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Das Ausland. 1,2.1828

wäre, und deren Eroberung die Auflösung der Regierung nach sich ziehen müßte; die Einnahme von Dehli wäre gegenwärtig nicht mehr die Eroberung von Indien.

Aus allen diesen Gründen wird es klar, daß sich die früheren Invasionen Indiens gar nicht mit einer jetzigen vergleichen lassen. Man würde mit demselben Rechte sagen können, die Eroberung der civilisirten Reiche Europas durch die Barbaren des Nordenes liefere einen Beweis von der Möglichkeit, daß die Nachkommen dieser letztern auch jetzt noch die westlichen Staaten umstürzen könnten. Ob das Unternehmen, wovon wir sprechen, möglich ist oder nicht, wird daher nur nach einer genauen Betrachtung der Ländeer, durch welche ein russisches Heer ziehen müßte, und nach einer reiflichen Erwägung aller Schwierigkeiten, welche demselben entgegenstünden, zu entscheiden seyn.

Es gibt drei oder vielleicht vier Wege, auf welchen ein Heer versuchen könnte, von der russischen Grenze nach Indien vorzudringen. Zwei davon gehen durch die Länder der Usbeken und Turkomanen, und die beiden andern durch Persien. Der Weg, den Fraser für den bequemsten hält, geht über Khiva nach dem Oxus, dann auf dem Flusse fort, Bochara vorbei, nach Balkh. Nur muß freilich der Paropamisus überstiegen weerden, um nach Kabul zu gelangen. Die zweite Route geht von Orenburg durch die kirgisischen Steppen nach Bochara, Balkh u. s. w. Dieseer Weg scheint indeß nach dem was russische Berichterstatter darüber sagen, kaum möglich zu seyn. Von den beiden Straßen durch Persien führt die eine nach Astrabad ans kaspische Meer, und von dort durch Khorasan nach Herat; und die andere von den Grenzen Georgiens mitten durch Persien nach Khorasan, wo sie mit dem Wege von Astrabad nach Herat zusammen trifft.

(Fortsetzung folgt.


Das Kloster der Armenier in Venedig.[1])

Mitten in den Lagunen von Venedig, unfern des Lido von Malamocco, drei italienische Meilen vom Ponte di Rialto, liegt die kleine Insel San Lazzaro, die vielleicht von unberechenbarer Wichtigkeit für die Cultur des Orients und schon gegenwärtig in mehr als einer Hinsicht merkwürdig ist; zuvörderst als eine orientalische Niederlassung im innersten Busen eines europäischen Meeres, dann als der Stapelplatz europäischer Wissenschaft für das weit über den Orient verbreitete Volk der Armenier, und endlich vielleicht auch als einer der Hauptpunkte, an welchem die Erinnerung an des unsterblichen Byron’s Aufenthalt in Venedig haftet.

Die Geschichte der Stiftung dieser Niederlassung hängt mit der Lebensgeschichte ihres Gründers so genau zusammen, daß eine kurze Nachricht über diesen merkwürdigen Mann für unsere Leser vielleicht nicht ohne Interesse seyn wird.

Mkhitar, gewöhnlich Mechitar genannt, wurde im J. 1676 zu Sebaste (Sepasdia) in Kleinarmenien geboren. In seiner frühesten Jugend zum geistlichen Stande bestimmt, trat er nach zurückgelegtem fünfzehnten Jahre in den Convent des heiligen Zeichens bei Sebaste, wo er sich durch die Composition geistlicher Gedichte und Homilien vor der Mehrzahl seiner Ordensbrüder rühmlich auszeichnete. Von brennendem Wissensdurste getrieben, folgte er einem armenischen Gelehrten nach Etschmiazin, dem durch die neueste Kriegsgeschichte bekannten Sitz des armenischen Patriarchen, wo er, der Versicherung seines Führers nach, das Centrum aller Wissenschaften finden sollte.

Bei seiner Ankunft daselbst in seinen Erwartungen getäuscht, schweifte er eine Zeitlang in den Klöstern seines Vaterlandes umher, lernte und lehrte, machte in Erzerum, der Hauptstadt von Großarmenien, die Bekanntschaft von Europäern und Armeniern, die Europa gesehen hatten, und kehrte endlich im J. 1693, mit dem heimlichen Wunsche, sobald sich irgend eine Gelegenheit darböte, gleichfalls nach Europa zu reisen, in sein Kloster bei Sebaste zurück. Einige Lieder, die er während seines Aufenthaltes in demselben dichtete, werden noch jetzt in mehreren Kirchen Armeniens gesungen.

Von einer gefährlichen Augenkrankheit geheilt, beschloß er im Jahr 1695 seinen alten Reiseplan auszuführen, und begleitete deshalb einen armenischen Priester nach Aleppo, wo er von einem Jesuiten, seiner Belesenheit in der armenischen theologischen Literatur wegen, sehr vortheilhafte Zeugnisse erhielt. Schon hatte er sich eingeschifft um nach Rom zu gehen, als ein Fieberanfall ihn in einem armenischen Kloster in Cypern zurückhielt, und er um seine Gesundheit wieder herzustellen, sich genöthigt sah, bettelnd in sein Vaterland zurückzukehren, wo er seine alten Beschäftigungen fortsetzte, und im Jahr 1696 die letzten Weihen erhielt.

Schon jetzt scheint er den Plan einer gelehrten Gesellschaft zur Ausbreitung der Wissenschaften in Armenien gefaßt zu haben. Eine Reise nach Constantinopel, die er deshalb machte, war erfolglos: doch sah er sich bereits von zweien seiner Schüler begleitet, als er im J. 1699 nach Erzerum und in das Kloster Passeno kam. Hier übertrug ihm der Superior, Bischof Macarius, die Erziehung der Schüler des Klosters. Auch die Mönche unterrichtete er in der Theologie des Albertus Magnus, von der er eine armenische Uebersetzung besaß. Ein Vorfall, über den europäische Professoren vielleicht nicht wenig lachen würden, trug besonders dazu bei, sein Ansehen zu befestigen. Eines Tages nämlich, als er in einer theologischen Disputation einen seiner Gegner durch Zeugnisse der armenischen Kirchenväter völlig aus dem Felde geschlagen hatte, wurde dieser so erboßt, daß er ihm eine tüchtige Ohrfeige gab. Mechitar aber ertrug diese Beleidigung mit so siegreicher Geduld, daß sein Gegner erstaunte und die Wahrheit seiner Behauptungen anerkannte. Er erhielt noch in demselben Jahre die theologische Doktorwürde und den Auftrag in der Diöcese des Bisthums zu predigen.

Zur Ausführung seines Planes, eine gelehrte Gesellschaft

  1. Nach: Hamarrod Nguarakir Mkhithariaean Miapanovtean; (Kurze Nachrichten über die Mechitaristen-Congregation; San Lazzaro, 1819. 8.)
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_093.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)