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Das Ausland. 1,2.1828

viel dazu beigetragen, ihm die allgemeine Zuneigung zu gewinnen. Er wendet, in Vereinigung mit Lord Guilford, dem Gründer der Universität in Corfu, alles an, um die gegenseitige Abneigung und Absonderung, die zwischen den Engländern und den Eingebornen herrscht, nach und nach zu mildern. Lord Guilford wird von den Joniern verehrt, als gehörte seine Erscheinung noch der alten Herrlichkeit ihres Vaterlandes an. Die Philanthropie dieses ausgezeichneten Mannes hat nichts von der Kälte des Klimas angenommen, unter dem er geboren wurde. Mit feuriger Seele hat er seine Zeit, sein Vermögen, jeden seiner Gedanken dem Glücke dieser so tief von ihrem früheren Glanz und Ruhme herabgesunkenen Inseln geweiht.[1]

(Fortsetzung folgt.)


Royer Collard’s Aufnahme in die französische Akademie.


(Fortsetzung.)

„Man wundere sich nicht, man klage die Akademie nicht an, ihre Herrschaft über die natürlichen Grenzen auszudehnen. Die Literatur hat kein geschlossenes Gebiet, das, von andern Gebieten umgrenzt, sich nur durch eine ungerechte Invasion erweitern könnte. Was dem Menschen, was der Welt angehört, ist ihr nicht fremd, nicht verboten. Die Moral erforscht das Gute, die Philosophie das Wahre; die Literatur, auf beides sich stützend, hat das Schöne zum Gegenstand. Das Schöne aber ist überall, in uns und außer uns, in den Vollendungen unserer Natur und in den Wundern der Sinnenwelt, in der selbstständigen Kraft des einsamen Gedankens und in der Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft, in der Tugend und in den Leidenschaften, in der Freude und in den Thränen, im Leben und im Tode; und wenn die Natur gegen unsere Wünsche karg ist, so ist es uns vergönnt, mit unserer Einbildungskraft das Schöne zu vervielfältigen, es verschwenderisch auszutheilen, die Wahrheit durch Dichtung, die Geschichte durch Mythen zu übertreffen. Dies ist die Würde, dies die Universalität der Wissenschaft des Schönen, der Literatur. Geboren in unserer Fähigkeit, das Schöne zu erkennen, hat diese Wissenschaft keine Grenzen, als soweit unsere Kraft das Schöne zu erfassen und zu genießen selbst begrenzt ist. Das Schöne ist nur dem Gefühl zugänglich; es in einen Begriff, in eine Definition einzuzwängen ist unmöglich. Man gebe ihm die Namen des Erhabenen, des Pathetischen, des Edlen, des Großen – alle diese Worte können es nicht erschöpfend bezeichnen.

Es gibt wundervolle Künste, die das Schöne durch die Gestalt, durch Farben oder durch Töne ausdrücken; sie machen es zu einem Gegenstande der Sinne, oder vielmehr, sie bedienen sich der Sinne, um der Seele das Schöne zu offenbaren. Die Literatur drückt das Schöne aus durch das geistige Werkzeug der Sprache; darum ist der Styl ein Theil der Literatur; darum gibt es auch eine Wissenschaft des Styls und selbst der Worte, welche die Literatur zu repräsentiren scheint, jedoch nur ihr Gehülfe ist.

Die Literatur gedeiht nicht in jeder Zeit; sie fordert Geister, die sich lange mit der Betrachtung des Schönen beschäftigt und in dem Anblick desselben ihre Sinne so geschärft haben, daß sie es schnell durch jenen Instinkt, den man Geschmack nennt, zu unterscheiden wissen. Dort wo der Geschmack sich nicht gebildet hat, ist es möglich wunderbare Dinge zu denken und zu sagen; eine Literatur aber, die des Namens würdig wäre, wird es dort nicht geben.

Obgleich die Natur des Schönen unveränderlich ist, so ist sich die Literatur doch nicht stets gleich. Sie folgt der Religion und der weltlichen Regierung, den langsamen odeer den ungestümen Revolutionen in den Sitten, der Bewegung der Geister, ihren veränderlichen Liebhabereien und ihren verschiedenen Neigungen; und so wird sie der wechselnde Ausdruck der Gesellschaft. Unter den Dingen, die sie begünstigen, gebührt der politischen Freiheit ohne Widerrede der erste Rang. (Bewegung unter den Zuhörern.) Ist es etwa nur deswegen, weil die Rednerbühne die Literatur mit einer neuen Art von Beredsamkeit bereichert? Nein, die Macht der Freiheit reicht weiter hinaus. Mit ihr, Sie wissen es, meine Herren, mit ihr erwacht ein tiefes, schönes Gefühl, aus welchem, wie aus ihrer natürlichen Quelle, große Gedanken und zugleich große Thaten entspringen. (Beifall.) Dieses Gefühl gehört ganz der Literatur an; ich habe nicht genug gesagt, – es ist die nothwendige Bedingung derselben. Wäre die Freiheit nicht in den Geistern, so würde sie vergebens in unsere Gesetze geschrieben seyn; vergebens würde ihr Name in den Worten und Verhandlungen der Regierung wiedertönen: die Literatur, in ihrer Wurzel verdorrt, würde kränkeln, und nur ungenießbare Früchte tragen. Dort dagegen, wo die Literatur in ihrem vollen Glanze strahlt, können wir sicher seyn, die Freiheit in den Gemüthern zu finden, wäre sie auch nicht in die Gesetze geschrieben; sie lebt dort in den Geistern, welche um sie trauern oder sie herbeirufen. – Dies ist der Vorzug unserer Zeit: die Freiheit ist aus den Geistern endlich in die Gesetze übergegangen. Sie stützt sich auf die Bürgschaft des Königs, wie auf die Macht der öffentlichen Sitten. Wer könnte sie uns von Neuem rauben? (Bewegung.) Die Literatur wird ihre Gegenwart fühlen, und ihren Charakter annehmen. Sie wird edel, ernst und voll Muth seyn. Neue Aufregungen werden die Dichtkunst und Beredsamkeit beseelen; die Philosophie, die Geschichte, die Kritik werden vereint Kenntnisse verbreiten, deren die Freiheit zu ihrem Gedeihen bedarf. Erzogen vom Geiste des Jahrhunderts, wächst ein neues Geschlecht heran, ernst, besonnen und geduldig; es ist dafür gebildet, daß die Fortschritte der Gesellschaft auch neues Leben in die Wissenschaften bringen und ihr Gebiet erweitern müssen.“

Nach diesen allgemeinen, zeitgemäßen Betrachtungen,

  1. Bekanntlich ist der edle Carl of Guilford vor kurzem verstorben.
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_108.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)