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Das Ausland. 1,2.1828

würde man in diese Verwirrung aller Ordnungen und Style, eine einfach schöne Linie, einen natürlichen Contour, ein Fenster, einen Karnieß an seinem Platze, kurz nur Eine regelmäßige Form suchen. Borromini soll den Plan zu diesem Meisterwerke zu der Zeit entworfen haben, als er auf dem Punkte stand, sich das Leben zu nehmen; und in der That erblickt man darin bereits den Anfang von Verrücktheit, und kann sich gewissermaßen die Verzweiflung des Künstlers erklären, der eine so unverzeihliche Beleidigung des Genius der Kunst an sich selbst rächen wollte. Und dieses Gebäude wurde noch dazu unter dem Pontifikate eines der aufgeklärtesten Päpste, mitten unter die bewundernswürdigsten Monumente Roms hineingebaut.

Ich kann den spanischen Platz nicht verlassen, ohne noch einen Blick auf dieses sonderbare Panorama zu werfen. Hier zuest die Scala oder Scaliera. Die Verhältnisse sind gigantisch, und doch fehlt dem Werke Majestät; es ist kolossal, aber nicht grandios. Vor der Scala ist die Fontana della Barca, ein anderes bizarres Werk, das Berninis Geschmack keine Ehre macht. Mußte dieser große Meister nicht vor dem Gedanken zurücktreten, auf einen unbelegten, passiven Gegenstand, auf eine Barke die Rolle jener Tritonen oder Najaden zu übertragen, die wir gewöhnt sind, das Wasser auswerfen zu sehen, welches ihnen die alte Mythologie als Domäne zugewiesen hat. Um diese Fontäne, welche einen wichtigen Centralpunkt Roms bildet, ist der allgemeine Sammelplatz des Müßiggangs, der Wollust, der Thorheit, des Reichthums, und jeder Art von Industrie. Hier treiben sich die Vetturini herum mit ihren wollenen Jacken, und zanken sich um ihre Passagiere; hier lauern die Lohnbedienten auf die Ankunft der Fremden, und suchen aus den gemahlten Wappen der Equipagen Vermögen und Rang der Ankommenden zu entziffern. Hier drängen sich die Engländer, welche von der Langeweile in die Fremde getrieben werden, um dann zu Hause sagen zu können, sie haben alles gesehen. Hier handeln Bediente von Kardinälen bei irgend einem Restaurateur um ein frugales Mahl. Hier ziehen die deutschen Künstler vorüber, sprechende Abbilder der Figuren eines Jan van Brügge und Lukas van Leyden; endlich Capuziner, Minimisten, Cölestiner, englische Reitknechte, Kammermädchen und Ammen, Harlekine, Polichinelle, Pantalons etc. etc. alles durcheinander, ein buntscheckiges Schauspiel, das diese bewegliche Scene von früh sechs bis Abends eilf Uhr einnimmt, und aus diesem Platze ein Carneval en Miniature bildet, ein lebendiges Gemählde, auf welchem, wie in einem Kaleidoskop menschlicher Gestalten, die Narrheiten von ganz Europa durcheinander gaukeln, an deren Spitze John Bull unbedenklich den ersten Platz in Anspruch nehmen darf. – Ich mischte mich unter diese Haufen, und trank von dem herrlichen Wasser der Fontaine. Welcher Unterschied zwischen unsern unterirdischen Canälen, die aus Holz und Eisen bestehen, welche den besten Theil der heilsamen Bestandtheile des Wassers absorbieren, und dem frischen, klaren Wasserstrahle dieses Brunnens! Macht euch auf nach Rom ihr Wassertrinker, um diese bewundernswürdige aqua virgo zu kosten, die in vollen Strömen aus Berninis Nachen stürzt; fürwahr dieser Quell wäre allein hinreichend den Ruhm der ewigen Stadt zu begründen.

Es war Zeit die Scala zu besuchen. Die ausgesuchteste Gesellschaft Roms, alles was diese Hauptstadt von verschwenderischer Eitelkeit und Gefallsucht einschließt, drängt sich in Masse herbei. Ein eben so zahlreiches Heer von Bettlern folgt dem Reichthume auf dem Fuße nach, um den Zoll seiner Vergnügungen gleich aus erster Hand zu erheben. Ein geschickter Zeichner könnte hier bald seine Portefeuille füllen, mit den verschiedensten pittoresken Ansichten des Elends, studirten Unglücks und pathetischer Stellungen, mit denen die Scala beständig erfüllt ist. Zu jeder Stunde des Tags wird man von diesen Rittern mit dem Bettelstabe umstürmt, die weder Bitten, noch vornehme Titel, noch ihre oremus sparen. Trotz alldem aber nehmen sie ihr Allmosen nicht als eine Wohlthat, sondern als ein Recht, in Anspruch. An ihrer Dreistigkeit, ihrer Zudringlichkeit, sieht man, daß man hier eine förmlich organisirte, tief eingewurzelte Kaste vor sich hat, eine wahre Staatsinstitution, welche durch die römischen Sitten, durch den Einfluß der Ereignisse und durch Verjährung Gesetzeskraft erhielt. Oft treiben diese Herren zwei Gewerbe zumal: sie sind Bettler von Profession, und dienen zugleich als Modelle in den Ateliers der Mahler. Müßig, ohne Diebe zu seyn, stolz in ihren Lumpen und anmaßend in ihrem Schmutz, haben sie alle Laster der Faulheit, aber nicht jene gewandte, thätige und gefährliche Gaunerei, deren Typus der spanische Lazarillo bildet. Das stolze Gesicht, der kraftvolle Körper, die edle Haltung, der befehlende Blick bezeichnen den römischen Bettler als den Nachkommen jener alten Quiriten, seiner Väter. Ihn zu verachten ist unmöglich; man duldet ihn nicht blos, sondern man behandelt ihn mit der seiner Unabhängigkeit und seinem Selbstgefühle schuldigen Rücksicht.

(Fortsetzung folgt.)


Capitain Beechey’s Entdeckungsreise.


Gleichzeitig mit Capitain Franklin wurde bekanntlich von der englischen Admiralität die Sloop Blossom Capitain Beechey’s, auf eine Entdeckungsreise in die arctischen Meere ausgesandt. Man hat neuerdings Briefe von derselben, aus Kamschatka, vom July v. J. erhalten, nach denen Offiziere und Mannschaft sich im besten Wohlseyn befanden. Sie war im April zu Macao gewesen, wo sie verschiedene Bedürfnisse einnahm; darauf hatte sie auf dem Wege nach Kamschatka mehrere Inseln besucht. Es war die Absicht Beechey’s nach Kotzebue’s Einfahrt abzusegeln, um – wo möglich – mit der arctischen Landexpedition unter Capitain Franklin zusammen zu treffen, der bekanntlich aber schon vor drei Monaten in England ankam. Man hat inzwischen Hoffnung, daß Capitain Beechey im Stande seyn werde, bis zu dem Punkte vorzudringen, wo jener unerschrockene Reisende seine Erforschung der nördlichen Gestade Amerikas aufgeben mußte; wodurch die Geographie dieser unwirthbaren Gegenden beträchtliche Aufklärung gewinnen würde.

London. Papers Jan. 5. 1828.  
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_090.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)