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Das Ausland. 1,2.1828

wirklich einen Theil von Indien erobert haben, – deshalb auch dem Marsch einer europäischen Armee keine unüberwindlichen Hindernisse im Wege stehen könnten. Aber dieß Raisonnement ist falsch, so annehmlich es auch auf den ersten Anblick scheinen mag. Denn zuförderst ist keine europäische Macht geographisch so gelegen, wie alle die Völkerschaften waren, die einen glücklichen Einfall in Indien machten. Diese besaßen nämlich sämmtlich einige von den Landschaften am Fuße des Paropamisus, hatten sich schon alle benachbarten Länder zuvor unterworfen, den Ruf ihrer Thaten vor sich her gesandt, und sich so den Weg nach Indien gebahnt. Immer ging ihre Unternehmung von einem Lande aus, welches nur durch eine einzige Schutzmauer von Indien getrennt war, und wohin sie sich wieder zurückziehen konnten, im Fall sie die Schwierigkeiten, die ihnen entgegenstanden, nicht gleich beim ersten Angriff überwanden. Dahingegen würde Rußland jetzt mehr als ein großes Reich zu durchziehen, und mehr als ein Bollwerk, welches die Natur ihm entgegenstellt, zu durchbrechen haben, ehe es nur auf den Standpuncte gelangte, von wo aus die asiatischen Eroberer ihren Marsch antraten.

Indien war ferner zu jener Zeit von schwachen Fürsten beherrscht, die wegen der feindseligen Stellung, die sie selbst sowohl als ihre Völkerschaften stets gegen einander annahmen, nie dahin gebracht werden konnten, gemeinschaftlich zur Vertheidigung ihres Vaterlandes zu wirken. Die Minister begünstigten sogar häufig den Feind, und die Einnahme der Hauptstadt entschied den Kampf, und vollendete die sogenannte Eroberung des Landes. Auch waren die Truppen der Eroberer für die damalige Zeit die geeignetsten zu einem Kriege in diesen Ländern. Eine leichte Cavallerie, die ungeheure Märsche machen konnte,[1] allenthalben erschien, ehe man ihre Nähe ahnte, sich ihre Provisionen zusammenholte, wo sie sie finden konnte, und Vorrath für mehrere Tage auf dem Pferde mit sich führte, mußte natürlich ganz andere Erfolge bewirken, als von einer Armee, die größtentheil aus Infanterie bestände, zu erwarten wäre. Endlich bestanden die angreifenden Armeen immer aus Truppen, die den einheimischen bei weitem überlegen waren, und wurden von Feldherrn angeführt, die schon vorher ihr militärisches Talent gezeigt, und durch lange Erfahrung gebildet hatten.[2] Und doch waren nur wenige von ihnen im Stande die bedeutendsten der indischen Throne umzustürzen, und von wie vielen mag man sagen können, daß sie Indien erobert haben?

(Fortsetzung folgt.)


Egypten unter Mehemed Ali.


Fortsetzung.

Kaufmännische und gelehrte Reisende haben uns Mehemed Ali von der günstigsten Seite geschildert, als einen neuen Peter den Großen, als einen egyptischen Napoleon, der dort die Aera der Civilisation eröffnen würde. Seit er sich in den verheerenden griechischen Kampf eingelassen, wo Ibrahim Pascha eben nicht menschlicher verfährt, als Khurschid, Dram Ali oder Reschid Pascha, hat sich bei Vielen dieser panegyrische Enthusiasmus in das absolute Gegentheil verwandelt, und Mehemed Ali ist ein blutgieriger Tyrann, ein Barbar genannt worden. Warum müssen die Menschen sogleich Alles übertreiben und können in Liebe und in Haß, im Bewundern und im Verachten nie auf der Mittellinie sich halten? Die Gelehrten, die ihre Schätze aus den Gräbern der Todten, die Kaufleute, die sie aus den Magazinen des mächtigen und klugen Pascha’s schöpften – was giengen sie die Leiden der armen Fellàs an? Wollte H. Salt oder H. Belzoni oder H. Caillaud Nachgrabungen veranstalten, so hatten seine Hoheit die Gnade, einen Ferman zu bewilligen und es konnte an dienstpflichtigen Arbeitern nicht fehlen. Natürlich war dafür Mehemed Ali ein doppelt weiser, ein doppelt gepriesener Fürst, ein Beschützer der Wissenschaften und Künste, ein vorurtheilsfreier Freund der gebildeten Europäer. Und wenn die fränkischen Kaufleute sich mit dem Pascha in den Gewinn des sauern Schweißes seiner Unterthanen theilten, so erzählten sie Niemand, daß Egypten ein Land sey, wo die Menschen nie der Frucht ihrer Mühen froh werden, indem sie blos für den Pascha arbeiten, an den sie das, was sie zu verkaufen haben, um einen von ihm willkürlich festgesetzten Preis abgeben müssen, während derselbe wiederum der einzige Kaufmann ist, von dem sie ihre Bedürfnisse beziehen können.

Uns deucht, ein Fürst, der nur die Schätze, die er in seinen Koffern verwahrt, nicht aber den Wohlstand seines Landes als den wahren Reichthum zu schätzen weiß, sey noch weit entfernt von einem wahrhaft aufgeklärten Verwaltungssystem. Mehemed Ali haust in Egypten wie ein Landwirth, der von seinem Gut blos für den Augenblick den höchsten möglichen Ertrag zu ziehen sucht, ohne Rücksicht,


  1. Man wird es in Europa kaum glauben, daß diese asiatische Reiterei Tagesmärsche von 14 bis 15 deutschen Meilen macht, und zwar mehrere Tage nach einander und ohne große Unbequemlichkeit. Dies ist aber in jenen Gegenden, wo man große Strecken weit kein Wasser und keinen Mundvorrath antrifft, nothwendig, um überhaupt durch die Wüsteneien durchdringen zu können, welche für Fußvolk unzugänglich sind.
  2. Die Eroberer von denen man sagen kann, daß sie Indien mit Glück angegriffen haben, sind: Alexander, der aber nie das Gebiet betrat, welches jetzt England inne hat, denn er kam nicht über den Hyphasis, welcher die nördliche Grenze der englischen Besitzungen bildet; Timur und Nadir, die wohl Dehli eroberten, und das Land verwüsteten, aber doch in keinem Sinn des Worts Eroberer von Indien genannt werden können; ferner Mahmud, Mahomed Gorih, Achmed Schah und Baber, die angrenzende Länder beherrschten, und sich nur durch wiederholte Expeditionen jenseits des Indus festsetzten. Eine Idee vom damaligen Zustand der indischen Regierungen kann man sich nach dem einzigen Umstande machen, daß Baber Dehli eroberte, und ein mongolisches Reich in Indien stiftete, mit einem Heere von 10,000 Reitern.
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_088.jpg&oldid=- (Version vom 28.4.2023)