abdalla ebn Suhud auf dem verhängnißvollen Weg nach Kairo, von wo er bald seine letzte Reise nach Konstantinopel antreten sollte – Ibrahim selbst war schon abgezogen und hatte einige hundert Einwohner mit Weibern und Kindern, für die Verbannung bestimmt, mit sich genommen; noch hofften aber die übrigen, der Pascha werde sich mit Schleifung ihrer Festungswerke begnügen,) – da erschien der Befehl zur Zerstörung der Stadt. Die Dattelbäume wurden umgehauen, die Brunnen ausgefüllt, die Bewohner ausgetrieben und die Häuser verbrannt. Da man sich gerade in der heißen Jahreszeit befand, so bildete der Anblick der Zerstörung mit dem der erstorbenen Natur ein gräßliches Schauspiel. In weniger als 20 Tagen war eine Stadt von 13,000 Einwohnern vertilgt. Die Bevölkerung, die in den benachbarten Ländern ein neues Vaterland suchte, kehrte jedoch, nach der völligen Entfernung der Feinde, zurück, um das Bollwerk der Anhänger des Theismus wieder aufzubauen.

Ibrahim dachte nicht daran, seine Eroberungen in Nedjd behaupten zu wollen. Da sie ihm nur dadurch möglich geworden waren, daß er die Freundschaft einiger arabischen Stämme durch Geld und Versprechungen zu gewinnen gewußt hatte, so hieng ihre Behauptung von der gewissenhaften Erfüllung seiner eingegangenen Verbindlichkeiten ab. Er fand es seinem Vortheile angemessener, die Feinde durch Zerstörung ihrer festen Plätze und Verwüstung ihrer Ländereien auf lange Zeit unschädlich zu machen, als einen Zuwachs an Gebiet zu erlangen, das in Folge seiner entfernten Lage, mitten in unwirthbaren Einöden, und wegen des unruhigen Geistes seiner Bewohner mehr Verwaltungskosten zu erfordern schien, als es Gewinn versprach. Indessen hatten die Engländer, deren Handel im persischen Meerbusen seit geraumer Zeit durch die Raubzüge der Wechabiten stark beeinträchtigt wurde, auf die Nachricht vom Ausbruche des türkischen Krieges, eine Expedition von 3000 Mann in El-Katif ans Land gesetzt, und boten Ibrahim ihre Hülfe an. Letzterer, der bereits auf seine bisherigen Verbündeten, die Beduinen, nicht mehr rechnen konnte, da er ihnen nicht gehalten, was er versprochen hatte, trug um so mehr Bedenken, das Anerbieten der Engländer anzunehmen, als er nicht Lust hatte, seine Eroberungen mit ihnen zu theilen. Außer den heiligen Städten blieben im Besitz der Türken noch einige feste[2] Grenzplätze, z. B. Tâyef, Dschidda, Janbo, sowie die Engpässe von Saffra und Dschididde, die den Weg nach Egypten beherrschen. Ibrahim, dessen Soldaten durch die ausgestandenen Mühseligkeiten und Entbehrungen aller

  1. Nedjd’s Bevölkerung rechnete man zu 50,945 waffenfähigen Männern, und zu 231,020 Weibern und Kindern, die in 13 Provinzen und in 15, bei der Provinzialeintheilung nicht mitbegriffenen, Städten und Dörfern wohnten. Dazu kamen noch 14 Stämme Beduinen, die, an den Grenzen umherziehend, die Oberherrschaft des Souveräns von Nedjd anerkannten. Diese Stämme, wovon fünf die Partei der Türken ergriffen, konnten mit 41,100 Mann Fußvolk und 8620 Mann Reiterei ins Feld rücken. – Ein Umstand, der dem Unternehmen Ibrahim’s sehr zu Statten kam, war, daß diese Beduinen im Allgemeinen, als Hirtenvölker, den Untergang des Wechabitischen Staats nicht ungerne sahen. Die weiteren statistischen Nachrichten sehe man in Mengin’s histoire de l’Egypte sous le gouvernement de Mohammed Aly. Tom. II. pag. 163 f., welchem Werke auch ein Umriß der Geschichte der Wechabiten angehängt ist.
  2. Bekanntlich haben, nach Nachrichten im österr. Beobachter vom 22. Oktober v. J. aus Alexandria, die Araber unter dem Scherif von Mekka, Namens Jekpa, die meisten dieser Plätze wieder genommen. Ist übrigens Jekpa der Neffe Gâleb’s, des vorigen, von Mehemed Ali 1813 hinterlistiger Weise verhafteten und nach Salonik verbannten Scherifs: so können wir den Grund dieser Bewegungen nicht wohl im Wiederaufblühen des Wechabismus suchen.
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_112.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)